Dießen/Andechs:"Das ist völlig merkwürdig"

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Der Dirigent Christian von Gehren spricht darüber, dass ihn die Orff-Stiftung zwar mit einem hoch dotierten Preis auszeichnet, aber beim geplanten Neustart der Festspiele in Andechs und Dießen nicht dabei haben will

Interview von Gerhard Summer, Dießen/Andechs

Christian von Gehren, 44, erhält am kommenden Dienstag in Dießen den Carl-Orff-Preis 2016. Die Auszeichnung ist mit 20 000 Euro dotiert, die Dießener Orff-Stiftung und ihr Vorsitzender Wilfried Hiller würdigen damit Gehrens Aufbauarbeit. Der Essener hatte von 2009 bis 2015 als Dirigent der Orff-Festspiele in Andechs gewirkt und das musikalische Niveau des Festivals geprägt. Zugleich ist die Auszeichnung eine Art Abschiedsgeschenk: Beim Neustart des Orff-Festivals wird Gehren nämlich nicht dabei sein - zu seiner eigenen Überraschung, wie er sagt.

SZ: Ist der Preis für Sie eine späte Genugtuung?

Christian von Gehren: In gewisser Weise ja, vielleicht mehr noch eine Anerkennung meiner musikalischen Arbeit bei den Carl-Orff-Festspielen.

Die von der Festspielleitung in Andechs, die sie eigentlich am meisten hätte schätzen müssen, am wenigsten gewürdigt worden ist?

Das ist sicher richtig, das hatte sich in den vergangenen Jahren noch verstärkt. Meine Arbeit ist von der damaligen Festspielleitung schlicht nicht wahrgenommen worden. Mehr noch: Es wurde nicht akzeptiert, dass die Musik, so wie es sein soll bei Musiktheater, die tragende Rolle spielt. Bis zum Schluss war es so, dass ich zu keiner der Soireen gebeten wurde, die als Einführungsveranstaltungen dienten. Ich war also von jeglichen Veranstaltungen ausgeschlossen, wo ich dem Publikum hätte begegnen können. Aber ich hege heute keinen Groll. Und ich denke an die Festspiele zurück als wunderbare Erfahrung und als Einheit von Ort, Kunst und Musik.

Wo Sie sind derzeit tätig?

Ich habe mich sehr viel stärker wieder in nördliche Regionen Europas orientiert, wo ich immer schon viel gearbeitet habe. Konkret werde ich jetzt in der kommenden Spielzeit unter anderem in Schweden Konzerte und Opernvorstellungen dirigieren, in Jönköping. Und ich werde natürlich auch Orff treu bleiben und in Shanghai die "Carmina Burana" dirigieren.

Wie ist es dazu gekommen?

Royston Maldoom, der bekannt ist für seine tanzpädagogische Arbeit mit Jugendlichen, zeigt eine seiner Choreografien in Shanghai. Und bei diesem Projekt ist man auf die Suche gegangen nach einem Dirigenten, der viel Erfahrung mit Carl Orff hat, und auf mich zugekommen. Das Projekt ist für mich auch eine geografische Horizonterweiterung, denn in Asien habe ich bislang noch nicht dirigiert.

Sie sind also mehr frei unterwegs?

Ja, aber ich bin auch auf der Suche nach einem Ort, an dem ich meine musikalischen Vorstellungen realisieren kann.

Gibt es konkrete Pläne?

Es sind verschiedene Dinge angedacht, aber es ist nichts spruchreif. Das abrupte Ende der Festspiele in Andechs hat mich ohne Vorbereitung getroffen, es braucht einfach Zeit, etwas Passendes zu finden.

Beim Neustart der Orff-Festspiele 2017 durch die Gesellschaft Cultus Production GmbH mit Sitz in Füssen sind Sie nicht dabei?

So ist es.

Ist das nicht etwas grotesk angesichts des hoch dotierten Preises?

Diese Entscheidung ist nicht von mir getroffen, sondern von Wilfried Hiller, dem Vorstand der Orff-Stiftung, und Cultus-Geschäftsführer Florian Zwipf-Zaharia.

Haben die beiden einen Grund dafür genannt?

Nein.

Das ist doch merkwürdig: Sie werden ausgezeichnet - sollen aber nicht mehr mitwirken?

Das ist völlig merkwürdig, für mich klingt das Ganze fast schon nach einer Groteske aus der Feder von Carl Orff, vielleicht auch einer Komödie à la "Astutuli". Für mich gilt aber: Ich halte Orff für einen Komponisten, der nicht an einen Ort gebunden ist, sondern weltweit verstanden wird.

Ist der Preis also als Abschiedsgeschenk zu verstehen?

Ich fühle mich wirklich sehr geehrt, den Preis zu bekommen, und bin der Stiftung für die Auszeichnung dankbar. Aber ich war auch unangenehm überrascht von der Absage durch Zwipf-Zaharia. Mit Verblüffung haben auch alle Kollegen reagiert oder Menschen, die meine Arbeit seit Jahren verfolgen. Denn ich habe in Andechs sechs Jahre lang etwas aufgebaut, was man sicherlich noch zu einer anderen Höhe hätte führen können. Vor allem aber: Es war immer eine Forderung der Orff-Stiftung, dass ein Musiker die Festspiele leiten sollte.

Waren Sie als künstlerischer Leiter vorgesehen?

Ja, mit mir sind immer wieder Gespräche geführt worden, in denen es um meine Rolle bei zukünftigen Orff-Festspielen ging. Ich habe mich aus Überzeugung für die Ziele der Orff-Stiftung eingesetzt. Was auch einer der Gründe dafür war, dass ich trotz der Konflikte mit der Festspielleitung so lange in Andechs geblieben bin. Ich sehe den Preis jedenfalls als Verpflichtung an, mich weiterhin für das Werk von Carl Orff einzusetzen.

Christian von Gehren erhält den Carl-Orff Preis 2016 am kommenden Dienstag, 30. August, bei einem Liederabend, den der als Pianist zusammen mit Ursula Eittinger (Mezzosopran) und Wolfgang Newerla (Bariton) gestaltet. Auf dem Programm des Abends stehen Werke von Orff, Kaminiski, Armin Knab und Richard Strauss. Beginn im Augustinum in Dießen ist um 20 Uhr, Karten kann man im Internet unter der Adresse www.ammerseerenade.de bestellen.

© SZ vom 27.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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