Gesundheit:Mit Bewegung gegen das Vergessen

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40 Übungen für Demenzkranke hat die Physiotherapeutin Sylvia Wening zusammengestellt. (Foto: Georgine Treybal)

Physiotherapeutin Sylvia Wening hat für die Ilse Kubaschewski-Stiftung ein Sportprogramm entwickelt, das präventiv gegen Demenz wirken soll.

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Starnberg

Zwei Personen stehen sich gegenüber und machen spiegelbildlich die gleichen Bewegungen. Andere balancieren einen Luftballon auf einem Tuch hin und her. Die Übungen gehören zu einem Bewegungsprogramm für Menschen mit Demenz. Der Film, der als DVD oder per Streaming erhältlich ist, wurde auf Initiative der Ilse Kubaschewski-Stiftung in Starnberg erstellt und mitfinanziert.

Mehr als 40 Übungen hat die Berger Physiotherapeutin Sylvia Wening für das Programm entwickelt. Es ist für Menschen mit Demenz gedacht, die noch zuhause wohnen. Das Komplizierte sei, dass Menschen mit Demenz vergesslich sind, erklärt Wening. Die Übungen müssten daher so aufgebaut werden, dass sie nicht erklärungsbedürftig sind. "Der Körper könnte, aber das Gehirn kann es nicht." Daher ist das Ziel bei den Übungen, dass die Betroffenen zusammen mit ihren Angehörigen aktiv sind. Die Physiotherapeutin hat darin Alltagsabläufe eingebaut, an die sich demente Menschen vielleicht noch erinnern können, beispielsweise Äpfel pflücken oder Socken anziehen.

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Für Menschen mit fortgeschrittener Erkrankung, die unbewusste Bewegungen wie das Schlucken, vergessen, hat sie ebenfalls entsprechende Übungen erarbeitet. "Viele Demente sterben an Lungenentzündung, weil sie nicht mehr schlucken können", erklärt sie. Dafür gibt es Übungen, wie beispielsweise imaginäre Seifenblasen in die Luft pusten. Auch Musik hält die Physiotherapeutin für sehr wichtig. Das soll die geistige Leistungsfähigkeit anregen. Daher gehören Klatschspiele zum Programm.

Den Anstoß, ein Bewegungsprogramm für Menschen mit Demenz zu entwickeln, hat eine ehrenamtliche Mitarbeiterin der Ilse Kubaschewski-Einrichtung in Starnberg gegeben. Ihr Ehemann ist Filmemacher, der laut Wening schon mehrmals Sport- und Fitnessfilme produziert hat. Die Zusammenarbeit mit dem Filmemacher war deshalb naheliegend. Für die Übungen wurden zwei Schauspieler verpflichtet sowie zwei Betreuer, gedreht wurde im Tabaluga-Haus am Maisinger See in Jägersbrunn. Wening hat zwar die Bewegungsabläufe überwacht und korrigiert, ist aber selbst im Film nicht zu sehen. "Ich bin nicht fotogen", begründet sie ihre Zurückhaltung. "Doch es hat extrem viel Spaß gemacht und auch die Teilnehmer waren Feuer und Flamme."

Wening, die das Projekt ehrenamtlich übernahm, hatte sich bis dahin nicht näher mit Demenz befasst; denn in ihre Praxis kommen vorwiegend Menschen mit körperlichen Beschwerden. Erst für das Bewegungsprogramm hat sie sich intensiv mit der Erkrankung beschäftigt. Sie hat Fachliteratur gewälzt und erfahren, dass die Erkrankung in mehreren Phasen verläuft. Zunächst sind die Patienten nur vergesslich. Später kommt es zu Angstzuständen bis hin zu Depressionen, in denen sich die Betroffenen selbst verlieren. "Sie schämen sich und ziehen sich zurück." Nach ihren Erfahrungen schreitet die Erkrankung "galoppierend" voran. Es gebe immer mehr jüngere Betroffene ab 65 Jahren. Von einem Alter von 90 Jahren an sei jeder Dritte dement. Ziel des Programms ist es daher, die Menschen präventiv zu behandeln.

Durch Bewegung sinkt das Risiko einer Erkrankung

Durch Bewegung kann ihrer Erfahrung nach das Risiko einer Erkrankung vermindert werden. Wie Wening erklärt, wird durch Bewegung die Durchblutung im Gehirn angeregt, wodurch die Plaquebildung herabgesetzt wird. Bewegung hat nach ihren Erkenntnissen zudem Einfluss auf die Bildung jener Hormone, die für die Bildung neuer Nervenzellen im Gehirn verantwortlich sind. "Dadurch bleibt das Denkvermögen länger erhalten", weiß Wening. Die Übungen stärken Beweglichkeit, Kraft, Koordination sowie Ausdauer. Sie können ohne Geräte und je nach Bedarf auch einzeln absolviert werden. Es sei kein Pflichtprogramm, es solle vor allem Spaß machen, sagt Wening.

Da manche von ihren Patienten an Demenz erkrankt sind, hat sie die Übungen mit ihnen ausprobiert. Ein dementer Patient ist bei ihr wegen Schulterproblemen in Behandlung. Wie sie sich erinnert, gab es mehr Stillstand als Fortschritt. Die Bewegungsübungen hätten ihm jedoch so viel Freude bereitet, dass er ein Erfolgserlebnis hatte. Er habe schon nach kurzer Zeit seinen Arm wieder höher heben können, freut sich die Physiotherapeutin, die ihren Beruf seit 30 Jahren "mit Leib und Seele" ausübt. Der größte Erfolg für Wening ist jedoch, wenn sie den betroffenen Patienten ein Lächeln entlockt. "Lachen ist gut und ganz wichtig für die Lebensqualität."

Informationen zum Übungsprogramm "Demenz und Bewegung" gibt es bei der Ilse Kubaschewski Stiftung in Starnberg unter der Telefonnummer 08151 65054-10. Es kann auch auf PC, Smartphone oder Tablet heruntergeladen werden unter www.demenz-bewegung.de .

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