Missbrauch in der Kirche:Belastend auch bei der Wiedergutmachung

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Dunkle Wolken über einem Kirchturm: Betroffene beklagen den Umgang der katholischen Kirche mit Missbrauchsfällen. (Foto: Jan Eifert/IMAGO)

Bei einer Veranstaltung in Breitbrunn geht es um die Frage, wie gut die katholische Kirche Missbrauchsfälle aufarbeitet. Dabei stellt sich heraus: Es ist ein Thema, das immer noch zu wenig Aufmerksamkeit erfährt.

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Herrsching

Ein Mann ist als Bub etwa 30 Mal von einem Priester vergewaltigt worden. Seine Entschädigung von der Kirche: 1000 Euro. "Die Opferentschädigung ist entwürdigend", kritisiert Agnes Wich, ehemaliges Mitglied des Betroffenenbeirats München. Ihren Angaben zufolge überlegen sich deshalb viele Opfer, ob sie den Missbrauch überhaupt melden. Dabei müsste in die Entschädigung viel mehr einfließen: Durch Missbrauch betroffene Personen sind traumatisiert und ihre Lebenswege wurden zerstört.

Auch das lange Verfahren ist aufwendig und demütigend. "Es ist ein unglaublich belastendes Prozedere", sagt Wich. Betroffene müssen detaillierte Angaben machen, denn die Beweislast liege beim Opfer. Dieses Verfahren gehe auf Kosten der Lebensqualität. Wich fordert stattdessen eine Wiedergutmachung durch die Kirche und eine Entschuldigung der Täter. Doch leider bestehe in der Kirche keine hohe Aufarbeitungsbereitschaft, alles gehe immens langsam.

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Wich weiß, wovon sie spricht. Auch sie war als Kind etwa anderthalb Jahre lang missbraucht worden. Auf der Veranstaltung zum Thema "Aufarbeitung Missbrauch, reicht das?", zu dem der Offene Gesprächskreis der Katholischen Pfarreiengemeinschaft Ammersee-Ost am Samstag nach Breitbrunn eingeladen hatte, redete sie offen über das Thema. Sie selbst sei alkoholabhängig geworden, nach jahrelanger Therapie aber abstinent. "Es hat mich innerlich zerrissen", sagte Wich. Sie glaubt zwar noch an Gott, aus der Kirche aber ist sie ausgetreten: "Ich sehe meine Heimat nicht mehr in der katholischen Kirche."

Scharf wurde auf der Veranstaltung kritisiert, dass sich der Staat vollkommen zurückhält. Erst wenn ein Opfer Strafanzeige erstattet, so Wich, folgt ein juristisches Verfahren. "Da nimmt sich der Staat aus seiner Verantwortung heraus", monierte die Grünen-Landtagsabgeordnete Gabriele Triebel. Voraussetzung für eine Anzeige ist ihrer Ansicht nach, dass die Opfer geschützt werden und das Trauma nicht nochmals durchleben müssten. Nur eine Telefonnummer als Anlaufstelle reiche nicht, es sei geschultes Personal erforderlich. Wich plädiert für eine unabhängige Stelle, da die meisten Betroffenen keinen Kontakt mehr zur Kirche wollten. Bislang bestehe die Unterstützung einzig darin, dass man in die Warteschlange für einen Therapieplatz eingereiht werde.

"Es hat mich innerlich zerrissen": Agnes Wich bei der Podiumsdebatte in Breitbrunn. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Den Diskutanten zufolge mauern die Verantwortlichen der Kirche aber und lassen die Opfer alleine. Wie Triebel erklärte, habe sie das Thema Missbrauch auf einer Papst-Audienz angesprochen. Der Papst habe geantwortet, sie solle für ihn beten. Das zeige die Hilflosigkeit. Der Täter werde lediglich nach Kirchenrecht verurteilt, wonach seine Tat laut Pastoralreferentin Ruth Hoffmann als Verstoß gegen den Zölibat gewertet wird - und der Täter werde meistens nur versetzt. "Es geht um Geld, um Macht", erklärte Wich, "und oft auch um Verjährung".

Eine Besucherin wies darauf hin, dass es seit 2012 ein Schutzkonzept für Kindergärten geben muss. Wie Hoffmann erläuterte, sind diese Vorgaben in der Diözese Augsburg auch für Schulen verpflichtend: Bis 2029 müsse jeder Bereich über ein auf ihn speziell zugeschnittenes Sicherungskonzept verfügen, das beispielsweise ein mögliches Gefahrenpotenzial aufzeigt oder sichere Verhaltensmuster - etwa, dass sich immer mehr als zwei Personen in der Sakristei aufhalten sollten.

Verurteilung nur nach Kirchenrecht: Pastoralreferentin Ruth Hoffmann kritisiert die aktuelle Situation. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Neben Kindern und Jugendlichen sind oftmals auch Frauen betroffen. Wie Triebel betonte, ergaben Hochrechnungen, dass jede dritte Ordensschwester entsprechende Erfahrungen gemacht hat. Es gebe keine Daten, was passiere, wenn eine Nonne schwanger werde. Müsse sie abtreiben? Was passiert mit Kindern, die aus einem Missbrauchsfall hervorgehen?

Frauen im Priesteramt lösen das Problem nach Wichs Ansicht nicht. Es gebe genügend Missbrauchsfälle von Nonnen an Kindern in Kinderheimen, erklärte sie. Die Besucher der Veranstaltung forderten, auch Sportvereine und die evangelische Kirche sollten in die Problematik einbezogen werden. "Wir müssen viel ändern", sagte Diakon Mario Kossmann. Allerdings erscheine es unwahrscheinlich, dass es schnell zu Änderungen kommen werde. Zur Veranstaltung in Breitbrunn waren nur elf Besucher gekommen: Die Thematik hätte mehr Aufmerksamkeit verdient.

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