Bernried:Die Poesie des Papiers

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"Shiro", auf deutsch "Weiß", ist eins der Werke der japanischen Papierkünstlerin Akiko Tomikawa, die in der Galerie Marschall ausgestellt sind. (Foto: Franz X. Fuchs)

Akiko Tomikawa hat eine japanische Tradition weiter entwickelt und schafft so filigrane Kunstwerke

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Bernried

Papierfäden funkeln im Licht wie ein fein gewebtes Spinnennetz. "Shizuku", Tropfen, heißt die Installation von Akiko Tomikawa, die derzeit in der Galerie Marschall zu sehen ist. Die Leidenschaft der Künstlerin gehört dem Japanpapier, das sie selbst herstellt. "Washi" heißt das handgeschöpfte Material, das filigran und einzigartig wirkt. Die Arbeiten seit 1989 in Deutschland lebenden Künstlerin basieren auf Tradition, schon in ihrer Kindheit war sie vom Werkstoff fasziniert: Die mit Papier bespannten Schiebetüren in ihrem japanischen Elternhaus haben Tomikawa wesentlich beeinflusst. Die Künstlerin hat ihre Technik vervollkommt. Sie kann ein so feines und doch stabiles Gewebe erzeugen wie sonst nur die Natur.

Zur Vernissage gab der ehemalige Gymnasiallehrer Wolfgang Schwalbe, der seine Kindheit in Japan verbracht hat, einen Überblick über die Kunst des Papierschöpfens. Es wird aus einem Faserbrei aus drei verschiedenen Pflanzen hergestellt, dem Aschenlauge und Leim zugefügt werden. So kann das Schöpfsieb mehrmals eingetaucht und die Dicke des Papiers variiert werden. Tomikawa hat den traditionellen Brei abgewandelt: Statt der üblichen Maulbeer- verwendet sie Leinenfasern. Zudem bewegt sie das Schöpfsieb nicht nach allgemeinen Regeln, sondern frei und kann so die Gestalt des Papierbogens beeinflussen.

"Westliches Papier ist kaum mehr als ein Gebrauchsgegenstand. Aber die Textur des japanischen Papiers gibt uns ein gewisses Gefühl der Wärme, Stille, Ruhe", zitierte Schwalbe den Schriftsteller Tanizaki Junichiro. Washi-Papier macht keine Geräusche, wenn es geknüllt oder gefaltet wird, es ist ruhig und geschmeidig. Ein weiterer Unterschied ist, dass westliches Papier das Licht zurückwirft. Japanpapier indes scheint Licht aufzunehmen und langsam wieder an den Raum abzugeben.

Die vorhangähnliche Installation "Shizuku" bewegt sich nicht nur sanft bei jedem Windhauch. Ähnlich einer Bambuspflanze ist die Installation beseelt: Die Künstlerin dreht die Fäden und hängt sie senkrecht auf, Schwalbe nennt das Schwingen "pulsierenden Rhythmus". Bei anderen Kunstwerken erzeugen unzählige Lamellen bei jeder Bewegung ein feines Rascheln, wie Herbstlaub. Tomikawa webt Papierfasern zu einem Teppich, näht oder presst das Leinenpapier und überzieht es mit Wachs. Ein anderes Mal webt sie Metall- oder Baumwollfäden ein zu einem zarten Muster, wie etwa bei "Sabi", Rost.

Die Werke sind stabil wie ein Baumstamm oder federleicht wie eine Nebelszenerie. Immer jedoch ist das Papier lichtdurchlässig und erzeugt so zu unterschiedlichen Tageszeiten verschiedene Abstufungen in Wirkung und Farbe. Die filigranen und stark reduzierten Kunstwerke strahlen eine metaphorische Poesie und meditative Ruhe aus, die durch bewusst gesetzte Lücken an den Wänden verstärkt wird. Denn Leerstellen sind ein wichtiges Kompositionsmittel der ostasiatischen Kunst, sie lassen dem Objekt Raum, sich zu entfalten.

Die Ausstellung "Japanische Papierkunst" ist noch bis 29. November zu sehen. Die Galerie ist samstags und sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet.

© SZ vom 12.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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