Bernried:Abenteuerliche Reise

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Wendig, beherrscht, virtuos: die Pianistin Anna Buchberger kurz vor ihrem Konzert in Bernried. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Herausragend: Die junge Pianistin Anna Buchberger im Barocksaal des Klosters

Von Reinhard Palmer, Bernried

Ihren Namen wird man gewiss schon bald in den Feuilletons lesen können. Noch ist die junge Pianistin Anna Buchberger (Jahrgang 1993) offenbar dabei, sich beim legendären Leon Fleisher in den USA den letzten Schliff zu holen. Doch sie ist jetzt schon eine reife Pianistin, nicht nur musikalisch, sondern auch von der Persönlichkeit und Bühnenpräsenz her. Im Herbst 2015 war Buchberger auf Einladung der örtlichen Fördergemeinschaft Musikkreis im Duo mit Henriette Zahn in Bernried zu hören. Nun spielte sie solo im eher schwach besuchten Barocksaal des Klosters. Und da sie Preisträgerin des Wettbewerbs "Ton und Erklärung - Werkvermittlung in Musik und Wort" ist, war es gewiss kein Fehler, Buchberger auch das Wort zu erteilen. Die sonstigen Preise und Stipendien errang sie mit dem reinen Klavierspiel, und dass das verdientermaßen war, legte sie absolut überzeugend dar.

Obgleich sie vom ersten Eindruck her grazil und leichtfüßig wirkt, kann Buchberger gewaltig in die Tasten greifen. Die Kraft in ihren Fingern und deren Schnelligkeit sind außerordentlich und auf eine geradezu perfekte Technik zurückzuführen. Wenn sie zu den Höhepunkten hin verdichtete und große Momente herausarbeitete, dann potenzierte sie die Klangfülle ins Orchestrale. Gewaltige Klangfluten entströmten nun dem Flügel. Besonders spektakulär gelang ihr das in ihrem Bernrieder Programm in Chopins Grande Polonaise brillante op. 22, die ihr einen triumphalen Abgang ermöglichen sollte. Die Entwicklung zum furiosen Finale hin hätte nicht wirkungsvoller geraten können. Ein Feuerwerk virtuoser Pianistik, das Buchberger mit Bravour und überraschend starker Bühnenpräsenz absolvierte. Bei alldem blieb Buchberger aber wendig und beherrscht, das brachte Kontraste und Rücknahmen mit sanfter, melancholischer Melodik führte. Was im fließend wogenden Andante spianato dieses Werkes romantisch und in melodiöser Schönheit begann, schlug damit bis zum Donnerfinale einen Bogen, der Welten überspannte.

Aber Buchberger kann auch geistvoll und beseelt singen, dann wieder in unbeschwerter Frische schwelgen oder heiter ausgelassen tänzeln, bevor es vielleicht in düstere Abgründe geht und den Zuhörern sperrige Klötze um die Ohren fliegen. So kam in etwa Schuberts Sonate a-Moll D 784 daher, deren Kontrastprogramm kaum weitläufiger hätte angelegt werden können. Das Werk markiert die Übergangszeit vom klassischen Frühstil des Komponisten zu den romantischen Werken. Nicht nur Schuberts menschliche Tragik, sondern auch das Ringen um eine neue Form stand also Pate für das dreisätzige Werk. Und Buchberger hatte den Mut, es in der ganzen Zerrissenheit darzustellen. Das Resultat: ein Auf und Ab der Emotionen bei enorm weiter Ausdrucksbandbreite.

Die größte interpretatorische Leistung dabei war zweifelsohne die Konzentration, dieses Wechselbad der Gefühle einem schlüssigen Gesamtkonzept zu unterstellen und die Spannung auf der Höhe zu halten. Und diese Aufgabe meisterte Buchberger mit Bravour auch in der gewichtigen Beethoven-Sonate op. 101, die ja ebenfalls als die erste der fünf späten Sonaten einen Wendepunkt im Werk des Komponisten darstellt. Bis kurz vor Drucklegung korrigierte Beethoven an dieser Sonate herum und kämpfte mit der Form.

Ein dramatischer Akt, der für Anna Buchberger geradezu der Idealfall ist, kann ihr doch offenbar kein Werkentstehungsprozess komplex genug sein. Ihre Wendigkeit und die Fähigkeit, schlüssige Linien zu entwerfen, waren nötig, um das Kontrastprogramm zu bändigen. Lyrisches umherschlendern im Kopfsatz, präzise Marsch-Schärfe im zweiten Satz, sentimentales Sinnieren im dritten, monumentale Fugenstränge zum Abschluss: Das war das Material, aus dem Anna Buchberger reinste Abenteuer kreierte. Grandios, wenn auch emotional etwas distanziert. Frenetischer Applaus und ein stiller Bach in der Zugabe.

© SZ vom 28.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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