Altes Brauchtum:An der Pforte zur Geisterwelt

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"Das Wasser spricht mit mir": An der Station am Lüßbach geht es um den Klang des Wassers. (Foto: Georgine Treybal)

Bei einer dreistündigen Wanderung ins Farchacher Hinterland erklärt Christian Kalinke, welche sonderbaren Mythen sich um die sogenannten Raunächte zwischen den Jahren ranken.

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Berg

In den Raunächten - gerne auch mit H geschrieben: Rauhnächte - sollten alle Räder stillstehen. Denn an diesen zwölf Tagen zwischen den Jahren dreht sich das Schicksalsrad - und das dürfe nicht gestört werden, hat Christian Kalinkes Großmutter stets erklärt. "Wenn es stürmt in dieser Zeit, steht zu befürchten, dass das Jahr unruhig wird", erklärt der "Ureinwohner von Berg", wie er sich selbst bezeichnet.

Kalinke hat am vergangenen Donnerstag im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Bergspektiven" auf eine Exkursion in die Farchacher Moorlandschaft eingeladen. Das Thema des 66-Jährigen sind die Raunächte, die von zahlreichen Mythen und Legenden begleitet werden. Eigentlich müsste die Veranstaltung aber "Kindheitserinnerungen" heißen. Denn Kalinke berichtet während der Wanderung ausführlich darüber, wo er als Bub mit den Händen schwarz gefischt oder wo er mit seiner Großmutter bei Vollmond Kräuter gesammelt hat.

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All das hat aber irgendwie auch mit dem eigentlichen Thema zu tun. Denn mit diesen Kräutern hat die Großmutter an den Haupttagen der Raunächte, also zur Wintersonnenwende am 21. Dezember, an Silvester und am Dreikönigstag, das Haus ausgeräuchert. Wie sich Kalinke erinnert, hat sie dafür ihr uraltes Bügeleisen genommen, das noch mit Kohle erhitzt wurde. Auf die glühende Kohle hat sie Salbei und Thymian gelegt und ist durch das Haus gegangen. Dabei waren alle Fenster und Türen weit geöffnet, damit die negative Energie entweichen konnte.

In die Ecken und auch in die Mitte des Zimmers wurde Weihwasser oder Quellwasser gesprüht. Manchmal habe die Großmutter auch Steine in ein Glas Wasser gelegt und es an das Fenster in die Sonne gestellt, erzählt Kalinke.

Der ehemalige BMW-Manager Christian Kalinke bei seiner Raunächte-Führung. (Foto: Georgine Treybal)

Neben der Geschichte mit dem Schicksalsrad hat die Großmutter ihrem Enkel auch erklärt, warum sie auf der Streuobstwiese vor dem Haus Essen für die Tiere platziert oder warum er sich als Bub an Silvester eine Kerze aussuchen durfte. "Damals wurde die Kerze mit Reinigung verbunden", so Kalinke. Auch das Räuchern diente der Reinigung. Es sollte nicht nur die negative Energie, sondern auch die bösen Geister vertreiben. Denn die Vorfahren glaubten fest daran, dass an den Raunächten die Naturgesetze außer Kraft treten und sich die Grenzen zum Geisterreich öffnen.

Welche Kräuter zum Räuchern verwendet wurden, war von Region zu Region verschieden. In Bayern wird gewöhnlich, wie bei Kalinkes Großmutter, Salbei und Thymian verwendet. Der ehemalige BMW-Manager hat in Schottland erfahren, dass dort Wacholder benutzt wird. Er selbst praktiziere noch immer den alten Brauch des Räucherns, sagt Kalinke. Welches Kraut verwendet werde, das überlasse er aber seiner Ehefrau.

"Beifuß ist ein Räucherkraut, das Dinge in den Fluss bringt": Eine Teilnehmerin der Exkursion schwört darauf, angezündeten Beifuß einzuatmen. (Foto: Georgine Treybal)
Für was brennst du? Station im Wald am Lüßbach. (Foto: Georgine Treybal)

Während der knapp dreistündigen Tour zündet eine Teilnehmerin Beifuß an. "Beifuß ist ein Räucherkraut, das Dinge in den Fluss bringt", sagt sie. Kalinke selbst räuchert während der Exkursion nichts. Dafür aber hat er in einem Eisenkorb Holz angezündet und erinnert daran, dass es früher am 21. Dezember Winter-Sonnwendfeuer gegeben habe.

Kalinke macht die vier Elemente zum Thema der Wanderung durch das Moor. Die erste Station ist der Feuerkorb. Die rund 20 Teilnehmer sollen sich überlegen, was sie mit dem Begriff Feuer verbinden - also Wärme, Energie, Überleben, aber auch Gefahr, Rauch und Schmerz. Anschließend stellt er die Aufgabe, dass sich jeder Teilnehmer auf seinen Weg zur nächsten Station in Ruhe für sich überlegen soll, für was er brennt.

Auch an einem Biberbau kommt man auf der Route der Raunächte-Wanderung vorbei. (Foto: Georgine Treybal)

Der nächste Halt ist ein Biberbau, etwas weiter entfernt ist eine Biberrutsche zu sehen. Nach den Erklärungen des Jägers Joachim Siebenwirth geht es weiter zu seinem Hochstand, der auf einer kleinen Insel am Hälsbach steht. Hier gab es früher ein Wehr. Siebenwirth hat ein sogenanntes Kreuzungswerk mit Fischtreppe und rauer Rampe angelegt. Kalinke macht auf die verschiedenen Klänge des Wassers aufmerksam. "Es rauscht und flüstert. Das Wasser spricht mit mir", ist er überzeugt.

Wasser fließt, also gibt Kalinke den Teilnehmern zu diesem Element mit auf den Weg, sie sollen sich überlegen, wo sie hinwollen oder wie sie mit den Widrigkeiten des Alltags umgehen. Weiter geht es zu den Elementen Luft und Erde. Auf diesen Stationen sollen sie über ihre eigene Erdung, ihre Stabilität und ihren inneren Frieden nachdenken. Denn bei den Bergspektiven sollen die Teilnehmer die Veranstaltung am Ende schlauer verlassen als sie gekommen sind, sagt Kalinke.

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