Berg:Auf den Grund gegangen

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Vor Berg liegt im Starnberger See das Wrack eines Lastkahns, das vor mehr als hundert Jahren im Sturm gesunken ist. Der Taucher Lino von Gartzen hat jetzt die Geschichte rekonstruiert.

Von Katja Sebald, Starnberg/Berg

Es hatte schwere Dachschindeln geladen, wahrscheinlich für eine im Bau befindliche Villa am Starnberger See oder für Schloss Berg. Entweder war das Schiff überladen oder es geriet in einen Sturm. Es sank schnell und liegt seit 1910 auf dem Grund des Sees - fast unberührt. Bei Tauchern ist das "Schindelwrack" bekannt. Die Stelle, an dem das Wrack liegt, ist jedoch auf keiner Karte verzeichnet. Sie wird unter Tauchern, wie es durchaus üblich ist, als "Tauschware" gegen andere spektakuläre Fundstellen gehandelt. In Geschichtsbüchern und Ortschroniken sucht man das Schindelwrack vergeblich. Das wird sich ändern: In diesem Sommer soll das gesunkene Boot einen großen Auftritt in einer Ausstellung im Museum Starnberger See bekommen - und damit die kaum bekannte Transportschifffahrt auf dem See in den Fokus rücken.

Es ist dem passionierten Taucher Lino von Gartzen zu verdanken, dass man die Geschichte des Schindelwracks zumindest in Ansätzen rekonstruieren kann. Der 44-jährige Berger hatte vor einigen Jahren bereits von sich reden gemacht, als es ihm aufgrund seiner Untersuchungen unter Wasser und vor allem wegen seiner unermüdlichen Recherchen gelungen war, das Geheimnis um den Tod von Antoine de Saint-Exupéry zu lüften. Mit derselben Gründlichkeit ging er vor, als er bei einem seiner Tauchgänge vor Berg auf ein mit Dachschindeln beladenes Wrack stieß. Und so wusste er bald, dass es sich bei diesem Fund um ein Boot handeln musste, das Taucher bereits in den 1970er Jahren entdeckt hatten. Damals hatten sie die sogenannte "Bugschnecke" abgerissen, eine in früheren Zeiten typische Verzierung der Fischerboote am Starnberger See. Die gut erhaltene Bugschnecke ist über die Bestände des mittlerweile aufgelösten "Fördervereins Schifffahrtsmuseum" ins Museum Starnberger See gelangt, wo sie derzeit noch im Depot schlummert.

Aber Gartzen gab sich mit dieser Erkenntnis nicht zufrieden und grub sich fortan tief in die Geschichte der Fischerei und des Transportwesens am Starnberger See ein. Und so stieß er bald auf den Fischermichel aus Ammerland, der wohl Besitzer und Kapitän des Bootes war, das bei jener Transportfahrt gesunken war. "Beim Fischermichel" ist der Hausname der alteingesessenen Familie Böck in Ammerland, die noch heute einen Fischereibetrieb hat. Die Geschichte dieses Fischlehens lässt sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Rund um den See bekannt waren aber vor allem zwei Mitglieder der Familie: Der 1826 geborene Josef Böck, der ursprünglich aus Tutzing stammte und den Hof durch Heirat übernommen hatte, und sein 1862 geborener Sohn Hansjörgl. Während die Berühmtheit des Vaters auf seiner legendären Trinkfestigkeit beruhte, wurde der Sohn wegen seiner enormen Muskelkraft allgemein nur "Herkules" genannt.

Vater und Sohn betrieben neben der Fischerei eine Frachtschifffahrt und lieferten Baumaterial zu den zahlreichen Baustellen rund um den See. Am Bahnhof in Starnberg hatten sie ein eigenes Gleis, von dem aus sie ihre Boote beluden. Angeblich, so die Legende, waren sie so stark, dass sie einen Güterwaggon aus den Gleisen heben konnten, wenn das Umrangieren zu umständlich war. Die Böcks hatten mit der 13 Meter langen "Josefine" zu ihrer Zeit das größte Transportboot am See. Auch dieses Boot, das unter anderem die Steine und Ziegel für den Bau der Seeburg und der Votivkapelle geliefert hatte, fand seinen letzten Ruheplatz auf dem Seegrund. Das Wrack liegt in achtzig Metern Tiefe an der berühmt-berüchtigten Steilwand vor Allmannshausen.

Bei seinen Recherchen stieß Lino von Gartzen auf ein um 1910 entstandenes Foto, das ein Mitglied der Familie Böck auf einem mit Bierfässern beladenen kleineren Boot zeigt. Aufgrund der Größe und Form des Schiffskörpers ist er überzeugt, dass es sich dabei um das Boot handelt, das wenig später mit einer Ladung Dachschindeln vor Berg sank. Die Steinschindeln, die nicht aus der Gegend stammten und wahrscheinlich mit dem Zug in Starnberg angekommen waren, könnten für das Schloss Berg bestimmt gewesen sein. Es sind nicht bunte Fische und Korallen, sondern genau solche Geschichten, die Lino von Gartzen am Tauchen faszinieren: "Man findet eine alte Bierflasche und stößt dann auf die Historie einer Brauerei."

Die Stellen am Grund, die im Starnberger See wie auch in anderen bayerischen Seen von Tauchern aufgesucht werden, seien relativ klein. Für ihn aber wird es immer dann spannend, wenn er "mitten in Bayern zu Orten taucht, an denen noch nie ein Mensch gewesen ist." Und wer weiß, welches Geheimnis er noch entdeckt. Im See liegt noch manches verborgen.

© SZ vom 07.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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