Ausstellung:Kubas bröckelnde Schönheit

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Die Fotografin Sabine Thier lässt in ihren Bildern von privaten Wohnungen die glanzvollen Zeiten der Insel erahnen und zeigt Räume voller Lebensspuren

Von Katja Sebald, Starnberg

Eigentlich wollte sie in Kuba nur Salsa tanzen lernen, dann aber verliebte sie sich gleich in das ganze Land und seine morbide Schönheit. Drei Mal bereiste Sabine Thier kubanische Städte, um die Menschen und vor allem ihre Wohnungen zu fotografieren. Unter dem Titel "Habitat Kuba" zeigt sie jetzt Interieurs und Straßenszenen in den Räumen der Firma Compact Dynamics in Starnberg.

Sie sei tagelang und kilometerweit durch Havanna gelaufen und habe überall durch weit geöffnete Türen und Fenster in fremde Häuser geschaut. Es sei eine Frage des Klimas, vielleicht aber auch der Mentalität oder schlichtweg der Umstände: In Kuba gibt es keinen Grund, private Wohnräume zu verschließen, denn darin findet sich nichts von materiellem Wert. Die weitaus meisten Menschen leben in äußerst improvisierten Verhältnissen, in ehemals herrschaftlichen Häusern und Villen, an denen jedoch seit langem der Zahn der Zeit nagt, weshalb sie oft kaum mehr als Ruinen sind. Auf das Interesse der Fotografin an ihrem Zuhause haben die Bewohner zumeist mit Belustigung oder aber mit großer Neugier reagiert. Das Besondere, das Schöne und den Reiz des Morbiden können sie freilich selbst nicht sehen.

Man könnte nun meinen, die Aufnahmen von Sabine Thier hätten etwas Voyeuristisches. Da ist zum Beispiel dieses Wohnzimmer, das einstmals ein eleganter Salon gewesen sein dürfte. Die Möbel stammen aus dieser Zeit, es sind - oder besser: es waren - ausladende und komfortable Ledersessel. Aber vom Leder ist nicht mehr viel übrig, vielleicht haben es Mäuse oder Ratten weggefressen, vielleicht war es so brüchig, dass es einfach abgefallen ist. Eine hässliche Kraterlandschaft aus Schaumstoff bildet jetzt die Sitzfläche. Und dennoch stehen Nippes und Alltagsgegenstände herum, die Sitzecke ist ganz offensichtlich noch im Gebrauch. Oder diese Küche, die jemand in einem optimistisch strahlenden Gelb gestrichen hat - aber das ist wohl schon sehr lange her, die Farbe ist fleckig und bröckelt von den Wänden. Es gibt keine Schränke und kein Geschirr, nur Altes, Schäbiges und Zusammengesuchtes, das an Nägeln an der Wand hängt oder auf Regalen gestapelt ist. Eine unsäglich rostige Wendeltreppe führt irgendwo ins Nichts, vielleicht in ein ehemaliges Speisezimmer einer ehemaligen Herrschaft. Und doch steht mitten in diesem ärmlichen Raum auf einem ärmlichen Tisch höchst dekorativ eine Vase mit Blumen.

Sabine Thier inszeniert diese Innenräume nicht, sie fotografiert, was sie vorfindet. Detailgenau, tiefenscharf und meistens im Sonnenlicht. Sie hat einen feinen Blick für Farbklänge und Harmonien, für architektonische Besonderheiten, die von den glanzvollen Zeiten Kubas erzählen. Ihre Bilder sind auch Dokumentationen des Verfalls. Man kann erahnen, dass sie Perfektionistin ist, dass sie so lange sucht, bis sie das findet, was sie braucht, um eine Geschichte zu erzählen.

Man erahnt aber zugleich, dass es ihr bei diesen Geschichten nicht um Farbe und Architektur geht, sondern dass sie vielmehr Geschichten von Menschen erzählen will. Ihre Bilder von menschenleeren, aber bewohnten Räumen sind wie Portraits von alten Leuten. Es sind Räume, die wie Menschen vom Leben gezeichnet sind, aber die Fotografin sieht gerade in diesen Räumen voller Lebensspuren eine ganz besondere Schönheit und eine große Würde. Und vor allem gibt sie den Leuten, die darin wohnen, ihre Würde zurück, den Menschen und vielleicht dem ganzen Land.

"Habitat Kuba" ist bis zum 10. März 2017 jeweils von Montag bis Donnerstag von 9 bis 17 Uhr und freitags von 9 bis 13 Uhr bei Compact Dynamics, Moosstraße 9 in Starnberg, zu sehen.

© SZ vom 29.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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