Asylpolitik:Der lange Weg zur Integration

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Martina Moritz, Angelika Hammer-von-Au und Stefanie Häderer (v.li.) vom SOS begleiten Achmed, Shahidullah, Hajar und Akhil (nicht im Bild). (Foto: Spielhofen/oh)

Das SOS-Kinderdorf Ammersee-Lech hat seit 2014 insgesamt 115 unbegleitete Kinder und Jugendliche aus Krisenländern unter seine Fittiche genommen. Die meisten davon haben eine Ausbildung angetreten, aber es gibt auch Problemfälle

Von Armin Greune, Dießen/Landsberg

Vier Jahre ist es her, dass sie sich auf einen gefährlichen Weg ins Ungewisse begaben. In der Heimat mussten sie um Leben und Gesundheit fürchten, manche wurden aufgrund ihrer Religion oder ethnischen Abstammung verfolgt. Ohne Begleitung der Eltern reisten Kinder und Jugendliche durch Nordafrika. Sie vertrauten sich Schleppern an, die versprachen, sie auf Seelenverkäufern übers Mittelmeer ins vermeintlich sichere Europa zu bringen. Oder sie nahmen den Landweg über die Türkei, Bulgarien, Serbien, Ungarn und Österreich, wurden von Polizisten misshandelt, von Schleusern im Stich gelassen, von Ausbeutern ausgenutzt, in Lkws und Busse eingepfercht oder liefen sich die Schuhe auf Straßen, Wäldern und Wiesen durch.

115 geflüchtete Kinder und Jugendliche hat das SOS-Kinderdorf Ammersee-Lech seit 2014 unter seine Fittiche genommen. Trotz der traumatisierenden Erlebnisse in der von Krieg geplagten Heimat und auf der wochenlangen Flucht sind die allermeisten inzwischen auf einem guten Weg. Den aktuellen Zahlen nach wurde nur ein einziger junger Erwachsener wegen strafrechtlicher Probleme zurück nach Tunesien geschickt. Ein weiterer muss aufgrund auffälligen Verhaltens mit seiner Abschiebung rechnen. Ein junger Erwachsener war zunächst in der Jugendpsychiatrie, jetzt ist er in einer therapeutischen Einrichtung untergebracht. Und ein Schwarzafrikaner hätte zwar eine Ausbildungsstelle, erhält aber keine Arbeitserlaubnis.

13 junge Männer sind mittlerweile aus der Jugendhilfeeinrichtung entlassen worden, zwei wurden umverteilt. Deshalb ist man in Dießen und Landsberg über ihre berufliche Integration nicht mehr auf dem Laufenden. Neun junge Erwachsene haben inzwischen Arbeit gefunden, elf Asylbewerber gehen noch zur Schule. Fünf erhalten aufgrund von seelischen Behinderungen Eingliederungshilfen nach dem Sozialgesetzbuch: Einer davon hat eine Lehre angetreten, vier haben an der Förderschule gute Aussichten auf begleitende Ausbildungen. 15 sind derzeit auf der Suche nach einer Lehrstelle. Mindestens fünf hätten bereits Zusagen, sagt Mareike Spielhofen vom SOS-Kinderdorf in Dießen, "die Zahlen ändern sich täglich".

Die meisten der jungen Männer haben eine Ausbildung angetreten: 55 sind es insgesamt, zwei davon haben gerade die Gesellenprüfung abgelegt. Spielhofen hat drei Einzelschicksale herausgegriffen, die charakteristisch sind für Probleme, mit denen junge Flüchtlinge, aber auch ihre Lehrherren, konfrontiert werden. Sie gehörten zu den ersten unbegleiteten Jugendlichen, die nach Landsberg kamen. Das SOS-Kinderdorf schuf im Auftrag des Jugendamtes Einrichtungen. Dank engagierter Mitarbeiter, hilfsbereiter Bürger und Glück bei der Suche nach Räumlichkeiten war das anfängliche Chaos, wie es angesichts der Asylbewerber 2014 vielerorts in Deutschland herrschte, rasch überwunden.

Doch für die Jugendlichen brach keine sorgenfreie Zeit an: Noch immer müssen viele befürchten, von der Ausländerbehörde zurückgeschickt zu werden. Die bürokratischen Hürden sind hoch: Reisepässe und Dokumente müssen aus Ländern angefordert werden, die nur in den seltensten Fällen mit deutschen Ämtern kooperieren. Viele leben inzwischen in teilbetreuten Wohnungen, die meisten in Landsberg. Nachdem das SOS-Kinderdorf das ehemalige Hotel "Drei Rosen" geräumt hat, sind noch 14 junge Männer in Dießen untergebracht: Zehn davon im SOS-Kinderdorf, vier in einer WG an der Rotter Straße.

Shahidullah etwa wurde kürzlich in einer Anhörung vier Stunden lang befragt: Dem Afghanen droht die Abschiebung, obwohl er in einer Ausbildung als Kfz-Mechatroniker steckt. Grund: Seine Fluchtmotive werden bezweifelt. "Ich wollte nicht von meiner Mutter und meiner Schwester weg. Mein Onkel hat mich weggeschickt, um mich zu schützen" - andernfalls hätten ihn die Taliban rekrutiert, sagt Shahidulla in fließendem Deutsch. Man kann sich vorstellen, wie der junge Mann als Verräter von der islamistischen Miliz empfangen würde, wenn er zurückgeschickt wird.

Achmed floh als Zwölfjähriger mit seiner Familie aus Syrien nach Libyen, mit 15 zog er allein weiter. In Landsberg schaffte er in kürzester Zeit den Quali, seit kurzem hat er die Ausbildung als Dachdecker abgeschlossen. Während er in einer SOS-Wohngruppe untergebracht war, hat er wie alle anderen Azubis drei Viertel seines Lehrgelds an den Staat abgegeben. Inzwischen ist der 19-Jährige bei seinem Lehrherren als Geselle beschäftigt. Jetzt wohnt er in eigener Wohnung, anfängliche Vorbehalte seiner deutschen Kollegen seien inzwischen behoben. Achmed: "Wir sind doch alle nur Menschen."

Auch für Akhil ist der Behördenmarathon vorerst beendet. Er hat seine Lehre geschafft, eine Wohnung gefunden und die Erlaubnis, für weitere zwei Jahre zu bleiben: "In den letzten drei Monaten hatte ich nur gute Nachrichten", freut sich der 21-Jährige, der aus Indien kommt. Wie Achmed wurde er von seinem Arbeitgeber, den Stadtwerken Landsberg, übernommen. Sein Ausbilder Rainer Förstl hat in den vergangenen drei Jahren Akhils Höhen und Tiefen miterlebt. Förstl hatte anfangs keine Ahnung, dass in der Lehrzeit Probleme mit dem Bleiberecht auftauchen könnten: "Das ist für alle nicht gut!", schließlich investieren auch Arbeitgeber Zeit und Geld beim Bemühen, die Flüchtlinge ins Berufsleben zu führen. Und natürlich hoffen die Betriebe, dass ihnen angesichts des Fachkräftemangels geeignete Mitarbeiter erhalten bleiben. Ein Teil der Azubis wünscht sich, bleiben zu können. Andere möchten wieder zurück, wenn zuhause wieder Frieden und Sicherheit herrschen. "Doch was wäre dann in ihrem Heimatland eine halbe Lehre wert?", fragt Förstl.

© SZ vom 10.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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