Starkbieranstich am Nockherberg 2012:Mehr geneckt als derbleckt

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Bei ihrem zweiten Auftritt als Bavaria hat Luise Kinseher aus den Fehlern gelernt: Die Pointen sind dichter gesetzt. Ob Christian Ude, der "zukünftige ehemalige Oberbürgermeister", Horst Seehofer, der "aus'gschamte Zocker", oder der "brünftige Hobbit" Hubert Aiwanger - alle bekommen beim Starkbieranstich am Nockherberg ihr Fett weg. Doch das anschließende Singspiel enttäuscht.

Wolfgang Görl

Der bayerische Defiliermarsch ist verklungen, die Stammwürze des Salvatorbieres unter Jubel verkündet, Ministerpräsident Horst Seehofer hat den ersten Schluck genommen, und endlich hat auch jeder im Paulaner-Festsaal auf dem Nockherberg sein Freibier - dies ist der Moment, in dem die Bavaria auf die Bühne tritt.

Impressionen vom Nockherberg
:Spritzig, witzig, süffig

Starkbieranstich auf dem Nockherberg: Kabarettistin Luise Kinseher hat sich zum zweiten Mal die Volkstvertreter vorgeknöpft - und fast alle haben ihr Fett abbekommen.

Und Luise Kinseher, die aktuelle Verkörperung der bayerischen Patronin, legt gleich heftig los: "Der Christian Ude! Unser zukünftiger ehemaliger Oberbürgermeister. Er denkt sich: Wenn im Bayerischen Wald ein junger schwuler Sozi Landrat werden kann, dann kann auch ein alter verheirateter Sozi Ministerpräsident werden."

Das freut vor allem seinen Konkurrenten Seehofer, doch der bekommt auch gleich sein Fett weg. Der Seehofer nämlich, verrät die Bavaria, habe sie neulich telefonisch angefleht: "Mama, i brauch a Geld." Darauf die Bayern-Mutter: "Was, ist wieder jemand schwanger?"

Nun, so schlimm ist es dann doch nicht. Er, der Seehofer, hat ja nur versprochen, den Freistaat bis 2030 schuldenfrei zu machen - was der Bavaria missfällt: "Du bist ein ausgschamter Zocker. Springst mit beiden Beinen in die Scheiße, weißt aber vorher, dass sie nicht tief genug ist, um drin zu ersaufen."

Luise Kinseher hat aus den Fehlern ihrer ersten Salvatorrede, die einige Längen hatte, gelernt. Die Pointen sind dichter gesät, der Text ist gestrafft. Nach wie vor aber liebt sie bayerische Kraftausdrücke und einen Humor im Stil der Wirtshaus-Derblecker längst vergangener Zeiten. Da wird die Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner zur "Bauern-Lollobrigida", der Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger zum "brünftigen Hobbit" und die Grüne Margarete Bause zur "feministischen Waldfee."

Für das Derblecken gibt es keine Vorschrift. Man kann die Politiker, wie es seinerzeit Bruno Jonas praktizierte, mit feinen, aber gezielten Nadelstichen tratzen, man kann den wütenden Bußprediger geben wie weiland Michael Lerchenberg - oder man macht es wie Luise Kinseher: als resolute Mama die Kinder zurechtstutzen. Den Markus Söder zum Beispiel: "Markus, aus dir wird einfach nix! Zumindest nix Seriöses."

Oder den Philipp Rösler: "Der quakende Froschlurch, es nimmt ihn doch keiner ernst, außer dem Brüderle, aber der a nur, wenn er bsuffa ist." Oder die alten CSU-Amigos: "Der Wulff hat doch im Prinzip Kleingeld gesammelt und hat es auch noch bar zurückbezahlt. Die bayerischen Amigos geben sich weder mit Kleingeld ab, noch denken sie daran, je irgendwas zurück zu bezahlen."

Am Ende prophezeit sie dem "Horsti" Seehofer einen würdigen Platz im Wachsfigurenkabinett des künftigen Regensburger "CSU-Museums": "Blöd nur, wenn dann der Ministerpräsident Christian Ude die Eröffnungsrede hält. Aber vielleicht bleibt dir das erspart, Horst, weil der Ude sich verfährt."

Im Publikum kommt der zweite Auftritt der Kinseher-Bavaria gut an. Für diesen Teil des Abends am Nockherberg gibt es viel Applaus. Weiter geht es mit dem Singspiel. Alfons Biedermann, der es zum dritten Mal leitet, hatte angekündigt, zu den Wurzeln des Parodie-Spektakels zurückzukehren.

Impressionen vom Nockherberg
:Spritzig, witzig, süffig

Starkbieranstich auf dem Nockherberg: Kabarettistin Luise Kinseher hat sich zum zweiten Mal die Volkstvertreter vorgeknöpft - und fast alle haben ihr Fett abbekommen.

Das satirische Dramolett, so durfte man das verstehen, sollte bayerischer werden, die Nummernrevue vergangener Jahre sollte einem Konzept weichen, das den Figuren größeren Spielraum bietet, mit- und gegeneinander zu agieren. Also hat Biedermann die Zahl der Hauptdarsteller reduziert.

Impressionen vom Nockherberg
:Spritzig, witzig, süffig

Starkbieranstich auf dem Nockherberg: Kabarettistin Luise Kinseher hat sich zum zweiten Mal die Volkstvertreter vorgeknöpft - und fast alle haben ihr Fett abbekommen.

Geblieben aber ist gottlob der großartige Stephan Zinner, der den Powerfranken Söder besser gibt als das Original. Zinners Söder, nunmehr bayerischer Finanzminister, steht zu Anfang auf der weitgehend leeren Bühne, hinter ihm in großer Schrift eine furchterregende Zahl: 2 032 611 032 461. Das sind die Staatsschulden Deutschlands, und die, verkündet Söder, müssen abgebaut werden.

Der Finanzminister weiß auch, wie: Mit der Benefizgala "Nockherberg gegen den Schuldenberg", bei der Politiker Spenden sammeln. Als erste erscheint Sozialministerin Christine Haderthauer (Angela Ascher), mit Kampfgebiss und trauriger Miene. Söders Posten hätte sie gern gehabt, "ich war doch dran", jammert sie, aber es ist "alles nicht so ideal gelaufen". Doch Söder weiß Trost zu spenden: "Du darfst nicht immer nur an dich denken, denk auch mal an mich."

Was das bedeutet, erfährt sie umgehend. Also runter mit dem Business-Anzug, dann muss Haderthauer im bonbonfarbenen Aerobic-Dress in die Pedale treten, um Naturstrom für Söders Gitarren-Einlage zu liefern: "Ich bin Finanzminister, das wundert mich selber."

Als Zuschauer wundert man sich im Verlauf des Singspiels dann auch ein bisschen: Ist Christine Haderthauer tatsächlich so wichtig, dass sie im Salvatorspiel auftauchen muss, während SPD-Chef Gabriel oder Philipp Rösler, der als selbst ernannter Bundespräsidentenmacher satirisch sehr viel mehr hergäbe, außen vor bleiben?

Auch aus der schönen Idee, drei Musiker der formidablen Liveband als Berlusconi, Papandreou und Strauss-Kahn zu maskieren, machen Biedermann und sein Co-Regisseur Martin Maria Blau wenig. Nur Papandreou darf einmal kurz ins Geschehen eingreifen, die beiden anderen bleiben Staffage.

Immerhin mischt Angela Merkel mit, erstmals verkörpert von Christin Marquitan. Naturgemäß strotzt die Kanzlerin vor Selbstbewusstsein, auch das Bundespräsidentenamt würde sie übernehmen, falls der Hickhack um Gauck anhält. Als Merkel-Parodistin ist Marquitan noch nicht hundertprozentig überzeugend, umso besser ist sie als Sängerin. Ihre Mireille-Mathieu-Parodie zur Melodie von "Akropolis Adieu" ist so herrlich, dass man gerne mehr davon gehört hätte.

Das Duell der Streithähne Seehofer (Wolfgang Krebs) und Ude (André Hartmann) kulminiert in einem Gstanzl-Wettsingen, bei dem es derb zugeht: "Ich bin der rote Reißnagel, der dir deine Arschbacken aufritzt", singt Ude. Seehofer kontert: "Nach deiner Amtszeit gehst du maximal in den Affenkäfig von Hellabrunn." Seehofer muss sich überdies der Anwanzerei des durchgeknallten Karl-Theodor zu Guttenberg (Stefan Murr) erwehren, der in diversen Verkleidungen sein Comeback versucht.

Als Profiteur der Reaktorkatastrophe von Fukushima präsentiert sich der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Michael Vogtmann), der so langsam spricht, dass er 90 Prozent weniger CO2 ausstößt als andere Politiker. Ebenso umweltfreundlich ist auch das Singspiel. Dampf ablassen, weil ihm ordentlich aufgekocht wurde, braucht keiner der derbleckten Politiker.

© SZ vom 08.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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