So sieht es also aus, wenn die einst so heile Finanzwelt aus den Fugen gerät: Die Zukunft der Olympia-Ruderregattastrecke? Vertagt! Der städtische Beitrag für die Fußball-EM 2020? Vertagt! Die Tagesordnungen der Stadtratssitzungen werden entschlackt - was, da sind sich die Stadträte aller Fraktionen einig, wohl noch mehrere Wochen so weitergehen wird.
So lange der Haushalt nicht steht, sollen keine weiteren Ausgaben beschlossen werden. Im interfraktionellen Arbeitskreis an diesem Mittwoch wird nicht wie geplant über die Verwaltungsreform, sondern über die Finanzsituation der Stadt gesprochen. Welche Projekte sind verzichtbar, welche lassen sich schieben oder strecken?
Ratlosigkeit in den Fraktionen
Vor allem bei der Opposition sind noch viele Fragen offen. "Vor Einleiten einer Therapie braucht es eine Diagnose", mahnt Grünen-Fraktionschef Florian Roth. Bisher sei das Zahlenwerk von Kämmerer Ernst Wolowicz keineswegs schlüssig. Die Grünen haben deshalb am Dienstag einen Fragenkatalog abgegeben. Kernthema: Wie konnte es passieren, dass ohne Wissen der "relevanten Beteiligten" plötzlich nach der Sommerpause ein Finanzloch auftauchte, das eine Komplettüberarbeitung des Haushalts für 2016 notwendig machte?
Roth ist nicht allein mit seiner Ratlosigkeit. Auch CSU-Fraktionschef Hans Podiuk ist weiterhin "ein bissl wissbegierig", wie er scherzhaft sagt. Obwohl der Kämmerer am Montag in der Fraktion zu Besuch war, hat sich bei Podiuk angesichts des überraschenden Defizits ein "gewisses Grundmisstrauen" aufgebaut. Ziel der CSU bleibe es, eine Neuverschuldung zu vermeiden. Die haben sowohl Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) wie auch Wolowicz bereits angekündigt. Allerdings lässt sich inzwischen auch die CSU ein Hintertürchen offen: Sollte die Gewerbesteuer massiv einbrechen oder sollten die Ausgaben für unverzichtbare Projekte zu hoch sein, will sich auch Podiuk neuen Krediten nicht verweigern.
Zunächst aber gelte es, Prioritäten zu setzen. Was ist entbehrlich, was nicht? "Wir wollen systematisch vorgehen", berichtet SPD-Finanzsprecher Hans Dieter Kaplan. Die Planungen für Autotunnel oder U-Bahnen seien vorerst noch nicht so entscheidend, da diese Kosten erst in vielen Jahren anfielen. Jetzt aber geht es um 2016, und da will Kaplan vor allem das unter die Lupe nehmen, was unmittelbar ansteht.
Auch bereits Beschlossenes soll der Stadtrat noch einmal überdenken, die Sanierung des Olympiastadions etwa, die man auch billiger haben könnte. Podiuk bringt die Erweiterung des Stadtmuseums, die Olympia-Sanierungen und den Ausbau der Münchner Feuerwachen ins Gespräch. Kollege Michael Mattar (FDP) hält das Förderprogramm Elektromobilität und die Öko-Mustersiedlung in der Prinz-Eugen-Kaserne für entbehrlich. "Da lässt sich einiges im Haushalt finden", so Mattar. Allein in dieser Woche gehe es laut Tagesordnung im Sozial- wie im Kulturausschuss "in die Vollen".
Zwei Auswege aus der kommenden Misere
Falls die "chirurgischen Eingriffe" nichts helfen, hält Podiuk die Rasenmäher-Methode für unausweichlich. Schließlich will die Stadt einen genehmigungsfähigen Haushalt vorlegen, und das ist bei einem Minus in dreistelliger Millionenhöhe nicht möglich. Dann würde pauschal in den städtischen Referaten gekürzt, jeder muss um einen bestimmten Prozentsatz abspecken. "Pauschale Minderausgaben" nennt Kaplan diese Operation - er will allerdings nicht jeden gleichermaßen in die Pflicht nehmen, sondern gezielt ansetzen. Beliebt ist dieser Weg nicht, nimmt er doch der Politik viel Gestaltungsspielraum. Für Mattar wäre es eine "Verzweiflungstat". Die nach Einschätzung des Kämmerers weniger bringt als zumeist angenommen.
Letztlich aber wird es in den Haushaltsgesprächen auch um die langfristigen Vorhaben gehen. Die Grünen haben bereits mehrfach kundgetan, dass sie neue Autotunnel überflüssig finden. Die Alfa-Stadträte Andre Wächter und Fritz Schmude hingegen wollen Tafelsilber verscherbeln: den städtischen Anteil am Flughafen. Diese Idee gilt in der SPD als ausgeschlossen - weil es so aussähe, als wolle das Rathaus das Anti-Startbahn-Votum aushebeln.
Aus fachlicher Sicht hat Wolowicz das Problem, dass im Verwaltungshaushalt die Einnahmen (aus Steuern und der Gewinnausschüttung der Stadtwerke) sinken, die Ausgaben (etwa für Personal) aber steigen. In der Folge ist der Überschuss auf 195 Millionen Euro abgesackt. Das klingt komfortabel, reicht aber nicht aus, um die geplanten Investitionen von 1,25 Milliarden Euro zu schultern. Wolowicz müsste sich aus der Finanzreserve bedienen, die dann rasant ins Minus abrutschen würde (theoretisch, denn das ist nicht erlaubt). Bleiben zwei Auswege: Sparen - oder Schulden.