Stadtwerke-Gelände:Platz-Angst

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Seit zwei Jahrzehnten haben Künstler und Kreative ihre Ateliers und Werkstätten an der Hans-Preißinger-Straße. Wegen des Gasteig-Umzugs fürchten sie um ihre Existenz und suchen Verbündete unter den Stadtviertelvertretern

Von Birgit Lotze, Sendling

Einen Monat vor der Entscheidung des Stadtrats am 23. November, ob der Gasteig während der Sanierung für fünf Jahre auf das Stadtwerke-Gelände am Heizkraftwerk Süd ziehen kann, kämpfen die derzeitigen Mieter weiter mit Nachdruck um den Platz. Denn: Unterstützt der Stadtrat den einhelligen Wunsch des Gasteig-Aufsichtsrats und der Philharmoniker, sollen die Mieter das Areal an der Hans-Preißinger-Straße 8 ("HP8") bis Ende 2018 verlassen. "Das bedroht unsere Existenz, das gilt für die meisten von uns", sagte Mirco Taliercio, Fotograf und Sprecher der Gruppe, in der Sitzung des Bauausschusses im Bezirksausschuss Sendling. Die Gruppe, rund 40 Mieter waren anwesend, konnte dort erstmals ihre Probleme einem Stadtviertel-Gremium erklären.

Die derzeitigen Nutzer hoffen darauf, mit Überzeugungsarbeit zu punkten. Mit einer Übernahme durch den Gasteig würde ein schützenswerter Bestandteil Münchner Stadtkultur unwiederbringlich zerstört, sagten sie im Bauausschuss. Sie erinnerten daran, dass die Stadt im Kreativquartier an der Dachauer/Schwere-Reiter-Straße mit erheblichem Mitteleinsatz aufbaue, was in Sendling einfach da sei: ein Biotop aus Kulturschaffenden, Kreativen und Handwerkern - in über zwei Jahrzehnten gewachsen.

Mehr als 500 Nutzer des Areals haben die Mieter in den vergangenen Wochen ausgemacht, rund 300 aus dem künstlerischen und kreativen Bereich, 230 aus dem Bereich Handwerk und Gewerbe. Dabei seien noch gar nicht alle Haupt- und Untermieter erreicht worden, um über die Zahl ihrer Angestellten Auskunft zu bekommen. Müssten die Mieter gehen, würden jahrzehntelange Aufbauarbeit und Investitionen vernichtet, Existenzen zerstört. Der soziale Aspekt bekäme in der derzeitigen Diskussion kaum Raum, hieß es. "Dabei ist es ein Kahlschlag, der da passiert. So eine Wucht", so eine der Künstlerinnen.

Er habe sich das Areal angeschaut, "es tut mir leid, wenn wir darauf verzichten", sagte der Unterausschussvorsitzende Ernst Dill (SPD). Doch er machte klar, dass es im BA keinesfalls ausgemachte Sache ist, dass das Gremium eine Empfehlung für die Kreativwirtschaft aussprechen wird. Außer den Grünen habe sich noch keine Fraktion entschieden. "Wir sind noch in der Meinungsbildung." Doch Dill will sich für eine faire Gleichbehandlung einsetzen, auch forcieren, dass Planungsalternativen auf den Tisch kommen. Vor allem soll die Lösung, die eine Gruppe von Architekten aus dem Kreativquartier erarbeitet hat, in die weitere Abstimmung eingebunden werden. Nach deren Konzept würden sowohl die aktuellen Mieter der "HP8" als auch der Gasteig Platz finden auf dem Areal. "Künstler-Biotop mit Hochkultur - das könnte das neue Modell sein", heiß es in der Runde. "Zumindest ein Denkanstoß", fand Jan Erdmann (Mut).

Unverständnis löste der Umstand aus, dass der Gasteig 94 Prozent seines Bestands an der Rosenheimer Straße auf die Hans-Preißinger-Straße 8 konzentrieren will. Warum müsse die Stadtbibliothek auch dorthin, warum die VHS? Müssten alle Büroabteilungen wirklich dort unterkommen? Auch sei vor der Entscheidung des Aufsichtsrats davon die Rede gewesen, einen Teil der Kreativwirtschaft zu integrieren - inzwischen gehe es kaum mehr darum. Das Gärtnerplatztheater, das Deutsche Theater seien während ihres Umbaus aus der Stadtmitte herausgegangen oder hätten gar kein festes Quartier gehabt - "warum das Gasteig nicht?". "Für Wohnungen würde ich rausgehen", sagte ein Gärtner, der auf dem Gelände seit 17 Jahren mit mehreren Angestellten wirtschaftet. "Aber doch nicht für ein Provisorium."

Als nahezu aussichtslos erweist sich angesichts der Platznot und der explodierenden Mieten in der Stadt schon jetzt die Suche nach Alternativen. Die Mieter wollen zusammenbleiben, ihre gewachsene Struktur nicht aufgeben: Man lässt beim Schreiner arbeiten, der Nachbar macht die Werbung, man hilft sich gegenseitig aus. Die Stadt habe zugesagt, sich um Alternativen zu kümmern, doch das Referat für Arbeit und Wirtschaft und Bürgermeister Josef Schmid (CSU) hätten nur einigen Wenigen vereinzelt Angebote gemacht - und das nicht mal konkret, sondern unverbindliche Hinweise, sich doch mal dort oder dort zu melden. "Absichtserklärungen" seien dies. Melde man sich, werde man auf lange Wartelisten verwiesen, hieß es. Ein anderer hat das Backstage auf so einen Hinweis hin besichtigt. "Welchen Platz sollen wir dort nehmen?", fragte er in den Saal. "Doch wohl nicht Platz auf Kosten anderer Subkultur?" Die Kreativwirtschaftler gaben Ernst Dill auch einen ganzen Katalog mit Gründen an die Hand, die gegen ein Vertreiben von Künstlern und Gewerbetreibenden und gegen die Ansiedlung des Gasteigs sprechen. Das Gelände der Stadtwerke sei bis tief in die Erde kontaminiert, steht dort unter anderem. Öltanks seien dort gelagert worden. Damit drohten extreme und unkalkulierbare Kostenbelastungen, zöge der Gasteig ein.

© SZ vom 24.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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