Staatsopern-Intendant Bachler:"Ich bin noch immer verliebt in diese Stadt"

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Intendant Nikolaus Bachler über die Münchner Champagner-Gesellschaft, Leidenschaften in der Oper und seine alte Lederhose - und angebliche Dissonanzen mit Kent Nagano.

Christian Mayer und Egbert Tholl

Seit 2008 ist Nikolaus Bachler Intendant der Bayerischen Staatsoper - nach Stationen in Salzburg, Berlin, Paris und Wien, wo er das Burgtheater leitete, fühlt sich der gebürtige Steirer in München fast schon heimisch. Er wartet in einem eleganten, von allem Schnickschnack befreiten Chefbüro zwischen Marstall und Maximilianstraße. Der Cappuccino ist erstklassig, der Gastgeber liebenswürdig. Er strahlt eine Leichtigkeit aus, die man so nicht erwartet hätte.

Opernintendant Nikolaus Bachler stellt das neue Opernmagazin 'Joseph' im Hotel 'Louis' vor,16.März 2011,Foto : C : Stephan Rumpf (Foto: Stephan Rumpf)

Herr Bachler, am Anfang Ihrer Zeit als Staatsopernintendant haben Sie erzählt, wie sehr Sie in München verliebt seien. Was ist geblieben von dieser Romanze?

Die Verliebtheitsphase in einer Beziehung dauert ja meist vier Jahre, wenn es denn überhaupt funkt. Bei mir war das der Fall. Ich bin noch verliebt in diese Stadt; wer weiß, wie lange das anhält. Aber München macht es einem leicht: Ich könnte mir sogar vorstellen, hier zu bleiben, es ist bedeutend angenehmer als in Paris, Wien, Hamburg oder Berlin.

Warum?

Die Stadt ist so unaufdringlich. Man muss sich nicht ständig anstrengen, und das hat man gerne, wenn man älter wird.

Aber als Staatsopernintendant erwartet das Publikum ständige Höchstleistung, absolute Anstrengung von Ihnen!

Ich fühle mich aber nie als Staatsopernintendant. Ich lasse meine Rolle hier im Haus. Ich bin ja nicht August Everding, der drei Chauffeure beschäftigen musste, mir reicht mein Fahrrad, mit dem ich durch den Englischen Garten zur Arbeit fahre.

Wohnen Sie noch in Schwabing?

Oh ja, direkt am Friedhof. Ich kann von meiner Wohnung direkt auf die Gräber herunterschauen, sehr angenehm.

So viel morbiden Charme gibt es sonst nur in Wien. . .

Ach, Wien ist nicht umsonst die Stadt von Sigmund Freud, es ist eine im höchsten Maße neurotische Stadt - das liegt an der Historie. So oft wie Wien historisch kastriert wurde als ehemalige Hauptstadt eines schrumpfenden Weltreichs, das gibt es kein zweites Mal. München ist für mich die südlichste Stadt, in der ich je gelebt habe, obwohl es gar nicht so südlich ist, Wien dagegen ist eher der Balkan. Besonders kulturell ist diese Stadt hochkompliziert und sehr anstrengend, weil Wien immer vorgibt, eine Musikmetropole zu sein. Unsinn! Es geht dort nur noch um Klatsch.

Diese Art von Gesellschaftstheater müssen Sie doch vermissen.

Nein, wirklich nicht. So würde ich das nur sehen, wenn ich Anwalt oder Journalist wäre. Hier in München braucht man so einen Zirkus nicht, deshalb bin ich so entspannt und frei hier. Wenn wir hier eine Rusalka von Dvorák inszenieren, geht es nur um die Rusalka.

Moment mal, Herr Bachler, wir erinnern uns an die Riesenaufregung über das Bühnenbild mit den toten Rehen, das war eine richtige Rusalka-Komödie!

Für die "Rusalka" an der Staatsoper gab es vom Premierenpublikum Buhs - und Jubel. Mit dem toten Reh auf der Bühne "ging München unter sein Niveau", findet Bachler.  (Foto: Alessandra Schellnegger)

Na gut, Sie haben mich erwischt. Mit dem Reh ging München unter sein Niveau. Dennoch gab es eine ernsthafte Diskussion über die Art der Inszenierung, das kommt so in Wien kaum vor! In Wien soll es Situationen geben, da redet der Operndirektor mit dem Musikdirektor kaum ein Wort.

In München stellt sich die Situation so dar: Der Generalmusikdirektor Kent Nagano und der Intendant Nikolaus Bachler demonstrieren heile Welt auf der Jahrespressekonferenz. Dabei verlässt Nagano das Haus schon 2013, weil die Dissonanzen zu groß sind. Ist das Bachlersche Schauspielkunst?

Nein, da ist nichts gespielt. Das Nationaltheater wäre doch nie so erfolgreich, wenn wir beide in München nicht so professionell und kooperativ arbeiten würden. Wir könnten niemals Wagners Ring zusammen machen, wenn es anders wäre. Dass Nagano 2013 seine Position nach sieben Jahren aufgibt, hängt mit dem natürlichen Wechsel in der Kunst zusammen. Wenn ein Politiker im Ruf steht, ein guter Schauspieler zu sein, dann bedeutet das: Er kann gut lügen. Ich finde aber, Schauspieler zu sein, bedeutet: Man muss die Wahrheit sagen auf der Bühne, man darf das Publikum nicht anlügen.

Wie würden Sie denn das Münchner Publikum beschreiben? Sind das die Leute, die auch zu den Salzburger Festspielen gehen, um sich selbst zu inszenieren?

Man muss da unterscheiden. Salzburg ist ja ein pervertiertes Sponsoren-Festival, inhaltlich völlig unbedeutend. Das ist ja das Drama! In Bayreuth gibt es mit Wagner diesen Inhalt, das Schiff schwankt zwar, aber geht nicht unter. In München gibt es eine gute Mischung an Leuten, die wirklich begeistert sind, und Gelegenheits-Connaisseuren. Das Haus lebt von den Liebhabern, den Mehrfach-Gehern, es lebt auch stark von den Menschen, die aus München und Oberbayern kommen, weniger von den Touristen. Daher ist die Bayerische Staatsoper viel weniger krisenanfällig, ganz anders als etwa die Metropolitan Opera in New York, die in der Finanzkrise stark gelitten hat.

Staunen Sie nicht manchmal über das Münchner Publikum, das sich zu wahren Begeisterungsstürmen hinreißen lässt?

Nein, weil ich glaube, dass die Oper - im Unterschied zum Film oder zum Theater - näher beim Fußball ist, was die Emotionen betrifft. Dazu kommt, dass die Münchner sich gerne südländisch verhalten. So einen frenetischen Jubel um Sänger, etwa Edita Gruberova, erlebt man sonst vielleicht nur noch in Barcelona. Der Mensch hat ein Emotionspotential, das sich entladen will. Was sich nicht beim Sex entlädt, kommt anderswo zum Ausbruch. Da ist die Oper unglaublich gut, weil das Drama in den Bauch zielt.

Vielleicht in München. In den Berliner Opernhäusern stehen die Leute nach der Aufführung sofort auf und wollen raus an die frische Luft.

Im Moment hat das Publikum in Berlin eben nicht viel zu klatschen. Grundsätzlich gibt es aber auch einen Mentalitätsunterschied, der entlang der Rhein-Main-Linie verläuft. Die Münchner Begeisterungsfähigkeit hat was mit dem Katholizismus, dem barocken Erbe zu tun.

Sie selbst sind sehr katholisch aufgewachsen und erzogen worden.

Am stärksten haben mich die Jesuiten beeinflusst, bei denen ich in die Schule gegangen bin. Es war schon eine katholische Prägung, allerdings habe ich dem Glauben abgeschworen und mich dem Ritus zugewandt. Schon als Kind habe ich mir zu Hause in der Steiermark eine eigene Kirche eingerichtet und im Holzschuppen Pfarrer gespielt. Ministrant war mir zu wenig. Ich hatte bis zu meinem sechsten Lebensjahr auch keine richtige Hose, nur Lederhosen - vielleicht ist das auch eine Verbindung zu München.

In Lederhose hat man Sie noch nie auf dem Oktoberfest gesehen.

Aber ich gehe hin, mit Künstlern, Sängern, Dirigenten und Mitarbeitern. So ein Spektakel bekommt man ja nicht überall geboten.

Apropos Spektakel: Warum besuchen Sie eigentlich so selten die Veranstaltungen der Münchner Bussi-Gesellschaft?

Ich bin noch nicht so recht draufgekommen, was das eigentlich ist, diese Gesellschaft. Man sagt immer, das sei so toll, roter Teppich und Champagner in München, ich war aber einmal bei so einer Filmpremiere, und das war ziemlich traurig und ein bisschen provinziell.

Wenn das alles ist, was Sie an München auszusetzen haben - na prima.

Fast. Was oft ein bisschen öd daherkommt in München, ist die Jugend hier. Entweder hat man es mit den banalen Porsche-Prada-Leuten zu tun oder mit dem Hermès-Landadel - ganz normale Jugendliche sehe ich eher selten.

Mal angenommen, Sie haben einen richtigen Weltstar zu Gast an der Staatsoper, was zeigen Sie dem von München?

Sehr gerne den Ammersee und den Starnberger See. Ich kenne das aus keiner anderen Großstadt, dass man abends um halb sieben sagt: Jetzt fahren wir raus und essen am See. Das ist großartig.

Und wo gehen Sie hin, wenn Sie die Künstler abends unterhalten müssen?

Ich mache relativ viele Essen bei mir zu Hause, das lieben die Gäste sehr, auch wenn sie zu Fuß in den vierten Stock steigen müssen. Sogar Frau Gruberova kommt zu mir rauf! Ich koche alles Mögliche, manchmal sind da 20, 30 Leute.

Sie haben gesagt, das Nationaltheater spiele mit in der Weltliga der Opern. Woher kommt dieses Selbstbewusstsein?

Wie im Fußball gibt es auch in der Opernwelt verschiedene Spielklassen, an der Spitze die Champions-League. Da gehört München neben London, Paris, Mailand und New York dazu - nicht in jeder Produktion, aber was die Qualität der Künstler angeht. Grundsätzlich kann München als einziges dieser Häuser auch entschiedenes Musiktheater machen und die besten Leute engagieren. Im Unterschied zu Mailand oder New York müssen wir eben keine Rücksicht nehmen auf das konservativ rückwärtsgewandte Publikum und mögliche Geldgeber.

Sie leiten ein großes Haus, ein Unternehmen mit 1000 Mitarbeitern. Was sind Sie: Manager, Moderator, Motivator?

Ich glaube, man braucht dieselben Qualitäten in so einer Position, ob man am Theater ist oder in einer Firma. Erstens eine motivierende Persönlichkeit, die auch führen will, zweitens die Leidenschaft für das, was man tut, drittens Intuition. Bei der Staatsoper ist das vielleicht nicht ganz so schwierig wie bei BMW: Es gibt eine klare hierarchische Struktur, die aber durchaus familiäre Züge hat.

Welche der drei Voraussetzungen bringen Sie am meisten mit: Macht, Leidenschaft oder Intuition?

Intuition. Sie hat mich mein Leben getragen. Dieses Gespür für Leute und Situationen bewahrt mich vor groben Fehlern, während meine strategischen Fähigkeiten manchmal überschätzt werden. Ich bin kein Intellektueller.

Also war es Intuition, die Sie nach München geführt hat.

Als ich vor der Wahl stand: München oder San Francisco, habe ich mich intuitiv für München entschieden. San Francisco Opera, das klang verlockend, aber irgendwie habe ich geahnt: Da kann ich nicht machen, was ich machen will. In München sitzt man zwar nicht auf der Insel der Seligen, weil auch die öffentliche Finanzierung schwierig geworden ist, aber es geht uns noch besser als anderen Häusern. Es gibt hier zudem ein Mäzenatentum engagierter Bürger, das viele Aktivitäten der Staatsoper finanziert. Das sind Münchner mit einem gewissen Repräsentationsbedürfnis, die Leidenschaft für die Kultur und die Oper haben.

© SZ vom 07.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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