Wintersport:Zurück im Eiskanal

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Die traditionsreiche Bobsparte der SpVgg Unterhaching ist wieder im Europacup vertreten. Maria Constantin bringt sogar etwas olympischen Glanz mit.

Von Thomas Jensen, Unterhaching

Auf einmal war irgendetwas nicht so, wie es sein sollte, das spürte Theresa Leitz. Auch wenn sie das Kippen nicht wirklich mitbekam, wunderte sie sich doch, dass sie sich plötzlich so stark festhalten musste. Kurze Zeit später war alles überstanden, bis auf eine leicht lädierte Schulter trug sie keine Blessuren davon. Jetzt war die einstige Sprinterin, die bis 2017 für die LG Würm Athletik an den Start ging, offiziell eine Bobfahrerin. So dürfe man sich nämlich erst nennen, wenn man seinen ersten Sturz hinter sich habe, wurde der Anschieberin später versichert.

Maria Constantin nickt bestätigend und grinst. Als Pilotin war sie nicht ganz unschuldig an Leitz' Taufe. Es passierte im vierten Lauf der diesjährigen deutschen Zweierbob-Meisterschaft, im November in Altenberg. Leitz und Constantin vertraten dort einen Verein, dessen Bobsparte selbst eine Art Absturz hinter sich hat: die SpVgg Unterhaching. Die Zeiten, in denen Christoph Langen oder Susi Erdmann olympisches Edelmetall in den Vorort brachten, sind lange vorbei, seit Jahren hatte die Abteilung keinen Aktiven mehr.

An zwei Olympischen Spielen hat die Bobpilotin Maria Constantin schon für Rumänien teilgenommen. Nun startet sie für Unterhaching. (Foto: Li Gang/Imago/Xinhua)

Maria Constantin bringt nun sogar olympisches Flair zurück. Für Rumänien startete die 28-Jährige 2014 in Sotschi und 2018 in Pyeongchang, einmal wurde sie 17., einmal 15. Im Weltcup erreichte die selbständige Personal Trainerin einige Top-Ten-Platzierungen, im Europacup mehrere Podestplätze und 2015 den Gesamtsieg.

Gerade wenn sie von Olympia erzählt, ahnt man, wie leidenschaftlich sie durch den Eiskanal rast. Leitz hört dann sehr genau zu, wenn auch nicht ehrfürchtig. Dazu gehen die beiden, die sich erst seit einigen Monaten kennen, schon zu freundschaftlich miteinander um. Wie groß ihre Passion für den Bobsport ist, merkte Constantin selbst, nachdem sie ihre Karriere nach den Spielen 2018 wegen Unstimmigkeiten mit dem rumänischen Verband unterbrochen hatte. Die Eisbahn fehlte ihr. Also beschloss sie, künftig für Deutschland anzutreten, wo ihre Schwester lebte.

Der Kontakt zur Spielvereinigung kam über Stephan Bosch, Trainer des Bayerischen Bob- und Schlittenverbands (BBSV). Er verspricht sich von Constantin mehr als nur Ergebnisse. Sie soll ein Konzept umsetzen, das der 49-Jährige für die Zukunft der Sportart entworfen hat. "Hauptsächlich geht es darum, die Kommunikation zu anderen Vereinen zu stärken, um mehr Athleten zum Bobsport zu bringen", erklärt er. "Maria soll als Mentorin für den Nachwuchs da sein", als Ansprechpartnerin für junge Athleten. Constantin selbst könnte sich auch eine Arbeit als Trainerin vorstellen: "Ich kann sicher helfen, jungen Athleten Bob und Skeleton beizubringen. Es gibt sehr viele Kinder da draußen, die nichts machen, obwohl sie etwas machen könnten." Diese Kinder für den Bobsport zu gewinnen, steht im Zentrum des Konzepts, durch bessere Präsentation der Sportart in Unterhaching, Kontaktaufnahme zu Schulen und anderen Vereinen, vor allem Leichtathletikabteilungen.

Theresa Leitz, ehemalige Leichtathletin. (Foto: Privat/OH)

Der Weg nach Haching war dann kurz. Georg Wörle, Chef der dortigen Bobsparte, ist zugleich Vizepräsident des BBSV. "Probieren wir das Konzept doch gleich bei mir im Verein aus", habe er gedacht, erzählt der 75-Jährige. Er witterte die Chance, seinem Verein wieder Leben einzuhauchen. Das versucht er seit Jahren, organisierte tapfer weiter Rennen, auch als mangels Fahrern die Auflösung der Abteilung drohte.

Constantin füllt nun die Lücke. Im Winter kann sie sich allerdings nicht um das Nachwuchskonzept kümmern, da geht der eigene Wettkampf vor, mit allem, was dazugehört: "Die zwei Minuten Rennen sind die Spitze des Eisbergs. Darunter sind zwei Trainingseinheiten am Tag, einmal mit Bob, einmal Leichtathletik. Nach der Arbeit im Kraftraum oder an der Bahn geht es mit dem Bob in die Garage, drei Stunden Kufen schleifen, vor jedem Rennen."

Constantin kennt diesen Alltag, der die Hälfte des Jahres bestimmt. Für ihre Anschieberin war das gewöhnungsbedürftig. Das Schleppen des 170 Kilo schweren Sportgeräts sei noch das geringste Übel, erzählt die 21-jährige Sportpolizistin Leitz, "die Umstellung wieder in den Leistungssport war schon ordentlich. Abends will ich meistens einfach nur schlafen." Als Sprinterin lag ihre Bestzeit über 100 Meter bei 12,17 Sekunden. Immer mal wieder war ihr geraten worden, den Bobsport auszuprobieren, dort werden immer Sprinter gesucht. Sie zauderte. Als dann Lukas Frytz, ebenfalls ehemaliger LG-Würm-Sprinter, doch den Kontakt zu Bosch herstellte, suchte Constantin gerade eine Anschieberin. Die Chemie habe gestimmt, ein Glücksfall, findet Leitz. "Wir leben jetzt ein halbes Jahr aus dem Koffer und sitzen quasi 24/7 aufeinander. Wenn wir uns nicht so gut verstehen würden, würde das nicht funktionieren."

Pilotin Maria Constantin. (Foto: Imago)

Noch spielt sich das Geschehen heimatnah ab, trainiert wird am Olympiastützpunkt in München oder in der Eisbahn am Königssee. An diesem Freitag aber ist es vorbei mit der Vorbereitung, dann steigt das Duo in den Europacup ein. Bei den deutschen Selektionsrennen konnten sich die beiden empfehlen, müssen sich als viertes deutsches Team jedoch nationaler Konkurrenz erwehren. Vorerst haben sie die Starts in Altenberg und zwei Wochen später am Königssee sicher, über den weiteren Winter entscheidet die dortige Leistung.

Unter zu viel Druck wollen sie sich nicht setzen. Constantin war früher vor Rennen aufgeregter, inzwischen hat sie gelernt, dass sie besser fährt, wenn sie entspannter ist: "Das Wichtigste ist Spaß zu haben. Zu viele Ziele machen dich verrückt. Da sind 17 Kurven in der Bahn, in dem Moment brauche ich keine anderen Probleme mehr." Trotz des Sturzes vor einigen Wochen ist Altenberg ihre Lieblingsbahn. Hier hat sie ihre besten Resultate eingefahren, zwei achte Plätze im Weltcup: "Das ist eine Pilotenbahn, die schwerste der Welt. Da musst du gut fahren, um vorne mit dabei zu sein." Anders als Bahnen wie etwa Innsbruck, wo man nur schnell starten und dann von Bande zu Bande fahren müsse. Wenn alles klappt, wird Altenberg vielleicht ja auch noch zu Leitz' Lieblingsbahn.

© SZ vom 05.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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