Wettkampfklettern:Wenn die NADA zweimal klingelt

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„Das Risiko tragen die Sportler“: Der Wahl-Münchner David Firnenburg muss sich relativ oft unangemeldeten Dopingtests stellen. (Foto: Claus Schunk)

Wettkampfkletterer David Firnenburg plädiert für eine Reform des umstrittenen Dopingkontrollsystems ADAMS.

Von Nadine Regel, München

Sechs Uhr morgens. Es klingelt an der Tür. Normale Menschen schrecken aus dem Schlaf, rechnen mit dem Schlimmsten. David Firnenburg, Wettkampfkletterer und Wahlmünchner, ahnt schon, dass es ein Vertreter der Nationalen Anti-Doping Agentur Deutschland (NADA) ist. Kontrollen können täglich zwischen sechs und 23 Uhr unangemeldet stattfinden. Ein Umstand, der Firnenburg ständig begleitet, weil er als Profisportler seit Jahren dazugehört. Was folgt, ist ein Urintest mit Sichtkontrolle. Das Prozedere zieht sich in die Länge. Schlussendlich kommt David Firnenburg zu spät zur Uni, obwohl er der NADA schon Monate vorher über seine Verfügbarkeiten informiert hatte. Die NADA, so sagt der 23-Jährige, nehme auf seine "individuelle Lebenswirklichkeit" nicht genügend Rücksicht.

Das "Anti-Doping Administration and Management System", kurz ADAMS genannt, ist das Kontrollprogramm der NADA, mit dem die Sportler lokalisiert werden. Insgesamt etwa 60 deutsche Sportkletterer und Skibergsteiger sind je nach Dopingrisiko dem Allgemeinen (ATP), Nationalen (NTP) oder Registered Testing Pool (RTP) zugeordnet. David Firnenburg gehört dem RTP an, der Gruppe mit dem höchsten Leistungsniveau, somit wird er relativ häufig überprüft. Jedes Quartal muss Firnenburg Aufenthaltsort und Tätigkeit für jeden einzelnen Tag in die ADAMS-App eintragen. "Das ist fast unmöglich", sagt er. Spontane Änderungen müssen nachgetragen oder per SMS an die NADA gemeldet werden. Bis man sich an das System gewöhnt habe, seien Fehler nicht ausgeschlossen. Wird man drei Mal binnen zwölf Monaten nicht am angegebenen Ort angetroffen, droht eine Sperre bis zu zwei Jahren. "Das Risiko tragen die Sportler", sagt Firnenburg.

Der gebürtige Hannoveraner lebt seit wenigen Wochen in München. Er ist ein sehr ambitionierter junger Mann. Sein Psychologiestudium macht er in Teilzeit. Ohne geistige Herausforderung neben der Sportlerkarriere fühlte er sich "kognitiv unterfordert". Er hinterfragt Sachverhalte gerne, nimmt sie nicht ohne weiteres als gegeben hin.

Und Firnenburg ist nicht der einzige, der das ADAMS-System anzweifelt. Aufgrund von Unzulänglichkeiten in der Handhabung und Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte klagten französische Sportlerverbände und Dutzende Spitzenathleten gegen ADAMS vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg - erfolglos. Ein GPS-unterstützes Konkurrenzprodukt für ADAMS hätte es auch gegeben, aber die Dachorganisation WADA (Welt-Anti-Doping-Agentur) lehnte es aus Datenschutzgründen ab.

Ein Natursport wie Klettern und Doping - wie geht das aber überhaupt zusammen? Im Wettkampfgeschehen sehr gut, obwohl bisher nur wenige Dopingfälle bekannt sind. Stellschrauben beim Klettern sind Gewicht, Kraft und schnelle Regeneration. Verbotene Substanzen sind zum Beispiel Entwässerungsmittel oder Testosteron. Philipp Abels, Koordinator Wettkampfklettern und Leistungsbergsteigen beim Deutschen Alpenverein (DAV), findet es gut, dass der DAV die Dopingkontrollen 2013 an die NADA ausgelagert hat. So sei "Unabhängigkeit gewährleistet". Seit 2014 werden regelmäßige Kontrollen durchgeführt, die sich seit der Bekanntgabe, dass Klettern 2020 in Tokio sein Olympiadebüt feiert, fast verdoppelt haben. Seminare, die die NADA beim DAV durchführt, klären die Sportler über Risiken auf. Selbst Mohnkuchen oder mit Medikamenten vollgepumptes Schweinefleisch kann ihnen zum Verhängnis werden. Firnenburg hätte sich gewünscht, dass der DAV solche Seminare von Anfang an regelmäßiger angeboten hätte, generell wünscht er sich mehr Unterstützung vom Alpenverein bei diesem Thema.

Weniger beeinflussbar ist für die Athleten, wie die WADA mit ihren Urinproben umgeht. Eine ARD-Recherche im Januar hat ergeben, dass die Probeflaschen manipulierbar sind. Reportern war es gelungen, versiegelte Glasflaschen zu öffnen und wieder zu verschließen, indem man sie zuvor einfror. "Jede Probe wird da angreifbar", sagt Abels, der die Athleten beim Thema Doping berät. "Ich mache ADAMS mit, gebe einen großen Teil meiner Privatsphäre auf und die WADA kriegt es nicht mal auf die Reihe, die Proben fair ablaufen zu lassen", versetzt sich Abels in die Perspektive seiner Schützlinge. NADA-Vorstand Lars Mortsiefer findet, es sei jetzt die größte Herausforderung in Bezug auf die Sicherheit des Kontrollmaterials, Partner zu finden, die in die Entwicklung neuer, sicherer Systeme investieren. Die Sicherheitsmechanismen wurden aber bereits deutlich erhöht, Kontrolleure besser instruiert, eine zusätzliche Versiegelung an den Flaschen angebracht. "Wir wissen, dass wir den Athleten mit ADAMS sehr viel abverlangen", sagt Mortsiefer.

Der Kampf gegen Doping ist eine Gratwanderung zwischen der Gewährleistung eines sauberen Sports, woran auch den Zuschauern gelegen ist, und dem Einhalten der Persönlichkeitsrechte der Sportler. Ende 2019 wird der neue Welt-Anti-Doping-Code verabschiedet. Bis dahin soll auch ADAMS überarbeitet werden. Vielleicht ja so, dass Firnenburg nicht mehr zu spät zur Uni kommt.

© SZ vom 25.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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