Volleyball:Verschwundene Spezies

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Grafing, Dachau, Freising, München: Überall werden zurzeit händeringend Volleyball-Trainer gesucht. Die sportlichen Aufgaben wären reizvoll, trotzdem finden die Vereine seit Monaten keine Kandidaten

Von Andreas Liebmann, München

Klar, wer mal mit einem Studienabschluss in Germanistik Bewerbungen verschickt hat, kennt dieses Gefühl vermutlich. Oder wer spät nächtens in einer Bar wahllos jede Frau anflirtet. Aber 16 Absagen? Das ist und bleibt eine ganze Menge. "Bitter", findet Dominic von Känel diese Zahl. Zumal er da ja nicht irgendetwas anbietet wie Sauerbier. Sondern eine Stelle als Volleyballtrainer des ASV Dachau, aktuell zwar Absteiger aus der zweiten Liga, aber vor 20 Jahren deutscher Meister und Champions-League-Finalist. Mit einer Jugend, die Meistertitel sammelt wie andere Erdbeeren. Doch der Teammanager findet niemanden. Und die Zeit rennt.

Anfang Juli sollte das Team mit dem Training beginnen, eine Art Übungsleiter wäre dafür recht praktisch. Das Kuriose: Der ASV Dachau ist nicht allein. Auch der Zweitligist TSV Grafing sucht dringend Trainer für die zweite Männermannschaft in der Bayernliga und die Frauen in der Bezirksliga. Der MTV München für die Regionalliga-Männer. Ebenso der aus der dritten Liga zurückgekehrte Rivale SC Freising. Es ist wie verhext. "Dabei sind wir ein Verein, der für einen Trainer schon etwas Geld in die Hand nimmt", sagt von Känel, "aber es ist halt nicht so viel, dass man das hauptamtlich machen könnte." Und für einen Nebenjob sei der Aufwand mit vier Trainingstagen pro Woche plus Punktspielen enorm. Sicher ein Teil des Problems.

Dachaus Kaderplanung wird durch die vergebliche Trainersuche nicht gerade erleichtert. Außer Außenangreifer Torsten Pohl, der seine Laufbahn ausklingen lässt, und Mittelblocker Jan Danielowski, der nach Unterhaching wechselt, hat nach dem Abstieg niemand das Team verlassen. Neun, zehn Leute hätten zugesagt. "Wir sind auf allen Positionen gut besetzt", sagt von Känel, der selbst höchstens noch als Aushilfe mitspielen will. Doch etwa in der Mitte und auf der Diagonalposition bestehe trotzdem noch Verbesserungsbedarf, wenn Dachau um den Wiederaufstieg spielen will. "Aber es ist schwierig, jemanden anzusprechen, weil jeder zuerst fragt, wer denn unser neuer Trainer ist." Der Nachfolger also des im Februar zurückgetretenen Adrian Zoppelt und seines Interimsnachfolgers Torsten Schulz.

Am Donnerstag ist von Känel nach Hamburg geflogen, um dort seinen A-Trainerschein für Beachvolleyball zu machen, anschließend wird er den A-Schein für die Halle in Köln beginnen. "Vielleicht finde ich dort ja noch jemanden", sagt er verzweifelt. Falls alle Stricke reißen, werde es wieder eine interne Lösung geben. Schon vor Zoppelt hatte der ASV eine recht erfolgreiche, aber doch kuriose Konstellation, als sich nämlich drei ehemalige Spieler gleichberechtigt eine Trainerstelle teilten.

MTV-Abteilungsleiter Johannes Rieger bestätigt das Problem. "Der Trainermarkt ist schwierig, es ist einfach niemand zu finden." Der bisherige Männertrainer Sven Lehmann hat Planeggs Drittliga-Frauen übernommen, sein Vorgänger beim MTV, Markus Zymmara, orientiere sich gerade beruflich. "Wir haben noch ein paar interne Optionen", sagt Rieger. Doch ansonsten sei es schwierig: "Man kann davon nicht leben, zumindest nicht bei uns." Wer seine Trainerausbildung mache, sei meist schon an einen Klub gebunden. Und so seien nun "viele attraktive Stellen" rund um München frei - aber diese Attraktivität beschränkt sich eben auf das Sportliche.

Der SC Freising weiß sogar schon seit vergangenem Dezember, dass Tom Gailer als Trainer aufhören würde, doch seitdem: nichts. Ein paar lose Gespräche. "Wir haben gekuckt, aber wir können keinen erfinden", sagt Abteilungsleiter Dejan Jankovic. "Ganz München sucht. Es gibt einfach niemanden". Auch beim Absteiger aus der dritten Liga werde es allmählich "gefährlich": Aktuell wolle zwar keiner den Verein verlassen, aber irgendwann wollten auch die Spieler mal Planungssicherheit haben. Bislang, sagt Jankovic, hätten die erfahrenen Trainer meist bei einem Klub in der Region aufgehört und beim nächsten wieder angeheuert, doch einigen aus diesem Karussell fehle zurzeit Lust oder Zeit. "Die Situation ist heftig, das gab es so noch nie."

Grafings Teammanager Johannes Oswald sagt: "Es scheitert ja nicht einmal am Geld. Es ist überhaupt keiner da, mit dem man über Geld reden könnte. Erst dann würde es vielleicht am Geld scheitern." Er kann es sich leisten, die Suche mit etwas Humor zu betrachten, die wichtigste Stelle im Klub, die des Zweitliga-Trainers, weiß er mit Alexander Hezareh bestens besetzt. Auch der Kader steht, Woche für Woche meldet Oswald Vertragsverlängerungen, zuletzt mit Außenangreifer Leopold Angerer und Libero Matthias Schütze. Auch die zweite Mannschaft habe "endlich mal genügend Spieler" - nur eben keinen, der sie anleitet. Über diese Vakanz habe er auch mit von Känel kürzlich gescherzt: "Er könnte ja bei uns Trainer werden und ich bei denen" - auch Oswald hat einen B-Trainerschein. In Grafing immerhin tut sich nun was: Nächste Woche werde ein leibhaftiger Kandidat zum Probetraining erwartet. Falls daraus nichts werden sollte, können sich die Kollegen der anderen Klubs ja den Namen dieses Exoten geben lassen.

© SZ vom 04.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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