Volleyball:Der Zampano tritt ab

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Playoff-Viertelfinale, Friedrichshafen gegen Herrsching, Galeere gegen Ruderboot. Ein ungleiches Duell? Klar. Einige Klippen muss der Favorit trotzdem erst mal umschiffen

Von Sebastian Winter, Herrsching

Herrsching - Nie zuvor sind Herrschings Volleyballer in ein Viertelfinale um die deutsche Meisterschaft vorgestoßen. Der Klub hat durch den Pre-Playoff-Sieg gegen Rottenburg den größten Erfolg seiner Vereinsgeschichte erreicht. Vor fünf Jahren spielte die Mannschaft noch in der Bayernliga, nun ist sie in ihrer zweiten Saison Erstligist. An diesem Samstag (19.30 Uhr) treffen die Herrschinger in der Runde der letzten Acht, die maximal über drei Spiele geht, auswärts auf eine Institution der Liga: den VfB Friedrichshafen, die alte, etwas angestaubte und gerade sehr aufgeregte Dame des deutschen Volleyballs. 13 Mal deutscher Meister, ebenso oft deutscher Pokalsieger. 2007 gewann der Klub die Champions League - und das Triple. Zeit für einen Vergleich, den Herrsching natürlich nur gewinnen kann.

Die Chancen

Nun ja, Chancen haben die Semiprofi-Volleyballer aus dem beschaulichen Herrsching gegen das Seeungeheuer Friedrichshafen eigentlich nicht. Die Bilanz spricht nicht gerade für den selbsternannten Geilsten Club der Welt, der bei seinen vier bisherigen Duellen ziemlich baden ging: 0:3, 1:3, 0:3, 0:3. Man kann es aber auch positiv formulieren: Der erste Satz war meist gut. Und wer keine Chance hat, der fällt nicht tief. Apropos: Herrschings Teammanager Fritz Frömming taxiert die Wahrscheinlichkeit, dass Herrsching das Halbfinale erreicht, auf: "20:80. Neee, hört sich blöd an. Jedenfalls kleiner als 50:50."

Die Schlüsselspieler

Vieles hängt von der Wade ab. Und vom Daumen. Friedrichshafens 280-maliger deutscher Nationalspieler Björn Andrae laborierte zuletzt länger an einem Muskelfaserriss im Unterschenkel. Herrschings Zuspieler Patrick Steuerwald, der diese Saison bislang so gut mit dem so wichtigen Diagonalspieler Daniel Malescha harmoniert, plagt eine Kapselverletzung am Finger. "Das wird auch nicht mehr so richtig", ahnt Herrschings Trainer Max Hauser. Fallen diese Schlüsselspieler aus, wäre das gut - für den Gegner. Auch Friedrichshafens Zuspieler Simon Tischer, das Gehirn der Mannschaft, fehlte lange Zeit verletzt, ist aber zurück. Wenn er den Brasilianer Luis Fernando Joventino Venceslau gut einsetzt, dürfte Herrsching die Orientierung verlieren. Denn der "springt ab und landet nie mehr", sagt Frömming.

Erwartungsvoll: Patrick Steuerwald, Ferdinand Tille, Phillip Trenkler, Daniel Malescha und Julius Höfer (v.l.). (Foto: Johannes Simon)

Die Stimmung

In Friedrichshafen brodelt es, als hätte ein gewaltiges Seebeben gerade einen Unterwasser-Vulkan im Obersee freigelegt. Der Manager? Gefeuert. Der Geschäftsführer? Gefeuert. Chefscout und Co-Trainer? Gefeuert. All das binnen Monaten. Vor wenigen Tagen hat auch noch Trainer-Legende Stelian Moculescu das Handtuch zum Saisonende geworfen. Ob das so freiwillig geschehen ist, wie öffentlich dargestellt, darf bezweifelt werden. Passend laufen bald Sponsorenverträge aus, die Mannschaft ist im Pokal und in der Champions League längst ausgeschieden. Das neue Management versucht den Klub mit Marketing-Gags und neuen Konzepten moderner zu machen. Ist also alles am Siedepunkt am Bodensee - quasi kurz vor dem Ausbruch. Die Stimmung in Herrsching? Frei nach Friedrich Liechtenstein: supergeil.

Die Halle

Klar, die Friedrichshafener Arena ist kein Schmuckstück, das graue Monstrum aus Beton und Glas wirkt eher wie eine Lagerhalle für ausrangierte Bodensee-Fähren. Aber drinnen wird sie zum Hexenkessel, wenn sie mit 4000 Zuschauern ausverkauft ist. Wenn. Denn das war zuletzt so wahrscheinlich wie ein deutscher Meistertitel für den TSV Herrsching. Peinlich wurde es, als Friedrichshafens Profis so lange in pinken Heimtrikots antreten mussten, bis die Halle tatsächlich voll war. Wurde sie erst, als ein Sponsor mit Freikarten nachhalf. Die ulkigen Herrschinger spielen dagegen natürlich ganz freiwillig in ihren Lederhosen-Trikots. Die "Pink"-Aktion nahmen sie im Rückrunden-Heimspiel gegen Friedrichshafen vor drei Wochen genüsslich auf die Schippe. Die Nikolaushalle (auch kein Schmuckstück, aber fester Backstein) war übrigens rappelvoll, wie fast immer. Kleines Problem: Herrsching verlor trotzdem 0:3 - und braucht bald eine neue Eventarena. Die bringt bestimmt der Weihnachtsmann.

Der See

Die Schwaben, zu denen die Friedrichshafener ja gehören, nennen den Bodensee auch das "Schwäbische Meer". Nicht ohne Grund: Flächenmäßig ist er der zweitgrößte See Mitteleuropas, Umfang: 273 Kilometer. Tiefe: mehr als 250 Meter. Dagegen wirkt der Ammersee wie eine Pfütze. Läppische 43 Kilometerchen Umfang, seichte 81 Meter Tiefgang. Den Titel "bayerisches Meer" musste der Ammersee auch noch dem Chiemsee überlassen. Dafür ist er Eigentum des Freistaates Bayern, während sich die Schwaben seit jeher mit ihren Erzfeinden, den Badenern, sowie den Bayern, den Schweizern und den Österreichern um ihren schönen See streiten. TSV-Teammanager Frömming ist übrigens vor Jahren um ihn herumgefahren mit dem Rad - wohnt aber lieber in Herrsching, in der - Achtung! - Seestraße. Und schaut zu, wie die TSV-Volleyballer schon mal bei drei Grad Wassertemperatur in den Ammersee springen. Das würden die distinguierten Häfler wohl nie in ihrem Leben machen.

Während der Olympischen Spiele 1972 setzte sich Stelian Moculescu aus seiner Heimat Rumänien ab. Am Bodensee wurde er dann zum Volleyball-Zampano. (Foto: Ulmer/Imago)

Die Trainer

Der eine ist 32 und einer der jüngsten Coaches der Liga. Größte Tat: Erstliga-Aufstieg. Der andere ist 65, seit 40 Jahren im Geschäft und einer der erfolgreichsten Trainer Europas. 26 Meister- und Pokaltitel allein mit Friedrichshafen, Champions-League-Sieger mit dem VfB 2007, mit Deutschland ein Jahr später Olympia-Neunter. Stelian Moculescu gilt allerdings nicht gerade als Ausbildungstrainer, der gerne Rohdiamanten schleift. Eher als feuriger Seevulkan. Herrschings Max Hauser, der Gymnasiallehrer, ist kein Vulkan, sichtet Talente aber schon von Berufs wegen. Ehe Moculescu in den Ruhestand geht, hat Hauser vor, noch bei ihm zu hospitieren. Ein Praktikum bei Moculescu ist so etwas wie eine Schiffstaufe, der Trainerguru lässt sich nur ungern in die Karten blicken. Doch was, wenn Herrsching den VfB schon im Viertelfinale von seinem Thron stürzt? "Dann hospitiert Herr Moculescu eben bei uns", sagt Hauser. Der Trainerfuchs.

Neue Medien

Gab es in Friedrichshafen lange Zeit nicht so richtig, was man auch daran sieht, dass der VfB im Vergleich zu Herrsching zwar 13 deutsche Meisterschaften mehr hat, aber nur doppelt so viele Facebook-Freunde. Vielleicht liegt es aber auch einfach daran, dass ihre extrem innovativ klingende Imagekampagne "Der Bodensee steht hinter dem VfB" bislang nicht so richtig hohe Wellen schlägt. Moculescus Männer sind aber frecher geworden, in der Hinrunde veräppelten sie im Internet die Herrschinger Aktion aus dem Vorjahr, als der TSV, komplett inszeniert natürlich, an den Bodensee trampte. Herrsching freut sich nun über "geile Ostern mit dem GCDW" - und lädt zur Busfahrt vom Ammer- an den Bodensee, inklusive Essen und Getränken für 29 Euro. "Weil's gemeinsam geiler ist."

Die Maskottchen

Heißen nicht Max und Stelian, was auch ganz gut passen würde, sondern Flips und Bärti. Herrschings Flips ist ein Killerwal, der sich ganz sicher weder im Ammer- noch Bodensee besonders wohlfühlen würde und im November gewaltig aufs Glatteis geriet: Bei der Eröffnung der Herrschinger Eisbahn plumpste Flips Berichten der Lokalpresse zufolge gewaltig auf den Hintern. Egal, das wahre TSV-Maskottchen ist ohnehin Hallensprecher Alex Tropschug, der als König verkleidet weißwurstwedelnd oder auf Skiern in die Halle kommt. Und Bärti, der Braunbär? Ist auch ganz süß, aber man weiß ja von Bruno: Braunbären leben in Bayern gefährlich.

© SZ vom 26.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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