Volleyball:Nolympia

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Das Aus der deutschen Männer in der Qualifikation für die Spiele 2016 erleben die Herrschinger Ferdinand Tille und Patrick Steuerwald auch als persönliches Dilemma. Wie es weitergeht, wissen sie nicht. Nicht einmal, ob es für sie als Nationalspieler überhaupt weitergeht

Von Sebastian Winter, Berlin

Gegen 19.30 Uhr am Sonntagabend klingelte Patrick Steuerwalds Handy im Hotelzimmer, Georg Grozer, der Hauptangreifer der deutschen Volleyballer, war dran, der sich in Berlin mit seiner Familie ein Appartement gemietet hatte. Grozer lud Steuerwald, dessen Zimmerkollegen Ferdinand Tille und andere Mannschaftskollegen zu sich ein, und ja, etwas Hochprozentiges könnten sie auch gleich mitbringen. Eine rauschende Fete sollte es natürlich nicht geben bei Grozers in Berlin, der Rum sollte eher dazu dienen, den Frust hinunterzuspülen nach der größten Enttäuschung, die die deutschen Volleyballer seit Jahren erlebt haben. Doch Steuerwald und Tille konnten sich nicht mehr aufraffen, sie waren zu frustriert.

Nach einer dramatischen 2:3-Niederlage gegen Weltmeister Polen vor 7200 Zuschauern in der Max-Schmeling-Halle sind die Deutschen beim Olympia-Qualifikationsturnier nur Vierter geworden und verpassen die Spiele von Rio. Dabei hatten sie im vierten Satz Matchball gehabt. Hätten sie ihn verwandelt, hätten sie in Japan eine weitere, viel größere Chance bekommen, das Olympiaticket noch zu lösen.

Nun löst sich stattdessen wohl eine starke Generation im deutschen Männervolleyball auf, Grozer hat seinen Rückzug bereits angekündigt, mit ihm gehen womöglich auch Tille und Steuerwald. Die beiden Herrschinger sind am Montag dann zurück nach München gefahren, nicht verkatert, aber weiterhin frustriert. Am Mittwoch sollen sie schon wieder spielen, grauer Ligaalltag gegen Königs Wusterhausen, aber eine sehr wichtige Partie. Doch wie soll das gehen mit so einem Trauma im Gepäck? "Das wird nicht einfach", sagt Steuerwald.

Im Gegensatz zu Libero Tille hatte der 29-jährige Zuspieler eher eine kleine Rolle bei diesem Qualifikationsturnier. Steuerwald war der zweite Mann hinter Lukas Kampa, "die Rollenverteilung war klar", nur im letzten Gruppenspiel gegen Polen durfte Steuerwald länger aufs Feld - die Deutschen gewannen 3:2. Ansonsten wurde er von Bundestrainer Vital Heynen als Aufschlag-Joker eingesetzt, auch im kleinen Finale gegen Polen, wo er aber kaum Impulse setzen konnte. Steuerwald hätte gerne mehr gespielt, im Halbfinale gegen Russland hätte der Mannschaft zwischendurch ein Wechsel im Zuspiel ganz gut getan, doch Heynen wechselte nicht. So blieb Steuerwald die Rolle des Motivators auf der Bank, des Antreibers, der am Ende aber doch auch nur leer wirkte.

2012 hatte Steuerwald Olympia verpasst, weil ihn Heynen kurz davor aus dem Kader geworfen hatte, wie übrigens auch Tille. Nun dieses Drama. "Das war meine bitterste Niederlage bisher", gab Tille zu, Rio war auch sein großer Traum gewesen. Auch Tille hatte eine klare Rolle, vereinfacht gesagt nahm er die gegnerischen Aufschläge an, Patricks Bruder Markus Steuerwald wehrte die gegnerischen Angriffe bei eigenem Aufschlag ab. Tille hatte viele Spielanteile, auch wenn er sich mit dieser Rollenverteilung anfreunden musste, gegen Polen spielte er solide. "Es war ein bisschen schwankend, aber die haben auch gute Aufschläger, das sind ja keine Nasenbohrer auf der anderen Seite." Je länger das Spiel dauerte, desto besser fand Tille hinein. Allein, es half nicht.

Trauma in Berlin: Die verpasste Olympia-Qualifikation hat Tille nie ganz verwunden. (Foto: Conny Kurth/Imago)

Tille und Steuerwald sind zwei der erfahrensten Nationalspieler, auch sie werden sich fragen, wie es nun weitergeht. Georg Grozer hat schon angekündigt, eine zweijährige Pause einzulegen, zurückkommen wird er als dann 33-Jähriger kaum mehr. Sportler denken ja immer auch in Olympiazyklen, dieser Zyklus ist seit Sonntag beendet, und die Spiele 2020 sehr, sehr weit entfernt. Tille wäre dann 31, Steuerwald 33. "Ich weiß nicht, wie es jetzt weitergeht. Es deutet sich bei ein paar Spielern an, dass sie aufhören, es wäre aber Quatsch, aus den Emotionen heraus etwas zu entscheiden", sagt Tille. Steuerwald, der im November erst Vater geworden ist, wird schon konkreter: "Die Wahrscheinlichkeit, dass ich weitermache, ist momentan nicht allzu hoch."

Sie haben fast alles erlebt zusammen, die beiden Kleinsten im Team, Steuerwald gerade mal 1,80 Meter, Tille sechs Zentimeter größer. Als Steuerwald in diesen Tagen von Berlin, eingerahmt von Kollegen jenseits der zwei Meter, die Nationalhymne sang, da verschwand er fast, wenn die sich ihre Arme einander um die Schultern gelegt hatten. Doch sie schätzen ihn, seine freche Art, das kluge Spiel. Auch wenn der Trainer ihm am Ende nicht mehr zutraute. So wie sie Tille schätzen, der leiser ist, aber mit enormen Reflexen gesegnet.

"Heute Abend sind wir nicht glücklich, morgen auch nicht", sagte Steuerwald noch im Hotel, ein nassgrauer Tag war in Berlin zu Ende gegangen. "Aber wir können unheimlich stolz sein auf das, was wir gegen den Weltmeister aufs Parkett gelegt haben." Er klang so, als wolle er sich schnell versöhnen mit diesem, seinem womöglich letzten Einsatz für die deutschen Volleyballer.

© SZ vom 12.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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