Volleyball:Mitleid für die Schüler

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Trainer Max Hauser krank im Bett, fast alle Spieler angeschlagen: Bundesligist TSV Herrsching geht gegen Friedrichshafen im zweiten Spiel binnen acht Tagen 0:3 unter.

Von Matthias Schmid, Herrsching

Wenn die Emotionen überlaufen, traut man sich auch die aberwitzigsten Dinge zu. Athanasios Protopsaltis zum Beispiel, griechischer Volleyballprofi des VfB Friedrichshafen, versuchte sich am Samstagabend in einer clownesken Einlage. Mit dem Rücken zum Basketballkorb stellte er sich also nach dem Spiel auf, etwa zehn Meter war der Ring von ihm entfernt, er nahm einen Volleyball in die Hand und schleuderte diesen über den Kopf nach hinten. Es hätte niemanden in der Herrschinger Nikolaushalle gewundert, wenn bei seinem abenteuerlichen Versuch der Ball ungestreift durch die Reusen geflogen wäre - Friedrichshafen hatte im Viertelfinale des deutschen Pokals eine Vorstellung geboten, der so gar nichts Humorvolles innewohnte, im Gegenteil.

Nüchtern und präzise wie ein Notar bei der Testamentseröffnung bewältigten die Gäste vom Bodensee beim Besuch am Ammersee ihr Programm. Und nach nur 71 Minuten war die einseitige Partie beendet. Es war eine Lehrstunde, wie sie die Herrschinger in eigener Halle wohl noch nie erhalten haben. "Sie haben uns von Anfang bis zum Ende zur Verzweiflung gebracht", haderte Libero Ferdinand Tille nach der 0:3-Pleite (13:25, 14:25, 19:25). Nicht ein einziges Mal lag Herrsching in Führung, am Ende waren Tille und seine Mitspieler sogar froh, dass die Vorführung im doppelten Sinne so rasch vorüber war.

Nimm du ihn, ich hab ihn sicher: Nicht nur in dieser Szene machen die Herrschinger Humberto Machacon, Norbert Engemann, Leon Dervisaj und Ferdinand Tille (von links) nicht die glücklichste Figur, letztlich waren sie gegen entfesselte Friedrichshafener chancenlos. (Foto: Oryk Haist/imago)

In allen drei Sätzen waren die Herrschinger grotesk unterlegen, es wirkte fast so, als hätten sich ein paar hochgewachsene Schüler bei den Erwachsenen verlaufen, Friedrichshafen war überall besser, bei den Annahmen, bei den Pässen, bei den Blocks und bei den Angriffsbällen. Friedrichshafens Trainer Vital Heynen, eine Koryphäe im internationalen Volleyballsport, entschuldigte sich hinterher fast bei den Zuschauern für den Auftritt, weil dieser der Perfektion gefährlich nahe kam. "Das war unser bisher bestes Spiel in dieser Saison", befand der Belgier, der die Polen in diesem Jahr zum WM-Titel gecoacht hat. Nach ein, zwei Sekunden fügte er hinzu: "Wenn wir fehlerlos spielen, ist es nicht so einfach für die andere Seite. Ich hatte sogar ein bisschen Mitleid mit ihnen."

Vielleicht war es ganz gut, dass Maximilian Hauser die Demütigung nicht in der Halle miterleben musste. Wenn der gegnerische Coach sein Mitgefühl ausspricht, muss in der Tat Erstaunliches passiert sein. Herrschings Cheftrainer lag am Samstag zu Hause im Bett, er hatte sich bereits drei Tage vor dem Spiel wegen einer hartnäckigen Grippe abgemeldet. Sein langjähriger Assistenztrainer Uwe Lindemann vertrat ihn an der Seitenlinie und konnte angesichts der Unterlegenheit aber nicht mehr viel beeinflussen, auch seine häufigen Wechsel halfen nicht. "Wir müssen akzeptieren, dass Friedrichshafen wie aus einem Guss spielte", befand Lindemann. Von Anfang an wirkte der Pokalsieger schneller, wacher - im Kopf und in den Beinen. Die Friedrichshafener spielten im Angriff sehr variabel, sie fanden mit den herausragenden Protopsaltis, David Sossenheimer und Jakob Günthör immer wieder die Lücken, oder hechteten in der Defensive auch noch nach Bällen, die andere längst hätten verloren gegeben. Mehr noch: sie spielten diese so zurück, "dass sie daraus noch einen perfekten Angriff initiieren konnten", wie Johannes Tille staunend feststellte.

Was soll ich nur tun? Hauser-Vertreter Uwe Lindemann (links) bespricht sich mit seinem Co-Trainer-Kollegen Graham Bell. (Foto: Oryk Haist/imago)

Der Zuspieler gab zu, dass die Niederlage ihn noch einige Tage beschäftigen werde, es war keine, die man wie einen Handschuh einfach abstreifen kann. "Dafür haben wir von Anfang an mit zu wenigen Emotionen gespielt", fand er und kam zu einem Urteil, das für eine Profimannschaft einer Bankrotterklärung gleichkommt: "Man hatte auch nicht das Gefühl, dass wir alles gegeben hätten." Was auf den ersten Blick dramatisch klang, schwächte er sogleich ab, indem er die Gründe aufzählte, die zu diesem ungenügenden Arbeitsethos führten. "Wir waren alle irgendwie schlapp heute", erklärte Tille, "weil viele von uns angeschlagen ins Spiel gingen." Sein rechtes Knie schwoll nach dem Spiel an, sein Bruder konnte nur antreten, weil er sich eine Spritze in den Rücken jagen ließ, um die Schmerzen zu betäuben. "Jeder war mit sich beschäftigt", betonte Johannes Tille.

Er hofft nun, dass einige ruhigere Trainingstage helfen werden, die verstörende Niederlage gegen den Champions-League-Teilnehmer zu vergessen und die Wehwehchen so pflegen und kurieren zu können, dass sie beim nächsten Heimspiel in zwei Wochen physisch und psychisch wieder bereit und wettbewerbsfähig sind. Dann schauen die Alpenvolleys Haching in Herrsching vorbei, auch eine Mannschaft, die gut besetzt ist. Und wie endete nun Athanasios Protopsaltis' Zirkusnummer? Sein Versuch verfehlte den Korb, weil sein Ball die unter der Decke hängenden Ringe touchierte, er lächelte den einzigen Fauxpas des Abends weg. Alles wollte den Spielern des VfB Friedrichshafen am Samstag dann doch nicht gelingen.

© SZ vom 26.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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