Volleyball:Mehr Utopie als Traum

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Dem Frauen-Zweitligisten SV Lohhof fehlen TV-Zeiten, Mäzene und das nötige Kleingeld, um fertige Spielerinnen zu verpflichten. Ein Paradebeispiel aus dem Münchner Spitzenrandsport.

Von Sebastian Winter

Sieben Spiele, zwei Siege, sechs Punkte, Drittletzter der Tabelle: Es gab Zeiten, da hätten sich Lohhofs Verantwortliche geschämt für eine solche Zwischenbilanz ihrer Zweitliga-Volleyballerinnen. Und an diesem Samstag geht es zum bayerischen Derby in Straubing, auch dort hängen die Trauben hoch. Noch so eine Statistik, die etwas aussagt über den SV Lohhof: 2, 4, 8. Das sind die Platzierungen der Frauenmannschaft im Endklassement der vergangenen drei Spielzeiten, Achter waren sie in der vergangenen Saison. Die Zahlen sind auch Ausdruck einer Talfahrt, einer einkalkulierten, wohlgemerkt. Und Matthias Kock, der unermüdliche Abteilungsleiter, hat eine Erklärung dafür: "Es ist auch eine Frage des Geldes."

Das Geld ist nicht das einzige Problem des SVL, doch es wird knapper, gerade für Volleyball-Zweitligisten, die im semiprofessionellen Bereich spielen. Und mit Etats um die 100 000 Euro leben. Tendenz rückläufig, bei Lohhof jedenfalls um zehn Prozent im Vergleich zum vergangenen Jahr. Die Anforderungen der Volleyball-Bundesliga (VBL) werden immer höher, die Klubs sollen sich professionalisieren, hauptamtliche Stellen schaffen, ihre Hallen modernisieren. "Der Sprung zur zweiten Liga wird dadurch immer größer", sagt Kock. Eine Folge: Lohhof misst sich in der Südstaffel aktuell nur noch mit neun Konkurrenten, so wenige waren es zuletzt vor 17 Jahren. Niemand wollte aufsteigen aus der dritten Liga, wie auch niemand in die erste Liga aufsteigen wollte. Allein das ist schon ein Alarmsignal. Lohhof hat dadurch nur noch neun Heimspiele, "das ist dann nicht mehr so leicht zu vermarkten", sagt Kock.

"Die U 12 explodiert gerade." Lohhofs Talentförderung ist in Deutschland führend

Lohhofs Kader ist jung, knapp 22 Jahre im Schnitt, und nicht konstant, was man ihm kaum vorwerfen kann. Das Küken ist Carina Malescha, 17, die Schwester von Daniel, der bei Friedrichshafen zum Nationalspieler reift, und Florian, der zuletzt in Herrsching erste Liga spielte. Dazu Lisa Keferloher, Stefanie John, Theresa Schieder, Maja Hammerschmidt, Laura Gentner, viele Eigengewächse, um die herum ein paar Erfahrenere drapiert wurden. "Wenn wir am Ende auf Platz fünf oder sechs stehen, wäre das ein großes Erfolgserlebnis", sagt ihr Trainer Jürgen Pfletschinger.

Es ist Pfletschingers vierte Saison beim SVL - und wohl die schwierigste neben der vergangenen Spielzeit. Es ist aber eben auch Lohhofs Philosophie, den Nachwuchs zu fördern, der Sportverein gilt nach wie vor als eine der renommiertesten Talentschmieden der Republik. "Die U 12 explodiert gerade", sagt Kock und meint damit den enormen Zulauf; es gibt eine U12 I, II, III und IV. Im vergangenen Mai wurde die U18 deutscher Meister, seit elf Jahren hat die SVL-Jugend bei nationalen Titelkämpfen immer eine Medaille gewonnen. Mindestens.

Ein skeptischer Trainer: Jürgen Pfletschinger ist in der vierten Saison Coach des SV Lohhof. (Foto: Johannes Simon)

Das Lohhofer Grundproblem besteht zugleich fort: Spielerinnen, die höher hinauswollen, gehen ins Internat, wie beispielsweise Elisabeth Kettenbach nach Dresden. Andere, wie Kocks Tochter Christina, hängen ihre Karriere trotz ihres großen Talents an den Nagel - Kock aus beruflichen Gründen. Mit 22. Nun hat Lohhof ein Problem auf ihrer Position, dem Mittelblock. Wieder andere sind zu Ligakonkurrent Sonthofen gegangen, wo der halbe Kader aus ehemaligen Lohhoferinnen besteht, aus den Kettenbach-Schwestern Alexandra und Veronika, dazu die frühere Kapitänin Marion Mirtl, Sabrina Karnbaum und Natascha Niemczyk, um nur einige zu nennen. Sie können weiter in München wohnen, studieren oder ihre Ausbildung machen und trainieren - Sonthofen ist eine verkappte Münchner Mannschaft. Nur zu wenigen Übungseinheiten und den Heimspielen pendeln sie nach Sonthofen. Lohhofs Verantwortliche mutmaßen, dass sie dort auch mehr Geld bekommen. So paradox es klingt: "Wir konkurrieren in München mit Sonthofen", sagt Kock. Und außerdem in Oberbayern noch mit den Ligarivalen Straubing und Vilsbiburg.

Im Vergleich mit diesen Klubs hat Lohhof zudem noch einen Standortnachteil: Die Großstadt München erschwert aufgrund der übermächtigen Sportkonkurrenz - Stichwort Fußball, Basketball, Eishockey - nicht nur die Suche nach einem Hauptsponsor, die Lohhof noch immer nicht aufgegeben hat. Sie lässt nebenbei die Mieten explodieren, auch für potenzielle Zugänge, die eine Wohnung brauchen - und ohnehin ein Gehalt fordern, zumindest, wenn sie aus dem Ausland kommen. "Es kommen kaum ausgebildete Spielerinnen hierher, ohne dass man viel Geld in die Hand nimmt", sagt Kock, der beklagt: "In einem Ballungszentrum wie München fehlen uns auch die großen Mäzene."

Und so arbeiten sie eben nach dem Sisyphos-Prinzip, mit Ehrenamtlichen und Helfern, die viel Herzblut geben und kaum Geld bekommen. Auch deshalb ist Lohhof ein Paradebeispiel für Spitzenrandsport in der Metropolregion. Geschäftsstellen-Leiterin und Teammanagerin Martina Banse arbeitet auf 450-Euro-Basis, Trainer Jürgen Pfletschinger nebenberuflich, es sind die einzigen "Hauptamtlichen" in der Abteilung. Leben können sie davon bei weitem nicht. Gesucht wird gerade händeringend nach einem Studenten, der aushilft. Vor ein paar Jahren gab es immerhin noch zwei Vollzeitstellen. Die Spielerinnen bekommen Fahrtkosten, eine kleine Aufwandsentschädigung, sie teilen sich Wohngemeinschaften und Autos.

Für die jungen Spielerinnen wird es von Jahr zu Jahr schwieriger, in der Liga mitzuhalten. (Foto: Claus Schunk)

Auch wegen all dieser Faktoren lassen sie in diesem Jahr lieber die Finger von Nachverpflichtungen wie Jana Jautzema, die sie im Herbst 2016 holten, was sie alleine rund 4500 Euro an Verbandsgebühren kostete. Nach der Saison kehrte Jautzema schnell nach Lettland zurück. Oder Ambria Dasch, ein anders gelagerter Fall: Die US-Amerikanerin hatte einst in Lohhof gespielt und war 2015 zum SVL zurückgekehrt, im Winter 2016 verließ sie die Mannschaft wieder, weil sie schwanger war. Kock bedauert die Verpflichtung Daschs keineswegs, allerdings wurden bei ihr, weil sie US-Bürgerin ist, jede Saison aufs Neue 5000 Euro Verbandsgebühren fällig.

Die aktuelle Mannschaft sei "homogen, sie verstehen sich sehr gut", sagt Banse. Und es kommt kein Neid auf, beispielsweise wegen ausländischer Zugänge, die ja irgendwie von dem Sport leben müssen.

Andererseits ist es auch mit der eigenen Jugend nicht so einfach. 2015 hat Lohhof ein Internatshaus für eigene Talente eröffnet, zurzeit sind es drei, eines davon die Zweitliga-Außenangreiferin Laura Gentner. Sie zahlen vergleichsweise günstige Mieten in ihrer WG in einem hübschen Häuschen in Unterschleißheim, doch Kock sagt auch: "Das Internat funktioniert gerade nicht so, wie wir uns das vorstellen." Auch, weil die Herbergseltern, die sich zuvor rührend gekümmert hatten, im vergangenen Jahr nach Landshut gezogen sind. Lohhof hat seither ein Betreuungsproblem und kann keine Minderjährigen aufnehmen - die aktuellen Talente im Haus sind alle schon volljährig.

Weit mehr als 100 Jugendliche hat Lohhofs Volleyballabteilung, sie ist seit jeher Vorzeigemodell. Doch wann immer Abteilungsleiter und Sparkassen-Filialleiter Kock potenzielle Großsponsoren anfragt (bei 300 bis 500 hat er eigenen Schätzungen zufolge Klinken geputzt in den vergangenen Jahren), kommen die Gegenfragen: "Wie viel TV-Präsenz habt ihr, wie viel Reichweite bei Print- und Onlinemedien, wie viele Zuschauer?" Die zweite Volleyball-Bundesliga hat fast keine TV-Präsenz, höchstens punktuell im Internet-Fernsehen oder bei regionalen Sendern. Die Reichweite bei Print- und Onlinemedien hält sich auch in Grenzen, und die Zuschauerzahlen schwanken beträchtlich. An sehr gut besuchten Heimspiel-Tagen kommen schon mal 500 Fans in die Halle, es ist dann das größte Event in Unterschleißheim, samt Kinderbetreuung im Nebenraum. An schlechten Tagen sind es 150. Eine große Vision, gar zurück in die goldenen Achtziger? Ist eher nicht in Sicht.

Die erste Liga ist für Lohhof inzwischen mehr Utopie als Traum, wie übrigens auch für Männerklubs wie Grafing oder Dachau. "Sie führt weg vom Verein, allein deshalb, weil man die Mannschaft in eine Spielbetrieb-GmbH auslagern muss. Und die Gefahr ist dann, dass sich die Spielerinnen nicht mehr mit dem Verein identifizieren", sagt Kock. Lohhof ist ja gebrandmarkt, der SVL war mal die große Nummer im deutschen Frauen-Volleyball: CEV-Pokalsieger 1981, und von 1982 bis 1984 und 1986 jeweils immer deutscher Meister und Pokalsieger. Ausgelagert als Bayern Lohhof gewannen sie auch 1987 und 1988 den DM-Titel. Es war ein höchst erfolgreiches Nationalteam-Projekt, vom Verband alimentiert, mit harter Hand geführt, auch mit eigenem Nachwuchs, wie Banse betont, die damals als Mädchen Ballrollerin war und später wegen der Bandscheibe nicht erste Liga spielte. Doch es war auch ein "Höher, Schneller, Weiter", sagt Banse. Irgendwann sank Lohhofs Stern, die Fallhöhe war gewaltig. Die Insolvenzen bereiteten aber auch den Boden, auf dem die Erfolge der Jugend gediehen. Und ermöglichten dem Klub erst seine neue Philosophie.

Kock, den der achte Platz schmerzt wie wenige sonst im Klub, war vor einer knappen Woche nach der jüngsten schlimmen 0:3-Klatsche Lohhofs in Neuwied mit dem Vorstand beim Team. Er schäumte nicht vor Wut, sondern startete einen Appell: "Ich habe ihnen gesagt, dass sie verlieren können, kein Problem. Aber ich möchte sie kämpfen sehen." So sehr, wie ein Team eben kämpfen kann, dessen Trikots wortwörtlich in Flammen stehen.

© SZ vom 09.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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