Volleyball:Lockruf vom Bodensee

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Nach Friedrichshafen wechseln - oder doch in Herrsching bleiben? Nationalspieler Daniel Malescha trifft in den nächsten Tagen eine auch für seinen aktuellen Klub folgenschwere Entscheidung

Von Sebastian Winter, Herrsching

Daniel Malescha hat am Dienstag seine nackten Zehen in den noch kühlen Sand gegraben. "Die Füße sind Eisklötze, aber obenrum geht es", sagte der 2,03-Meter-Schlaks. Malescha spielt gerne und passabel Beachvolleyball, bei der U-19-Weltmeisterschaft in Kroatien ist er 2011 mit seinem Kieler Partner Jenne Hinrichsen Neunter geworden. Dieses Jahr möchte er mit seinem Bruder Florian Malescha ein paar Turniere spielen, nicht wirklich professionell, sondern als Ausgleich zur Hallensaison. Einer Saison, in der das Geschwisterpaar aus Oberschleißheim mit dem Erstligisten Herrsching vor drei Wochen erst im Playoff-Viertelfinale am VfB Friedrichshafen gescheitert war.

Es war der größte Erfolg für Herrsching, und Daniel Malescha hatte enormen Anteil daran: Mit 369 Punkten lag er nach der Rückrunde auf Platz drei der Topscorer-Liste, weit vor so starken Angreifern wie dem Berliner Paul Carroll oder Friedrichshafens Adrian Gontariu. In der Playoff-Statistik steht er noch immer auf Platz eins. Malescha hinterließ so nachhaltigen Eindruck, dass er nun vor einer wichtigen Entscheidung steht. Wie er der SZ bestätigte, möchte Vorjahresmeister Friedrichshafen den Diagonalspieler für die kommende Saison verpflichten. "Das ist alles sehr verlockend und sportlich gesehen so, wie wenn der FC Bayern anrufen würde", sagte Malescha. Friedrichshafens künftiger Trainer Vital Heynen hatte den 21-Jährigen schon Ende Februar angerufen und ihm gesagt, dass er ihn gerne mitnehmen würde - zu welchem Klub auch immer. Damals stand zumindest offiziell noch gar nicht fest, dass Heynen Friedrichshafens Trainer Stelian Moculescu beerben würde.

Der Belgier hatte schon im vergangenen Herbst zarte Bande zu Malescha geknüpft, damals noch in seiner Funktion als Bundestrainer. Heynen lud Malescha zum Trainingslager vor dem Olympia-Qualifikationsturnier ein. Zwar konnte sich Malescha nicht durchsetzen, dafür darf er unter Heynen die Sommer-Vorbereitung für die World League mitmachen - verbunden mit ganz prächtigen Synergieeffekten für eine künftige Zusammenarbeit im selben Verein. Heynen lockt Malescha auch damit, am Bodensee "mein Dasein nicht auf der Bank fristen zu müssen". Dass VfB-Geschäftsführer Sebastian Schmidt den Angreifer kürzlich in München traf, zeigt, wie groß das Interesse an Malescha ist.

Der sensible junge Mann mit Schuhgröße 50, dessen etwas tapsiger Gang immer ein wenig an Charlie Chaplin erinnert, und dem sein Trainer Max Hauser "schon etwas leicht Tollpatschiges" attestiert, muss - oder vielmehr darf - sich in Kürze zwischen zwei Welten entscheiden: Beendet der angehende Wirtschaftsingenieur sein Bachelor-Studium an der FH München und bleibt noch zwei Jahre in seiner Komfortzone in Herrsching, wie es sein ursprünglicher Plan war? Als Führungsspieler, umgeben von Kumpels und seinem Bruder, in einem Klub, der dem sehr selbstkritischen Malescha auch immer schlechte Phasen verziehen hat. Oder folgt er dem Lockruf vom Bodensee (oder woanders hin, Malescha hat noch weitere Angebote aus der Bundesliga), wo er sich in einem weitaus professionelleren Umfeld entwickeln, international spielen und Titel gewinnen kann. Wo er sich aber auch in einem weitaus raueren Umfeld beweisen muss. Malescha fühlt sich wohl in Herrsching, "hier geht es voran, und ich habe die Chance, das alles selbst mit aufzubauen". Doch er zweifelt: "Manchmal denke ich, geil, Friedrichshafen. Dann wache ich auf und sage: Cool, Herrsching."

In diesem Zwiespalt befindet sich dieser feingliedrige Klavierspieler, der mit einem gewaltigen, stilistisch feinen Armzug ausgestattet ist. Und der einen ganz eigenen, leisen, versteckten Humor besitzt. Der nach seiner Jugend in Lohhof am Internat Kempfenhausen ausgebildet wurde, zum Erstliga-Ausbildungsprojekt VC Olympia Berlin wechselte, ein Jahr später nach Coburg, wo er zu einem der besten Angreifer der Liga reifte. Nach nur einer Saison wechselte er nach Herrsching, optimierte sein Krafttraining - und wurde noch stärker. So einen Lebenslauf kann man in diesem technisch anspruchsvollen Sport durchaus als Blitzkarriere bezeichnen. Die für ihn selbst und auch für den Geschmack seines Trainers gerade etwas zu blitzartig verläuft.

Max Hauser wollte um Patrick Steuerwald, Ferdinand Tille, deren Verbleib quasi feststeht, und Malescha herum den neuen Kader bauen. Dieses Trio sollte das Korsett sein, die Basis, die auch neue Spieler anlockt. Wie Tom Strohbach. Der Rottenburger wird laut Hauser kommende Saison aller Voraussicht nach für Herrsching spielen: "Es ist eine Achse, die mir gefällt", sagt der Trainer. "Jetzt drischt uns Vital dazwischen. Es wäre wirklich traurig, wenn Daniel da wegbricht." Vor allem wäre es der erste entscheidende Spieler, den Hauser an einen anderen Klub verlöre. "Der uns weggekauft wird", erregt sich der Coach. Wobei im Volleyball Ablösesummen unüblich sind, eher kann Herrsching eine kleine Ausbildungsentschädigung erwarten.

Fakt ist, dass Herrsching Malescha nur schwer ersetzen kann, hierzulande gibt es kaum Angreifer in seiner Qualität. "Wenn er geht, müssen wir wahrscheinlich einen Ausländer holen. Das passt mir nicht ganz so ins System", sagt Hauser, zumal dafür auch Lizenzgebühren zu zahlen wären.

Beim Saisonabschluss auf einer Hütte in den bayerischen Voralpen hat Hauser vor zehn Tagen Malescha noch einmal ins Gewissen geredet, ihm gesagt, dass er nicht alle Geschichten glauben solle, die ihm Friedrichshafen erzählt. "Ich hätte gerne noch mehr an seiner Führungsqualität gearbeitet, er ist noch kein Gestalter", findet Hauser, der glaubt, dass Malescha das Herrschinger Wohlfühlklima braucht. Malescha würde dieser Einschätzung nicht widersprechen, im Spiel-und-Spaß-Kosmos am Ammersee könnte er weiter reifen, unter Anleitung des sehr fähigen Entwicklers Hauser. Doch wenn man Malescha nach Vital Heynens Trainingsmethodik fragt, gerät er fast ins Schwärmen.

Am Donnerstag wollte sich Malescha am Olympiastützpunkt in München mit einem Karriereberater treffen, um eine sinnvolle Zukunftsstrategie zu entwickeln. Nach dem Gespräch möchte er sich zügig entscheiden. Hauser beziffert die Chancen, dass er bleibt, auf 50:50. Und das ist eine ziemlich optimistische Einschätzung.

© SZ vom 21.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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