Volleyball:Innerer Friede nach dem Kalten Krieg

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Nach 440 Länderspielen öffnet sich für Stefan Chrtiansky das Tor zum Westen. Seit 20 Jahren trainiert er nun die Alpenvolleys. Über einen, der seine zweite Heimat gefunden hat.

Von Sebastian Winter

Stefan Chrtiansky trägt Weiß, wie immer vor dem Anpfiff. Dazu Jeans und schwarze, polierte Halbschuhe. Silberne Halskette, silberne Uhr, silbernes Haar, akkurat geföhnt. Der Jogginganzug-Typ war er an der Seitenlinie nie. Das Hemd mit dem Alpenvolleys-Logo hat er in mehrfacher Ausfertigung im Kleiderschrank. "Ein gewisses Niveau muss schon sein", sagt der 57-Jährige. Dann läuft er los, mit den Spielern. Zehn Minuten sind es vom Unterhachinger Hotel zur Halle.

Dort tragen die Hypo Tirol Alpenvolleys Haching die Hälfte ihrer Heimspiele aus, die andere Hälfte in Innsbruck, ihrer eigentlichen Heimat. Es geht an diesem Dezember-Mittwoch gegen Sastamala, CEV-Cup, zweithöchster europäischer Wettbewerb, Sechzehntelfinale. Und es geht gut, ein 3:0-Erfolg im Hinspiel. Chrtiansky muss nicht viel tun an der Seitenlinie, ein bisschen klatschen, aufmuntern, nur selten verzieht er das Gesicht. Auch das Rückspiel haben sie am Dienstag in Finnland gewonnen - der Achtelfinal-Einzug. An diesem Samstag (19 Uhr) folgt nun ihr letztes Spiel vor Weihnachten, wieder in Unterhaching gegen Lüneburg.

"Ich hatte viele Trainer. Und mir hat immer gefallen, wenn sie das Spiel beruhigt haben."

Der Slowake, geboren im Örtchen Male Zlievce, ganz im Süden, ist seit fast 20 Jahren Trainer der Alpenvolleys - mit kurzen Unterbrechungen. Zwischen 2004 und 2006 war er Sportdirektor des österreichischen Dauermeisters, von 2015 bis 2017 auch. Mit Innsbruck ist er danach mangels sportlicher Perspektiven in Österreich in die deutsche Bundesliga ausgewandert. Seither ist der Trainer Chrtiansky Teil dieses skurrilen Experiments, das die Alpenvolleys als ersten ausländischen Klub (mit Haching als Lizenznehmer) in den deutschen Profivolleyball führte.

Chrtiansky gilt als ruhiger Vertreter seiner Zunft, manche im Klub finden, er sei ein wenig zu ruhig, zu sachlich, zu wenig impulsiv. "Ich schreie nicht viel, mache nicht viel Theater und gebe den Spielern möglichst freie Hand und freien Kopf. Aber wenn sie etwas ändern müssen, rede ich mit ihnen", sagt Chrtiansky. Der Zwei-Meter-Mann mit den riesigen Pranken gibt auch in Auszeiten höchstens ein oder zwei Anweisungen. "Zu viele Infos überfordern leicht", sagt er.

Er muss es wissen. 440 Mal hat Chrtiansky für die ČSSR und die Slowakei gespielt, zwei Jahre lang als Kapitän. 1983 wurde er bei seiner ersten Europameisterschaft in Berlin Sechster, 1985 holte er EM-Silber mit der ČSSR, sein größter Erfolg. Später wurde er beim World Cup in Japan als bester Mittelblocker ins All-Star-Team gewählt. Er war Profi bei Roter Stern Bratislava, wo seine Karriere begann, danach in Italien, Frankreich, am Ende in Wien - wo er mit Innsbrucks späterem Manager Hannes Kronthaler in Kontakt kam. "Ich hatte viele Trainer in meiner Karriere. Und mir hat immer gefallen, wenn sie das Spiel beruhigt und nur zwei, drei kurze Tipps in den Auszeiten gegeben haben", sagt Chrtiansky.

Zu sachlich? Zu wenig impulsiv? „Ich schreie nicht viel, mache nicht viel Theater und gebe den Spielern möglichst freie Hand und freien Kopf“, sagt Stefan Chrtiansky. (Foto: Claus Schunk)

Er knüpfte hervorragende Kontakte im Ausland, das Netzwerk hilft ihm bis heute, immer wieder an gute Spieler zu kommen. Auch deshalb haben der Trainer und Sportdirektor Chrtiansky und der Manager Kronthaler zusammen zehn österreichische Meistertitel mit Innsbruck gewonnen. Sie sind längst befreundet, "auch wenn die Ergebnisse schon stimmen müssen", wie Chrtiansky sagt: "Hannes versteht anders als andere Manager Volleyball, ist menschlich auf dem Boden geblieben, es gab nie finanzielle Probleme." Dass Kronthaler im Sommer 2017 überlegte, Chrtiansky nach der ersten Saison in der Bundesliga womöglich durch einen noch erfahreneren Trainer zu ersetzen und wieder zum Sportdirektor zu machen, stört ihn überhaupt nicht. "Ich bin immer noch da", sagt Chrtiansky und schmunzelt.

Zweimal standen die Alpenvolleys bislang im Halbfinale. Vielleicht auch deshalb, weil der Trainer den Spielern zwar ihre Freiheiten lässt, aber eine natürliche Autorität ausstrahlt und enorm viel Wert auf Disziplin legt. Nachtruhe ist um 23 Uhr, wer raucht, zu spät kommt, Trainingskleidung vergisst, wessen Handy klingelt, wer einen Aufschlag oder Angriff unter dem Netz hindurch schlägt, muss in die Mannschaftskasse einzahlen. An Spieltagen den doppelten Betrag. Ein nettes Barbecue habe es von den knapp 1000 Euro nach der vergangenen Saison gegeben, sagt Chrtiansky.

Zum Volleyball kam er spät. Als Junge streifte er lieber in den Wäldern seiner Heimat umher, spielte Fußball, am liebsten im Tor. Als 15-Jähriger wuchs er dann binnen eines Jahres um 15 Zentimeter, war plötzlich 1,95 Meter groß. Die Lehrer in der Schule staunten: "Bist du das, Stefan?" Im Dorf fragten ihn bald ein paar ehemalige Erstliga-Volleyballer, die dort wohnten, ob er mal mitspielen wolle. Auf Sand- und Lehmboden - eine Halle gab es in Male Zlievce nicht.

Danach ging alles rasend schnell: Mit 17 besuchte Chrtiansky ein Trainingscamp bei Roter Stern Bratislava - in dem Jahr, in dem der Klub die Champions League gewann. Er wechselte die Schule und in die Hauptstadt, nach einem Jahr spielte er bei den Profis, nach drei Jahren studierte er Wirtschaft und spielte im Nationalteam. Es war die Zeit des Kalten Krieges.

1984 flog Chrtiansky mit der ČSSR vor den Olympischen Spielen in Los Angeles in die USA. Qualifiziert waren sie nicht, aber von den US-Volleyballern als Sparringspartner auserkoren worden, weil ihre Spielweise der russischen ähnelte, also jener des Erzfeindes. "Dann kamen die ganzen Absagen des Ostblocks, während wir drüben waren", erinnert sich Chrtiansky an den Olympiaboykott: "Nur nicht von unserem Land. Sie hatten Angst, dass wir uns in die USA absetzen. Doch einen Tag, nachdem wir wieder zurückgekehrt waren, sagte die ČSSR für die Spiele in L.A. ab." Nicht nur einmal spürte Chrtiansky, wie er nach seiner Rückkehr heimlich überwacht wurde, öfter berichteten ihm Freunde, dass sie von der Polizei befragt wurden, nachdem sie sich mit ihm getroffen hatten. "Das war komisch, wir waren schon im Auge der Staatspolizei."

Die Spiele in Seoul verpasste er knapp in der Qualifikation, dafür nahm er zweimal an der Weltmeisterschaft teil: 1986 in Frankreich (Achter) und 1990 in Brasilien (Neunter). Dazwischen lag ein Ereignis, das auch Chrtianskys Welt neu justierte.

Im November 1989 kam es unter dem Eindruck des Reformprogramms von Michail Gorbatschow in der Sowjetunion zu mehrtägigen Demonstrationen in Prag, Bratislava und anderen Städten. Chrtiansky war mittendrin, machte mit bei den Protesten auf dem Stadtplatz von Bratislava, hielt wie 100 000 andere seinen Schlüsselbund in die Höhe und klimperte damit - das Symbol des friedlichen Widerstands. Nach tagelangen Protesten trat die kommunistische Führung zurück, die Samtene Revolution hatte das Regime zu Fall gebracht. "Es war mein letztes Jahr in Bratislava, mein Sohn Stefan war da drei Monate alt. Danach bin ich mit Frau und Kind nach Italien ausgereist", sagt Chrtiansky. Seine Frau Monika, selbst Volleyballprofi, hatte ihre Karriere für ihren Mann und ihren Sohn aufgegeben.

Mit 37 beendete auch Chrtiansky seine Karriere, in Detva, eine Stunde nördlich von Male Zlievce - und bekam einen Anruf aus Innsbruck, ob er als Mittelblocker aushelfen könne. Chrtiansky sagte zu. Ein Jahr später machte ihn Kronthaler zum Trainer - der er bis heute geblieben ist. "Stefan ist anständig, ehrlich, sozial kompetent, effizient, zielgerichtet, mit gutem Auge für die Spielerentwicklung. Ich habe immer gewusst, dass ich ihn nie gehen lasse. Mir fällt nichts ein, was er besser machen kann", sagt Kronthaler.

Mit seiner Frau ist Chrtiansky vor zwei Jahren aus der Stadtwohnung in Innsbruck aufs Land gezogen, nach Vomp, nicht weit vom Achensee entfernt. Dort haben sie sich ein Haus gekauft, der Skilift liegt gleich gegenüber. Im Haus hängen auch ein paar Trophäen des passionierten Hobbyjägers Chrtiansky, Hirsch, Reh, Wildschwein. Und der Gamsschädel, den Kronthalers Vater ihm mal als Trophäe aus dessen Jagdrevier mitgebracht hat.

Chrtiansky freut sich nun auf Weihnachten. An Heiligabend feiern sie in Vomp, danach fahren sie zu seiner Schwester in die slowakische Heimat. Seine Kinder, die das Talent ihrer Eltern in sich tragen, kommen auch zu Besuch. Stefan junior, der lange Zeit unter seinem Vater in Innsbruck spielte, als Profi nach Italien und Frankreich ging und inzwischen eine Ausbildung zum Physiotherapeuten macht. Und Tochter Monika Chrtianska, österreichische Volleyball-Nationalspielerin, die beim Schweizer Profiklub Pfeffingen unter Vertrag steht. Es gibt dann wieder Sauerkrautsuppe mit Pilzen und Würsten, Schnitzel mit Kartoffelsalat und gebackenen Fisch im Hause Chrtiansky. Bei dieser Familie, die ihrem Sport so dankbar ist, weil er ihr die Welt geöffnet hat.

© SZ vom 21.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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