Volleyball:"Ich sag' nicht mehr nie"

Lesezeit: 7 min

Herrschings alter Libero Ferdinand Tille und Hachings neuer Trainer Patrick Steuerwald sprechen zum Saisonstart über Konkurrenz, Karriere, Knete und Kinder.

Interview von Katrin Freiburghaus und Sebastian Winter

Zwei, die sich auf und neben dem Feld gut verstehen: Ferdinand Tille, Markenzeichen Schnürsenkel-Stirnband, und Patrick Steuerwald, Markenzeichen Dampfplauderer, 2017 im Herrschinger Trachten-Look. (Foto: Oryk Haist/imago)

Am Samstag startet die Volleyball-Bundesliga der Männer in ihre neue Saison, und zu den WWK Volleys Herrsching gesellt sich nun der Alpenvolleys-Nachfolger und neue Lokalrivale TSV Unterhaching. Allerdings verpasst das junge Team, das in Quarantäne war, sein Auftaktspiel gegen Bühl, Herrsching dagegen spielt am Samstag (19 Uhr) in Giesen. Im SZ-Interview sprechen Herrschings Libero Ferdinand Tille und Hachings Trainer Patrick Steuerwald über ihre Freundschaft, Traumata - und eine in jeder Hinsicht besondere Spielzeit.

SZ: Herr Tille, Herr Steuerwald, Sie haben Ihre halbe Karriere gemeinsam auf dem Feld verbracht, sind befreundet. Nun sind Sie wieder in derselben Region - auf verschiedenen Seiten. Reden Sie gerade eher über Volleyball, oder tauschen Sie Expertenwissen im Papasein aus?

Tille: Über Volleyball haben wir zuletzt tatsächlich wenig geredet. Ich schreibe noch bis 30. November meine Masterarbeit. Am 10. Dezember erwartet meine Freundin unser Kind. Danach spiele ich erst mal nur Volleyball - das ist meine Elternzeit.

Steuerwald: Ich empfehle, sich vor dem ersten Kind gut auszuschlafen (lacht).

Herr Steuerwald, Sie haben zwei Kinder - und jüngst unfreiwillig mehr Zeit für sie, weil Sie mit Haching nach einem Coronafall bei der Teamvorstellung in Quarantäne mussten. Kurz vor dem Saisonstart nicht gerade der beste Zeitpunkt, oder?

Steuerwald: Das war alles andere als perfekt. Gerade so ein junges Team braucht viele Ballkontakte. Das für Sonntag in Bühl geplante Spiel konnten wir zum Glück verschieben, sonst hätten wir davor nur zwei Tage Training gehabt. Jetzt haben wir eine Woche länger Zeit, um uns auf Berlin vorzubereiten. Die Jungs werden vor Energie sprühen.

Haben sie sich sehr gelangweilt?

Steuerwald: Was sollen sie alleine auch machen? Bis auf die zwei Corona-Tests durften sie nicht mal raus. Ich selbst habe zu Hause auch nicht zufällig einen Hallenvolleyball rumliegen, den ich gegen die Wand pritschen kann. Davon abgesehen, dass das nicht effektiv ist.

Herrsching spielt am Samstag in Giesen. Wie war die Vorbereitung bei Ihnen?

Tille: Am Anfang schwierig, weil einige Spieler erst verspätet einreisen durften und deshalb einen Monat später angefangen haben. Wir waren somit lange nicht auf demselben Niveau. Dann lief es aber richtig gut. Seit einer Woche sind zwei Außenangreifer lädiert. In den Testspielen gegen Friedrichshafen und Düren habe ich daher manchmal außen gespielt.

Eher ungewöhnlich für einen Libero.

Tille: Ich habe mit dem Trainer (Max Hauser, d. Red.) eine Absprache. Jeden Tag Libero-Training würde ich mental nicht mehr durchhalten, weil ich ja nicht in die Halle gehe, um meine Zeit abzusitzen. Ich will mich bewegen. Deshalb haben wir ausgemacht, dass ich als Außenangreifer trainiere und Libero spiele. Das hat die Motivation fürs Krafttraining zurückgebracht. Das wiederum kommt am Spieltag meiner Leistung als Libero zugute.

Steuerwald: Einem Libero ist prinzipiell erst mal langweilig. Denn in dem, was der Ferdl tut, ist er so gut, dass niemand auf ihn aufschlägt. Und dann sucht er sich halt Arbeit. Die findet er, indem er mehr Bälle in der Abwehr oder in der Annahme nimmt - oder indem er sich mit dem Gegner oder dem Schiedsrichter unterhält.

Tille: (lacht) Ja, es ist immer jemand da, mit dem man reden kann.

Wie tickt der Trainer Patrick Steuerwald?

Tille: Wir haben uns ja, seit er Hachings Trainer ist, erst bei einem Testspiel getroffen. Man hat die Handschrift von Patrick aber schon gesehen. Er ist viel hinter dem Feld rumgelaufen. Und wenn einer nicht den Block gesichert hat, wurde es schon laut. Das kenne ich von früher. Also ganz relaxed wird er nicht sein.

Auch auf dem Spielfeld galt er bis zu seiner schweren Verletzung die 2018 seine Karriere beendete, als Antreiber.

Tille: Als wir noch zusammengespielt haben, war er eher ein zweiter Trainer auf dem Feld. Ich weiß nicht, wie Patrick das gemacht hat: Jemanden die ganze Zeit anzuschreien, es aber nicht so zu meinen. Ich versuche es im Training, aber fühle mich dabei immer schlecht. Wenn einfache Fehler passieren, wird er sicher laut werden. Das können wir beide nicht akzeptieren.

Steuerwald: Ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn man Fehler macht. Wir in Unterhaching müssen mit diesem jungen Team Fehler machen, sonst können wir nichts lernen. Deshalb ärgert es mich eher, wenn jemand etwas nicht probiert, als wenn es schiefgeht. Ferdl ist bei alldem halt nicht so eine Plappertasche wie ich.

Herr Tille, Sie werden bald 32. Wäre das auch etwas für Sie - Trainer?

Tille: Mir wurde früher immer gesagt, dass ich mal Trainer werde. Ich kann es mir im Moment nicht so vorstellen, aber schon eher als vor drei Jahren. Ich fühle mich zugleich so fit, dass ich gerne noch ein paar Jahre auf dem Feld stehen kann.

Steuerwald: Vergiss nicht, dass du schon 20 Jahre Berufserfahrung mitbringst! Die musst du in einem anderen Job erst mal sammeln.

Tille: Ich sag' sowieso nicht mehr nie. Ich habe früher gesagt, ich komme nie wieder nach Unterhaching - dann habe ich zwei Jahre später wieder für Unterhaching gespielt. Dann hab ich gesagt, dass ich nie in Herrsching spielen werde - und jetzt ist es mein fünftes Jahr.

Was ist Ihr Saisonziel?

Tille: Platz vier. Man muss sich jedes Jahr einen Rang verbessern. Dieses Jahr können wir auch mal ein Halbfinale spielen.

Unterhaching hat keinen Druck, weil die Regularien der Liga in der Corona-Zeit keine Absteiger vorsehen. Hilft das mit diesem Team, das zehn Spieler unter 22 Jahren und kaum Erstligaerfahrung hat?

Steuerwald: Es hilft uns massiv, sportlich nicht ums Überleben kämpfen zu müssen, wir können daher in die Struktur investieren. Aber ich bin kein Freund davon, den Abstieg lange auszusetzen. Der sportliche Wettkampf muss im Vordergrund stehen. Wer mich und Mihai (Geschäftsführer Paduretu, d. Red.) kennt, der weiß aber, dass wir nicht nur an dieses Jahr denken. Auf lange Sicht sollte das Ziel das gute Mittelfeld sein. Oder gar oben anzugreifen. Das wird aber nicht übermorgen sein, da reden wir jetzt schon über ein paar Jährchen.

Wie groß ist Ihre Hoffnung, die Saison überhaupt regulär zu beenden? Zum Auftakt fallen drei von sieben Spielen aus.

Steuerwald: Regulär? So lange die Regeln so sind, wie sie aktuell sind, müssen wir froh sein, in der Zeit überhaupt eine Hin- und Rückrunde zustande zu bringen. Das geht ja schon damit los, dass Friedrichshafen theoretisch nach Auslandsreisen noch in Quarantäne müsste, wenn längst das nächste Ligaspiel terminiert ist. Und wenn unsere Jungen ab Montag wieder in die Schule dürfen, wird der Rattenschwanz an Kontakten nicht kürzer. Wir machen immer drei Kreuze, wenn alle negativ sind.

Tille: Damit, dass wir mit weniger oder ohne Fans spielen müssen, habe ich mich jedenfalls abgefunden.

Herrsching plant im Dezember und Januar drei Spiele im Audi Dome, es wäre die Premiere. Aber ist das überhaupt realistisch in dieser Zeit?

Tille: Ich hoffe sehr. Der Audi Dome ist eine super Halle für Volleyball. Es ist bitter, dass unser Playoff-Viertelfinale im vergangenen April dort abgesagt werden musste wegen Corona. Es wäre der nächste Schritt für Herrsching, nach München zu gehen, den Sport und die Marke ein bisschen bekannter zu machen. Ich möchte das noch erleben, dort vor vollem Haus zu spielen.

Sie beide haben zwischen Ihrer ersten gemeinsamen Saison in Unterhaching und Ihrer jeweiligen Rückkehr ins Münchner Umland eine Menge von der Volleyballwelt gesehen. Verändert das den Blick, wenn man wieder da ist?

Tille: Frankreich oder Polen waren super Erfahrungen, die ich nicht missen möchte. Aber im Ausland ist es schwer, Kontakte zu pflegen. Und irgendwann verschieben sich im Leben die Prioritäten - auf die Frau, die Familie, Kinder. Hier ist unsere Heimat, die Freunde sind da, ich kann meinen Bachelor und Master machen. In Herrsching bekomme ich sehr gutes Geld und ein Auto. Finanziell macht es auf meiner Position ohnehin wenig Sinn, ins Ausland zu gehen, wenn man nicht bei einem Top-Verein unterkommt. Da gibt es riesige Spannen von 20 000 Euro netto im Jahr, die man als Libero im Ausland verdient, während manch ein Diagonalspieler 300 000 oder 400 000 Euro verdient.

Steuerwald: Bei mir ist das ganz klar eine Entscheidung für die Familie. Bisher durfte ich machen, wozu ich Lust hatte, die anderen sind mitgezogen. Jetzt wohnen wir in einem Haus in Brunnthal, bauen es gerade um. Nächstes Jahr kommt meine große Tochter in die Schule, die Kleine wird im Dezember zwei. Sie sollen in einer ruhigen Umgebung aufwachsen.

Ist es für Sie beide in Deutschland finanziell immer am sichersten gewesen?

Steuerwald: In Deutschland ist ein Vertrag ein Vertrag. Der wird hier zu 99,9 Prozent auch erfüllt. In Italien oder Polen oder vielen anderen Ligen unterschreibt man etwas, und am Schluss kann es passieren, dass man 20 oder 30 Prozent weniger bekommt als ausgemacht.

Tille: In Frankreich habe ich das Gleiche verdient wie in Unterhaching, vielleicht 5000 Euro mehr im Jahr. In Polen waren es auch nur 10 000 Euro mehr im Jahr. Das sind keine Welten. Das neue Land, die neue Liga, die neue Erfahrung - das waren eher die Gründe.

Steuerwald: In Deutschland hast du von 450-Euro-Jobs bis 150 000 oder 170 000 Euro netto alles.

Herr Steuerwald, wie war es bei Ihnen im Ausland?

Steuerwald: Die ersten beiden Jahre nach meiner Zeit in Unterhaching waren die lukrativsten. Da habe ich das Doppelte bekommen, und in Unterhaching war es eh schon gutes Geld. Wir beide haben den Nationalspieler-Status von früher und dürfen uns nicht beschweren. Natürlich haben die Handballer, Eishockeyspieler und Basketballer eine Null mehr hinten dran, die haben im Schnitt aber auch eine Null mehr bei den Zuschauern. Wir mussten jedenfalls nie zusätzlich arbeiten oder uns eine Platte machen, wie wir über die Runden kommen.

TSV-Geschäftsführer Mihai Paduretu sagte, die ganze Mannschaft spiele für lau. Stimmt das?

Steuerwald: Ja. Ein paar haben eine Wohnung vom Verein, es gibt Fahrtkosten, ein paar machen ein Jugendtraining und kriegen darüber ein bisschen was. Für mehr ist leider wirklich kein Geld da.

Denken Sie eigentlich gerne an die gemeinsame Hachinger Zeit zwischen 2006 und 2010 zurück?

Tille: Auch die Zeit in Frankreich war super, in Sète (Hafenstadt am Mittelmeer). Der Verein, die Location am Meer, die Sonne, das war ein anderes Leben. Aber klar, ich habe mit 17 in Haching angefangen, sportlich war es für mich die erfolgreichste Zeit, mit den Pokalsiegen 2009 und 2010. Mit den Spielern von damals habe ich noch am meisten Kontakt. Die älteren haben mich eingeführt - auch ins Feiern.

Steuerwald: Da war auch der erste Kuss mit seiner Freundin dabei (kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen). Es war die prägendste Zeit für mich. Im Ausland bist du der Ausländer, hast Sprachprobleme. In Unterhaching waren wir sozial integriert, als Student, in der Schule, man hat sich da und dort getroffen. Mehr gemeinsame Erfolge hatten wir nicht. Okay, noch der Europaliga-Titel mit dem Nationalteam 2009. Und Ferdl war noch Dritter im Champions-League-Final-Four.

Was war eigentlich Ihre größte gemeinsame Niederlage?

Steuerwald: 2012 vom Bundestrainer nicht für die Olympischen Spiele nominiert worden zu sein, nachdem wir drei Jahre in der Stammformation gespielt haben. Das war unser schlimmstes Erlebnis.

Tille: Auf der Rückfahrt haben wir nur geschimpft.

Steuerwald: Und Bier getrunken.

© SZ vom 17.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: