Volleyball:Experte in Sachen Neuanfang

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Spanien-Einwanderer Martin Carinelli trainiert den ASV Dachau

Von Andreas Liebmann, Dachau

Martin Carinelli hat nicht alles zurückgelassen. Kurz funkeln seine braunen Augen, "Wart' mal!", ruft er dann, springt auf und verlässt die Küche. Als er zurückkommt, legt er einen Holzkasten auf den Tisch, unter Glas liegt darin eine goldene Medaille. Ein Andenken an den Gewinn der spanischen Meisterschaft mit dem Volleyballteam von Portol Palma Mallorca. Darauf ist er stolz. 2008/09 spielte er mit dem Klub noch in der Champions League. Zwei Jahre danach zog sich Portol kurz vor Saisonbeginn aus der ersten Liga zurück, und nun sitzt er hier in einer Altbauwohnung im Zentrum Dachaus, erzählt, wie er vor fast vier Jahren hierherkam und warum er nun Trainer des in die dritte Liga abgestiegenen ASV Dachau ist.

31 Jahre ist Martín Gabriel Carinelli Marconi alt. Er ist Libero, spielte in Spanien in vollen Hallen, "immer mit viel Druck", wie er sagt. Er vergleicht die Stimmung dort mit dem deutschen Pokalfinale in Berlin. Nicht ein paar hundert also, sondern Tausende Zuschauer. Als er nach Deutschland kam, begann er beim SV Lohhof, vierte Liga. Einige Monate später wurde er zum Zweitligisten Dachau vermittelt, auch das kein Vergleich zu seiner sportlichen Vergangenheit. Aber er habe Spaß gehabt, in beiden Klubs, und die Dachauer hätten ihm dann viel dabei geholfen, sich im neuen Land zurechtzufinden.

Das freundliche Empfangskomitee im Hausflur der Familie Carinelli besteht aus Söhnchen Massimo, 2, Tochter Antonella, 6, beide mit Stofftieren im Arm, Martins Frau Belen und dem Hund. Den Kindern zuliebe haben sie ihre Heimat damals verlassen, erklärt Martin Carinelli. "Wenn sie hier mit der Schule fertig sind, können sie alles machen, das ist unbezahlbar." Hier hätten sie später viele Möglichkeiten, in Spanien sei das nicht der Fall gewesen.

Explosiv, mitreißend, Leitfigur: Schon als Dachaus Libero war Martin Carinelli für die Mitspieler wichtig. (Foto: Johannes Simon)

Antonella kam in Spanien, Massimo in Bayern zur Welt, dazwischen lag diese mutige Entscheidung. Denn die Eheleute Carinelli hatten Arbeit auf Mallorca, Belen als Erzieherin, Martin als Sporttrainer, der im Studio seiner Eltern in Palma Kurse gab und eben Volleyball spielte, als einziger Mallorquiner seines Teams: "Mit Geld hatten wir keine Probleme." Deutsch sprachen damals beide nicht, dennoch beschlossen sie, dorthin auszuwandern, wo schon die Eltern seiner Frau vor sechs Jahren ihr Glück versuchten. "Die Zukunft meiner Kinder ist für mich das Wichtigste im Leben", versichert Carinelli. Er half anfangs seinen Schwiegereltern, die nahe Dachau eine Kantine führen, acht Monate lang ging er zum Jobcenter, heute arbeitet er für einen Ersatzteilehändler von Großküchen. Deutsch hat er vor allem auf dem Spielfeld gelernt. Gutes Deutsch, auch wenn er sich oft dafür entschuldigt. Sein Sport hat ihm viel geholfen.

Beim ASV Dachau steht Carinelli nun für einen Neuanfang. Nur vier etablierte Spieler haben bislang ihr Bleiben zugesagt nach diesem Abstieg, mit dem keiner gerechnet hatte: Sebastian Wenninger, Florian Mayrhofer, Thomas Öster und Pablo Karnbaum. Dafür kann der neue Trainer auf guten Nachwuchs bauen, der mit dem ASV schon deutscher Meister war, Lukas Pfretzschner etwa, Vincent Graven oder den jungen Zuspieler Benedikt Sagstetter, von dem Carinelli schwärmt: "Ich habe noch nie gesehen, dass einer in diesem Alter so einen guten Kopf hat und so ruhig spielt." Eine völlig neue Mannschaft wird das also, was ihm den Wechsel vom Mitspieler zum Chef erleichtern dürfte. Natürlich hofft Carinelli noch auf ein paar externe Zugänge, doch auch mit seinem 14-Mann-Kader wäre ihm nicht bange: "Die Jungen wollen, sie wollen trainieren. Man kann aus ihnen eine Mannschaft mit guter Stimmung aufbauen." Das sei im Abstiegsteam nicht so gewesen, zu viele hätten da schon zu lange zusammengespielt.

Es war nicht gerade die allererste Idee des ASV, Carinelli die Nachfolge des im Februar zurückgetretenen Adrian Zoppelt anzutragen. Sie hätten zuvor "30 Kandidaten angesprochen", berichtet Abteilungsleiter Denis Werner. Denn es war klar: Wenn Carinelli als Trainer anfängt, wird er als Spieler aufhören, und er war ja auch auf dem Feld eine Leitfigur. "Er konnte Dinge schon als Mitspieler extrem gut vermitteln", sagt Teammanager Dominic von Känel, und er hat megaviel Erfahrung." Ein Spielertrainer will er auch selbst nicht sein: "Von draußen sieht man mehr", erklärt Carinelli, zudem müsse ein Libero ja ständig rein und raus. "Wenn ich etwas mache, dann will ich es perfekt machen."

Einen Tag lang habe er überlegen müssen, dann habe er zugesagt. Sein Verein habe eben Hilfe gebraucht. Und er hatte sowieso vor, Trainer zu werden, nur eben nicht ganz so früh, mit 31. Einen Trainerschein besitzt er noch nicht, aber er habe viele gute Trainer gehabt, von denen er sich vieles abgeschaut habe. "Es wird schon schwer, draußen zu stehen", gibt er mit sehnsüchtigem Blick zu. "Ich will immer spielen." Er werde viel Wert auf die Annahme legen, überhaupt auf gute Technik, und er wolle die Gegner akribisch beobachten, um gezielt auf deren Stärken und Schwächen hinzutrainieren und eine geeignete Taktik zu finden. Er hält das für sehr wichtig. "Sonst ist es wie mit verbundenen Augen zu spielen." Er hoffe schon, mit dem jungen Team gleich oben mitmischen zu können. Der sofortige Wiederaufstieg wäre "unglaublich", sagt er, aber so schnell wohl nicht gerade wahrscheinlich.

Für Martin Carinelli war zu Beginn nicht nur die Sprache schwierig, alles hier sei anders gewesen, Kultur, Mentalität. "Wir sind latinisch, sehr temperamentvoll", sagt er. "Am Anfang bin ich explodiert, wenn auf dem Feld etwas nicht funktioniert hat - alle neben mir sind ruhig geblieben. Ich bin jetzt auch viel ruhiger geworden." Dennoch komme sein Temperament immer wieder mal zum Vorschein, auch als Trainer werde das passieren.

Carinelli ist in Argentinien geboren, erst als er 16 war, zog seine Familie nach Spanien. "Auch für ein neues Leben", erzählt er, sein Vater habe damals "ein gutes Angebot gehabt". Mit 18 wurde der Sohn dann Profi, ein Jahr in Barcelona, ansonsten immer in Palma. Und da lernte er auch seine Frau Belen kennen. Ein irrer Zufall: Auch sie kam aus Argentinien, auch ihre Eltern waren von dort zunächst nach Spanien gezogen. Ohne sich zu kennen, hätten er und seine heutige Frau sogar schon damals in Argentinien im selben Klub Volleyball gespielt. Seinem Sport hat er also auch seine Ehe zu verdanken, so sieht es Carinelli. Er sieht glücklich aus, wie er da an seinem Küchentisch in der hübschen Dachauer Wohnung sitzt, sich auf seine neue Aufgabe freut und diese verrückte Geschichte erzählt. "Die Welt ist klein", sagt er.

© SZ vom 16.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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