Volleyball:Entfesselt in Vilsbiburg

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Jose Gomes und eine starke Teamleistung bringen Herrschings Volleyballer beim 3:0 gegen Frankfurt ins Playoff-Entscheidungsspiel. Ob das Geld für die erste Liga reicht, entscheidet sich bis Ende dieser Woche.

Von Sebastian Winter, Vilsbiburg

Jose Gomes war ein wenig unschlüssig, was er jetzt machen sollte. Mitten in Vilsbiburgs Ballsporthalle stand er herum, sein Blick ging nach vorne, nach hinten, um ihn herum wurde das temporär aufgebaute Feld schon wieder in seine Einzelteile zerlegt - und Gomes staunte nur.

Vielleicht darüber, dass selbst in der niederbayerischen Provinz, wohin Herrschings Volleyballer ja wegen ihrer zu kleinen Nikolaushalle fürs Playoff-Viertelfinal-Heimspiel gegen Frankfurt gezogen sind, so viele Zuschauer zu einem Spiel kommen. Obwohl es sich dabei nicht einmal um ihre Roten Raben handelte, die selbst vor gut einer Woche im Playoff-Viertelfinale gescheitert waren. Bestimmt aber auch, weil seine Herrschinger die in Hessens Metropole ansässigen United Volleys Rhein-Main fast im Vorbeigehen mit 3:0 (25:20, 28:26, 25:21) vom Feld gejagt hatten. Sie glichen damit in der Best-of-three-Serie aus, das entscheidende dritte Spiel findet am kommenden Sonntag in Frankfurt statt. Gomes jedenfalls hatte entscheidenden Anteil an diesem so klaren Erfolg, sein Trainer Max Hauser sagte später: "Jose war heute unser Schlüsselspieler im Angriff."

Trainer Max Hauser lobt Fans und Atmosphäre, bezeichnet solche Spiele aber zugleich als "Farce"

Gomes, 23, machte vor offiziell sehr großzügig geschätzten 1000 Zuschauern, darunter viele Fans, die die eineinhalbstündige Fahrt aus Herrsching auf sich genommen hatten, ein erstaunlich abgeklärtes Spiel. Er schlug clever den Block an, war mit elf Punkten hinter Christoph Marks bester TSV-Scorer und wurde kurz nach der überraschend einseitigen Partie erstmals zum MVP seiner Mannschaft gekürt.

Vor ein paar Monaten hätte man noch nicht gedacht, dass Gomes, der seit Wochen den verletzten Tim Peter ersetzt, zu einer so wichtigen Figur in Herrschings Spiel werden könnte. Damals verpflichtete der TSV Gomes, der in seiner Heimat Portugal bislang eher semiprofessionell Volleyball gespielt hatte, eher aus der Not heraus für Slawomir Zemlik (Kreuzbandriss) nach. "Er kam in schlechter Form hier an und entwickelte sich step-by-step. Er macht jedes Training mit, auch die Extraschichten auf freiwilliger Basis. Inzwischen ist er super-dynamisch", sagt Trainer Hauser.

„Für mich ist ein Traum in Erfüllung gegangen“: Jose Gomes spielte noch vor ein paar Monaten eher semiprofessionell in seiner Heimat Portugal. Inzwischen ist er in der ersten Volleyball-Bundesliga angekommen, nicht zuletzt wegen seimes enormen Trainingseifers. (Foto: Marcel Lorenz/imago)

Vor der Partie habe Hauser Gomes gesagt, "dass er heute das Spiel reißen muss".

Der Portugiese riss es an sich, im ersten Satz punktete er entscheidend zum 24:20, im zweiten Satz wehrte er Dürens Satzbälle beim 23:24 und 24:25 nervenstark ab - wenig später gewannen die Herrschinger den Satz. Während gerade die Frankfurter nach der zehrenden Saison müde wirkten, ist der später dazugestoßene Gomes Hausers fittester Mann. Aber auch seine Kollegen überzeugten gegen Frankfurt, nicht nur mit einer starken Annahmeleistung. Alle Angreifer kamen auf zweistellige Scorer-Werte, was eine absolute Rarität ist und Herrschings starke Teamleistung untermauerte. Bei den Gästen erreichten nur Sebastian Schwarz (11) und Moritz Karlitzek (10) den zweistelligen Bereich. "Es ist uns heute nicht gelungen, dem Druck standzuhalten, das muss man so sagen", analysierte Frankfurts Cheftrainer Michael Warm ziemlich ernüchtert.

Weil es nur ein adäquates Hotel im Ort gab, residierten eben beide Mannschaften am Abend vor dem Spiel dort, und weil sich viele Spieler untereinander kennen, trafen sie sich noch auf ein kleines Getränk an der Bar. Allein schon das passiert eher selten vor Playoff-Spielen, aber passte zur besonderen Reise nach Vilsbiburg. Die Herrschinger hatten ihre LED-Banden und auch ihren König mitgenommen, der Stimmungsmacher vor dem Fanblock schlug mit der Klatschpappe so sehr gegen seinen Unterarm, dass bald nur noch Papierfetzen um ihn herum lagen. Trotz halb leerer Ränge ging das Publikum energisch mit. "Ich fand es richtig gut, auch der Ablauf war reibungslos", sagte TSV-Marketingmanager André Bugl, auch ein Problem mit den LED-Banden wurde kurz vor Anpfiff behoben. Trainer Hauser war zwiegespalten, er lobte Fans und Atmosphäre, bezeichnete erzwungene Fahrten nach Vilsbiburg (oder letzte Saison nach Innsbruck) zu Playoff-Heimspielen aber zugleich als "Farce". "Das ist einfach schlecht zu verkaufen, die Leute verstehen es nicht. Wenn die Liga denkt, sie braucht uns nicht, dann soll sie uns eben rausschmeißen."

Bis Ende dieser Woche wollen sich die Herrschinger ohnehin entscheiden, ob die Reise in der ersten Liga weitergeht - oder finanziell bedingt in die zweite Liga. "Die Leute wollen die erste Liga, sie haben sich an Spiele wie gegen Berlin gewöhnt", sagt Hauser, "aber es fehlt noch ein Sponsor, der einen gewissen Restbetrag deckt." Die Rede ist von rund 40 000 Euro, zugleich laufen dem Vernehmen nach vielversprechende Gespräche. Und damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Herrsching in der ersten Liga bleibt. Dennoch ist es nach wie vor noch möglich, dass der TSV ins Playoff-Halbfinale einzieht - und sich nach dieser Saison zurückziehen muss, nach vier Jahren im Oberhaus. Vor vier Jahren war es dem noch weitaus erfolgreicheren TSV Unterhaching ähnlich ergangen.

Auch der Portugiese Jose Gomes fände das sehr schade, er hat Geschmack am Profivolleyball gefunden. "Für mich ist ein Traum in Erfüllung gegangen", sagte Gomes, als er nach der Partie so verloren auf dem Feld stand. Er meinte seinen Wechsel in die Bundesliga, in der "die Spieler größer, stärker, professioneller sind" als in Portugal, "wo in der ersten Liga vielleicht 200 Zuschauer kommen". Der Mann, der in Vila do Condo, nördlich von Porto, aufwuchs und das Volleyballspielen lernte, stößt bald nach der Saison zur portugiesischen Nationalmannschaft. Im Spätsommer würde er gerne wieder nach Herrsching zurückkehren. "Wenn sie mich wollen." Und wenn sie dann noch können.

© SZ vom 03.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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