Volleyball:Die Flucht vor dem Löwen

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Herrsching feiert mit dem 3:2 einen historischen Erfolg gegen den VfB Friedrichshafen. Dabei kämpft sich die Mannschaft nach einem 1:2-Rückstand aus einem emotionalen Tief - auch dank Ferdinand Tilles Wutreden.

Von Katrin Freiburghaus, Herrsching

Dass die WWK Volleys Herrsching in ihrer Außendarstellung gerne neue Maßstäbe setzen, ist kein Geheimnis. In der Regel gehen sie dabei offensiver vor als die Konkurrenz. Am Samstagabend hatten sie das allerdings nicht nötig. "Das sind schon zwei echte Pluspunkte", sagte ihr schwer erkälteter Trainer Max Hauser nach dem 3:2 (18:25 25:23 22:25 25:16 15:8) gegen den VfB Friedrichshafen, "gegen die gewinnen sicher nicht alle." Das als Untertreibung zu bezeichnen, wäre stark untertrieben, denn genau genommen waren Herrschings Volleyballer die Ersten, die den Rekordmeister bisher in der Liga bezwungen haben. Zuvor hatte der VfB acht von acht Saisonspielen gewonnen und dabei lediglich einen Punkt bei den Alpenvolleys in Unterhaching liegenlassen.

Anderthalb Sätze lang hatte wenig darauf hingedeutet, dass den Gästen vom Bodensee dasselbe oder gar Schlimmeres in Herrsching widerfahren könnte. Im Brüder-Duell Tille gegen Steuerwald hatten Letztere in der mit 1000 Zuschauern ausverkauften Halle zunächst eindeutig die Nase vorn: Patrick Steuerwald, ehemals Zuspieler in Herrsching, wippte in seiner Funktion als Co-Trainer von VfB-Coach Michael Warm gelegentlich mit dem Fuß und schaute ansonsten mit konzentrierter Zuversicht zu, wie Libero Markus Steuerwald eine gut funktionierende Abwehr organisierte. Bis zum 14:14-Gleichstand im ersten Satz hielt Herrsching um Kapitän und Zuspieler Johannes Tille mit, dann zog Friedrichshafen das Tempo an und uneinholbar davon (15:21).

So wie Hauser später am Abend keinen Spieler positiv herausstellen wollte, machte er auch für den ersten klar abgegebenen Satz keine Einzelspieler verantwortlich. "Ich fand eher, dass wir zwischenzeitlich kollektiv schlecht waren. Wir haben sehr viele Aufschlag- und Angriffsfehler gemacht", sagte er. Das war auch im zweiten Durchgang so. Beim Stand von 16:16 drohte sich die Dramaturgie des ersten Durchgangs zu wiederholen. Herrsching machte Fehler, der VfB führte wenige Minuten später mit 20:16. An dieser Stelle - da waren sich alle einig - entschied sich die Partie. Denn während Herrschings Libero, der ältere Bruder Ferdinand Tille, seine demoralisiert wirkende Angriffsabteilung lautstark zusammenfaltete, ließ auf der anderen Netzseite die Spannung nach.

Warm mutmaßte, "dass es uns anfangs zu leicht gefallen ist, was hier untypisch ist". Anschließend hätten seine Spieler "unnötigerweise das Spielen eingestellt". Steuerwald erzürnte neben der fehlenden Konsequenz in der entscheidenden Phase des Spiels vor allem das Auftreten in den letzten beiden Durchgängen. "Wenn man den Satz abgibt, kommt der Stress, und dann kann man hier auch verlieren", sagte er, "die Art und Weise war nicht akzeptabel." In der Tat gelang Herrsching in den beiden letzten Sätzen fast alles, obwohl "wir gar nichts Besonderes in den Einzelelementen gemacht haben", wie Hauser feststellte.

Der wesentliche Unterschied bestand in der veränderten Körpersprache der Mannschaft, die mit mehr Mut und Erfolg im Aufschlag einherging, wovon sich Friedrichshafen erstaunlich beeindruckt zeigte. Ebenso großen Anteil am ersten Erfolg gegen Friedrichshafen in der Herrschinger Vereinsgeschichte hatte deshalb neben den beiden besten Punktesammlern Jalen Penrose (21) und Tim Peter (16) Libero Ferdinand Tille. Er hatte sich mit viel Wut und großem stimmlichen Einsatz der Negativwelle entgegengestellt, die sich vor den gesundheitlich angeschlagenen Angreifern Jori Mantha und Penrose aufgebaut hatte. Penrose haderte mit jedem seiner Fehler und vergaß vor Ärger zwischenzeitlich sogar das Abklatschen seiner Kollegen, Tille mühte sich sichtlich, ihn emotional zurück in Spiel zu holen.

Die fehlende Frustrationstoleranz des sprunggewaltigen US-Amerikaners ist nichts Neues. "Es ist manchmal, als wäre er beleidigt, wenn die generischen Spieler einen Punkt machen, anstatt zu akzeptierten, dass zwei Spieler von denen so viel verdienen wie unsere ganze Mannschaft", sagte Hauser, der von der Bank gegensteuerte. Kurzeinsätze von Tom Strohbach, der die Annahme stabilisierte, aber noch nicht angriff, und Jonas Kaminski, der gute Akzente für die Stimmung setzte, brachten das Team irgendwie in ein Spiel zurück, in dem der VfB eigentlich bis zum Schluss alle Trümpfe in der Hand hielt - aber keinen davon ausspielte.

Für Hauser war der Erfolg gegen Friedrichshafen nicht nur eine Genugtuung, weil es "die letzte Mannschaft war, die mir noch gefehlt hat". Er zementierte auch die gestiegenen Ansprüche, die zu Saisonbeginn noch etwas überraschend angemutet hatten. Zweimal Halbfinale hatten die Herrschinger ausgegeben. Mit einem mittlerweile gefestigten Platz im erweiterten Spitzensegment der Liga und dem Pokal-Halbfinale am kommenden Sonntag in Berlin ist das alles längst keine Utopie mehr, sondern Beleg für die starke sportliche Entwicklung, die Herrsching genommen hat.

Auf die Kranken-Situation im Kader mochte der hustende Hauser in Bezug auf die anstehende Reise zu Meister Berlin nicht im Detail eingehen. "Ich halte das auch für eine mentale Geschichte." Er sei überzeugt: "Wenn du krank bist und dich ein Löwe verfolgt, kannst du rennen." Falls es auch eine andere Raubkatze tut, sollten sich die Berliner schon mal warm anziehen. Ihr Maskottchen ist ein Tiger.

© SZ vom 02.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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