Volleyball:Bart ab

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Ein selbstkritischer Trainer vor seiner ratlos wirkenden Mannschaft: „Wir haben auch im Scouting Fehler gemacht“, sagt Alexander Hezareh, dem aber auch die Laissez-faire-Haltung seiner Spieler gegen Rüsselsheim nicht gefiel. (Foto: Christian Endt)

Grafings Volleyballer verlieren ihr erstes Heimspiel seit mehr als neunzehn Monaten - ihr Trainer vermisst den Elan gegen Rüsselsheim II.

Von Sebastian Winter, Grafing

Tim Noack hat also den wohl begehrtesten Titel des Wochenendes gewonnen. Er trägt ja auch einen wunderbaren Bart, buschig, vor allem ums Kinn herum, dazu in exquisitem Dunkelblond. Grafings zweiter Zuspieler hatte seinem auf Platz zwei verwiesenen Konkurrenten Fabian Wagner, Grafings erstem Zuspieler, keine wirkliche Chance gelassen. Auch nicht seinem mit einem mutigen D'Artagnan-Bärtchen ausgestatteten Trainer Alexander Hezareh, der nach eigener Aussage "wohl Dritter geworden wäre" - allerdings wurden nur die beiden schönsten Bärte gekürt. So war das am Samstagabend beim Heimspiel von Grafings Volleyballern gegen Rüsselsheim II, der Bartwuchs diente ja vor allem dem guten Zweck: Der TSV sammelte Spenden für die Movember Foundation, die Männern in den Bereichen Prostata- und Hodenkrebs, bei psychischen Erkrankungen und Suizidgefährdung hilft.

Es war eine schöne, ehrenwerte Aktion, bei der die Rüsselsheimer Spieler allerdings - anders als erwartet - nicht mitmachten. Eine Verweigerungshaltung, die Hezareh im Nachhinein ziemlich clever fand: "Die Gegner haben eines richtig gemacht: Sie haben sich auf Volleyball konzentriert." Am Ende verließen die Rüsselsheimer Grafings Jahnsporthalle als überraschender Sieger, mit 3:2 (21:25, 25:20, 25:22, 20:25, 15:12) hatten sie den Tabellenführer nach knapp zwei Stunden Spielzeit niedergerungen - und noch etwas von weitaus größerer Tragweite erreicht.

Denn es war Grafings erste Niederlage im neunten Saisonspiel und die erste Heimpleite seit mehr als neunzehn Monaten. In der vorvergangenen Saison, kurz nach Erreichen des Klassenerhalts, hatte der TSV am 9. April 2017 sein letztes Heimspiel gegen Schwaig 2:3 verloren. Damals ging es um rein gar nichts mehr. Doch nun sind sie nicht mehr Tabellenführer, im Dauerduell mit Mainz liegen die Rheinland-Pfälzer einen Punkt vor dem Meister der vergangenen Saison aus Grafing. "Wir haben verdient verloren, weil wir es nicht geschafft haben, volle Spannung aufzubauen", sagte Hezareh und übte offen und ehrlich Selbstkritik: "Wir haben auch im Scouting Fehler gemacht, weil ich mir nur die beiden jüngsten Spiele von Rüsselsheim angeschaut habe, die sie verloren haben." Dort hatte Hezareh Annahmeschwächen bei zwei Rüsselsheimer Spielern ausgemacht, die sich allerdings gegen Grafing nicht bestätigten. Hätten sich Hezareh und sein Trainerteam zur Vorbereitung auch starke Spiele der Rüsselsheimer angeschaut, wie die 3:2-Erfolge gegen Freiburg und die Alpenvolleys II, hätten sie ihre Einschätzung womöglich wieder revidiert.

So kam ein Spiel vor 411 Zuschauern zustande, in dem die Grafinger ordentlich begannen und den ersten Satz gewannen, wenn auch nicht einmal souverän. Die sich dann aber viel zu sicher fühlten in ihrer Rolle des dominanten Tabellenführers - zumal auch noch der aus gesundheitlichen Gründen fehlende Gästetrainer vom vermeintlich besten Rüsselsheimer Spieler, Kapitän Anton Borger, auf der Bank ersetzt wurde. Borger zog aber dann eben an der Seitenlinie geschickt die Fäden, und Diagonalspieler Philipp Schumann zeigte auf dem Feld, dass er nicht zu Unrecht zu den besten Angreifern der zweiten Liga gehört. "Er hat sein Ding durchgezogen, und Rüsselsheim hat fast fehlerfrei gespielt", sagte Hezareh. Bis auf eine kleine Schwächephase im vierten Satz, die Grafing immerhin noch zum Punktgewinn verhalf. Ansonsten machte dieses Spiel gegen den Tabellensiebten deutlich, was passiert, wenn die Selbstverständlichkeit des Siegens dann doch zu groß geworden ist - immerhin haben die Grafinger ihr letztes Spiel am 7. April dieses Jahres verloren.

Im zweiten Satz verloren sie nach dem 9:11 den Faden und lagen spätestens beim 14:19 fast aussichtslos zurück. Im dritten Satz führten sie 12:11, um ihn dann schleichend aus der Hand zu geben. Und nach dem gewonnenen vierten Satz lagen sie im Entscheidungsdurchgang nur minimal zurück, doch diese Nuancen reichten den Gästen letztlich für den Sieg. Grafings Spiel war eben nicht zwingend genug, zu fehlerbehaftet, auch im sonst so wuchtigen Angriff. Es passte zu diesem Abend, dass die Grafinger ausgerechnet den fünften Satz verloren, das dortige Nervenspiel gilt ansonsten seit Jahren schon als Spezialität des TSV, dessen Spiel auch auf einem gesunden Selbstvertrauen beruht. "Wir sollten nun die Zeichen der Zeit erkennen", sagte Hezareh mit Blick auf die drei kommenden Aufgaben bis zum Jahresende, in Hammelburg am kommenden Samstag, gegen Mimmenhausen und in Fellbach.

All diese drei Gegner liegen im Mittelfeld, sie sind also vergleichbar mit einem Kontrahenten wie Rüsselsheim. Sie sind allesamt schlagbar für jenes so starke Grafing, das bis Samstag Tabellenführer war. Und sie sind höchst gefährliche Gegner, wenn man denkt, sie mal im Vorbeigehen schlagen zu können.

© SZ vom 27.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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