Volleyball:43:41

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Herrschings Volleyballer schlagen die Netzhoppers Königs Wusterhausen - und gewinnen den zweitlängsten Satz der Bundesliga-Geschichte.

Von Sebastian Winter, Herrsching

Aus aktuellem Anlass folgt nun ein tiefer Blick in die Geschichtsbücher der Volleyball-Bundesliga: 1999 wurde das Rallye-Point-System eingeführt, der erste bis vierte Satz ging fortan bis 25, der fünfte bis 15, nach jedem Ballwechsel gab es einen Punkt für jenes Team, das ihn gewonnen hatte. Das Spiel sollte attraktiver fürs Publikum und die TV-Sender werden, vorher hatte es ja mitunter minutenlang 0:0 oder 8:5 oder sonst wie gestanden, weil die Gegner nur bei eigenem Aufschlag punkten konnten.

Kleiner Haken im "neuen" System: Steht es 24:24 in einem der ersten vier Sätze - respektive 14:14 im fünften, geht das Duell in die Verlängerung, bis eine Mannschaft zwei Punkte Vorsprung hat. Das ist durchaus reizvoll und spannend und manchmal auch dramatisch. Wie im Jahr 2002, als der SCC Berlin den VV Leipzig zum Saisonauftakt mit 30:32, 43:41, 36:34 und, nun ja, 25:14 bezwang. Der zweite Satz war der zweitlängste überhaupt in der Volleyball-Bundesliga. Der längste stammt aus dem Jahr 2000: Ein 44:42 des ASV Dachau beim Sieg gegen Mendig.

Der Blick in die Historie lohnt sich, denn am Samstagabend sind Herrschings Volleyballer bei ihrem Heimspiel gegen die Netzhoppers Königs Wusterhausen in diese Dimensionen vorgestoßen. 43:41 endete der zweite Satz für sie, nachdem TSV-Mittelblocker Andre Brown die Spieler, Trainer und diesmal nur 750 Zuschauer mit einem Ass erlöst hatte. Einem Ass, das die heftig protestierenden Gäste klar im Aus gesehen hatten. Nach einer 45 Minuten dauernden Nervenschlacht, in der erst der 19. (!) Satzball das Ende brachte. Es war der Schlüsselmoment des Dramas, in dem Königs Wusterhausen sich dann folgerichtig aufgab und 0:3 (23:25, 41:43, 14:25) verlor. "Ich fand das irgendwann ganz witzig, musste oft lachen. Aber es war auch die einzige Phase, in der mir das Spiel richtig gefallen hat, weil das Niveau sehr hoch war", beschrieb Herrschings Trainer Max Hauser den skurrilen Satz. Wie Netzhoppers-Coach Mirko Culic gab er zu, etwas Vergleichbares noch nicht erlebt zu haben.

Mit ihrem erstaunlichen Erfolg rücken die Herrschinger auf Platz sieben vor und sind quasi sicher in den Playoffs. Selbst Rang vier ist noch in Reichweite. Sie haben diesen Sieg auch einem Mann zu verdanken, der bislang eher still im Hintergrund weilte - und gegen die Randberliner zum ersten Mal überhaupt in dieser Saison zweieinhalb Sätze lang durchspielte: Steller Martin Krüger. Der 24-Jährige ersetzte Stammzuspieler Michal Sladecek beim 9:13 im ersten Satz, als Hauser spürte, dass Herrschings Spiel nicht ins Rollen kam.

Krüger, im vergangenen Sommer nach vier Jahren College-Volleyball in Florida nach Deutschland zurückgekehrt, führte seine Mannschaft mit viel Ruhe und positiver Ausstrahlung durch die mental enorm schwierige Partie. Im so epischen zweiten Satz besaß er die Frechheit, den Ball mit beiden Händen einmal auf den gegnerischen Boden zu legen - eine kluge Finte. Krüger setzte die so stark spielenden Christoph Marks und Andre Brown oft zum richtigen Zeitpunkt ein und scheute auch keine Risikopässe. "Für mich war Martin heute der MVP", sagte Hauser später, "er hat das Spiel gedreht." Und das, obwohl er bislang nur einige Kurzeinsätze hatte, in Sätzen, "die wir dann immer verloren haben", wie Krüger selbst süß-säuerlich anmerkte.

Der nur 1,85 Meter große Mann mit dem Bart aus Halle/Saale musste sich erst an das Bundesliga-Niveau gewöhnen. "Das Level am College ist vergleichbar mit der zweiten Liga hier", sagt Krüger, "aber ich wollte das ausprobieren und testen, ob ich es schaffe." Nun hat er sein längstes und weitaus bestes Spiel im Herrschinger Trikot abgeliefert, den längsten Satz sowieso. Und das als eine Art Gegenpol zum emotionalen, wilden Sladecek, der kein Risiko bei seinen Pässen scheut, aber auch extrem viel von seinen Mitspielern fordert - und ziemlich ungemütlich werden kann, wenn es mal nicht so läuft. "Am Anfang hat mir Martins Zuspiel nicht gefallen, aber er hat viel von Michal gelernt", sagt Hauser. Krüger, der mit Brown in einer WG wohnt, ist zugleich froh, dass er die Teamspirit-Philosophie des College-Volleyballs mitgenommen hat an den Ammersee. "Ich bin dadurch viel ruhiger auf dem Feld." Selbst Björn Andrae, der ergraute, mittlerweile 36-jährige früher Nationalmannschafts-Kapitän und Leitwolf der Netzhoppers, lobte Krüger für sein solides Spiel. Seine Ruhe hat den manchmal zu emotionalen Herrschingern definitiv nicht geschadet an diesem wilden Abend.

© SZ vom 19.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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