Volleyball:13:15 im Tiebreak

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Gefühlter Sieg: Julius Höfer (re.) und Benedikt Doranth freuen sich mit den Herrschingern. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Herrschings Volleyballer bringen Friedrichshafen an den Rand einer Niederlage - und gewinnen ihren ersten Punkt überhaupt gegen den Rekordmeister

Von Sebastian Winter, Herrsching

Max Günthör ließ fast ein wenig beseelt seinen Blick durch die Nikolaushalle schweifen, er sprach mit anderen Volleyballern und gab Sebastian Prüsener, mit dem er in Unterhaching erfolgreich zusammengespielt hatte, ein lustiges Interview. Die ehemaligen Profis und Nationalspieler hatten auch nach diesem begeisternden Spiel noch ihren Spaß. Und nicht nur Günthör, der in Friedrichshafen lebende Olympiafünfte, Champions-League-Sieger und achtmalige Pokalgewinner, lobte den Verlierer in den höchsten Tönen.

Herrschings Erstliga-Volleyballer hatten den VfB Friedrichshafen zuvor in einem Zwei-Stunden-Krimi ja auch an den Rand einer Niederlage gebracht, zwei Punkte fehlten ihnen am Schluss nur zum Sieg. 950 Zuschauer in der ausverkauften Halle bejubelten das 2:3 (25:20 15:25 20:25 25:22 13:15) des krassen Außenseiters, während die 50 Gästefans vom Bodensee auch nach dem Abpfiff noch in Schockstarre auf ihren Sitzen klebten. "Ich wusste, dass es schwer wird", sagte Friedrichshafens zermürbter Trainer Vital Heynen später, "aber dass es so schwer wird, hätte ich nicht gedacht." Herrsching dagegen ist gegen den Rekordmeister und -pokalsieger nicht nur ein Prestigeerfolg gelungen. Durch die Tiebreak-Niederlage hat der Klub vom Ammersee Friedrichshafen auch einen Punkt abgeknöpft - zum ersten Mal überhaupt in der Bundesliga.

Dass Herrsching eine Macht wie Friedrichshafen mittlerweile sehr gut ärgern kann, das zeigte schon das Playoff-Viertelfinale im vergangenen Frühjahr, als Friedrichshafen in zwei Spielen jeweils einen Satz verlor. Doch ein derart niveauvolles Duell auf Augenhöhe bis zum Schluss hatten nicht einmal die Spieler erwartet. Zumal wegen der üblen Verletztenmisere, die Trainer Max Hauser seit Wochen zum Improvisieren zwingt. Beim Einspielen knickte am Samstag auch noch Roy Friedrich um, wieder drohte ein Mittelblocker auszufallen. Der 28-Jährige nahm Schmerzmittel, "die erst im dritten Satz gewirkt haben, aber ich war zum Glück sowieso voller Adrenalin", wie Friedrich selbst sagte. Er biss sich durch und spielte gut, wie sein ebenfalls angeschlagener Kollege Nikolai Grabmüller. Im Grunde pfiffen sie aus dem letzten Loch, aber zogen genau aus diesem Gefühl, chancenlos zu sein, ihre Stärke.

Friedrichshafen zeigte sich früh beeindruckt, "wir haben den typischen Fehler gemacht, den ersten Satz in Herrsching zu locker zu nehmen", wie VfB-Diagonalspieler Daniel Malescha sagte. Malescha, das war neben dem Bruderduell der Nationalspieler Patrick und Markus Steuerwald ja auch eine der Geschichten rund um dieses Spiel: Heynen hatte den Herrschinger vor dieser Saison nach Friedrichshafen gelotst, nun kam er zurück, spielte unter seinen Möglichkeiten und wurde im vierten Satz ausgewechselt.

Zunächst gewann aber Herrsching den ersten Satz, mit starker Annahme, starker Abwehr, starken Angriffen aus schwierigen Situationen. Danach untermauerte Friedrichshafen wütend seinen Favoritenstatus, gewann 25:15, 25:22. Normal wäre dann ein 3:1-Erfolg für die Gäste gewesen, mit kleinen Startproblemen eben. Aber Herrsching konterte im vierten Satz. Tom Strohbach, der mit sechs Assen bei weitem beste Aufschläger des Spiels, und Julius Höfer, die 43 der 71 Herrschinger Punkte machten, liefen zu großartiger Form auf. Und ein Mann, den Heynen überhaupt nicht auf dem Zettel hatte: Benedikt Doranth. Die Annahmequote des Kapitäns, der eigentlich nicht zur Stammformation gehört, war herausragend, im Angriff gelangen ihm die besonders schweren Punkte: Zwei Gründe, warum er zum wichtigsten Spieler Herrschings gekürt wurde. Übrigens nicht wie üblich nur vom Gästetrainer, Heynen fällte nach kurzer Rücksprache im Duett mit Hauser die Entscheidung.

Herrsching zwang Friedrichshafen also in den Tiebreak, lag schnell zurück, kam wieder heran. Doch am Ende fehlten gerade einmal zwei Punkte und wohl auch die Kraft, um die Vollprofis vom Bodensee in ein Debakel zu stürzen. Dass die Herrschinger Spieler das richtig störte, dass sie wie Strohbach unzufrieden waren mit ihrer Leistung, passt zum Ehrgeiz dieser Mannschaft, genauso wie später die Worte ihres Trainers: "Das war ein sehr gutes Spiel, aber keinesfalls unser bestes. Wir haben unser bestes Spiel noch vor uns", sagte Max Hauser, der nach der Partie noch lange mit Statistiker Michael Mattes und dem Schnitzel essenden Tom Strohbach über dessen Leistung sprach.

Der Fokus des Tabellenfünften liegt nun auf Bühl, das kommende Auswärtsspiel am Samstag gegen den Siebten. Es ist ein Sechs-Punkte-Spiel, in dem eine Vorentscheidung um die Playoff-Teilnahme fallen kann. Eines ist sicher: Herrsching fährt nun mit dem Gefühl nach Baden, wirklich jeden bezwingen zu können.

© SZ vom 05.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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