Turnen:Tag der Heuschrecke

Lesezeit: 3 min

Schwerkraft? Nein danke. Markus Müller hat mit 1,95 Meter Körperlänge eine untypische Turnerstatur, doch er vollbringt damit Höchstleistungen. (Foto: Johannes Simon)

Die Zweitliga-Turner des Teams Oberbayern siegen in Ulm. Dabei ignoriert Markus Müller an allen sechs Geräten die Gesetze der Physik.

Von Andreas Liebmann, Unterhaching

Es gibt zig Bilder von Fabian Hambüchen und Dirk Nowitzki, die zeigen, wie lustig es aussehen kann, wenn ein Turner und ein Basketballer zusammentreffen. Nowitzki, 2,13 Meter, stützt sich lässig mit einem Arm an eine Säule und grinst - während an seinem Arm ein Menschlein baumelt und Klimmzüge macht: Hambüchen, 1,63 Meter, Reck-Olympiasieger.

Fabian Hambüchen war im Sommer häufig Trainingsgast bei den Zweitligaturnern von Exquisa Oberbayern in Unterhaching, weil er hier im Anschluss an eine Schulter-Operation seine Reha absolvierte. Sie haben es in dieser Zeit sicher nicht ausprobiert, ob Hambüchen auch an Markus Müller derart herumturnen könnte. Fest steht aber, dass der Turner Müller, 21, keinesfalls wie Hambüchen von Nowitzkis Arm herabhängen könnte. Denn mit einer Körperlänge von 195 Zentimetern sieht der schlaksige Müller selbst eher wie ein Basketballer aus. Er überragt Deutschlands bekanntesten Turner um 32 Zentimeter. Markus Müller ist landesweit bekannt deswegen, kein anderer mit dieser Länge betreibt Leistungsturnen auf seinem Niveau.

Müllers Spezialgerät ist das Pauschenpferd, über das seine langen Beine beim Kreiseln auf beiden Seiten ein wenig hinausragen, was durchaus ungewöhnlich aussieht. Probleme bereiten ihm die langen Hebel bei Kraftelementen an den Ringen, natürlich bei den Sprüngen und am Boden. Wo kleinere Konkurrenten wie Flummis durch die Halle ploppen, wirkt Müller wie ein sperriges Fluggerät. Und am Barren, erzählt er, kann er Elemente, die unter dem Holm geturnt werden, einfach nicht machen, weil die Beine zu lang sind. "Ich suche mir dann andere Elemente und versuche, die sauber durchzuführen", sagt er.

Am Samstag gastierte Müller mit dem Team Exquisa Oberbayern beim SSV Ulm, es war der dritte Wettkampftag. Fast vier Monate war der letzte Auftritt her, der Terminkalender ist arg zerrupft wegen der Turn-Großereignisse dieses Jahres. Und ein wenig fühlte sich das Team seitdem unter Druck: Einen Wettkampf hatte es gewonnen im Sommer, einen verloren, Tassilo du Mesnil (Auszeit wegen Staatsexamen), Jonas Olbrich und Samuel Dobrovsky (beide Rückenprobleme) fallen auf unbestimmte Zeit aus, und Unterhachings Abteilungsleiter Oskar Paulicks sagte: "Das kann dann sehr schnell sehr eng werden." Umso erleichterter war er, als sein Team mit einem 12:0-Auswärtssieg aus Ulm heimkehrte, überraschend souverän, mit 61:6 Scorepunkten. "Das nimmt uns einige Sorgen, egal was passiert", freute sich Paulicks.

Einige der Ulmer Leistungsträger waren von Verletzungen zurückgekehrt. "Wir hätten sie viel stärker erwartet", sagte Müller. Und die eigenen Personalsorgen waren ja groß. Jakob Glück immerhin, der wegen seines Medizinstudiums zu Saisonbeginn fehlte, kehrte ins Team Oberbayern zurück und gewann an jedem der fünf Geräte, an denen er antrat - am Pferd sogar mit 10:0 Punkten, nachdem sein Gegner gleich dreimal vom Gerät gepurzelt war. "Jakob ist ein sehr konzentrierter Mensch, der effizient trainiert", lobte Paulicks, "man darf ja nicht vergessen, dass die alle nur nebenher turnen". Alle bis auf den 18-jährigen Belgier Noah Kuavita, den die Oberbayern am Samstag einsetzten, als einen von zwei Ausländern, die ihnen im Laufe der Saison zur Verfügung stehen. Kuavita kam an sechs Geräten auf 17:3 Scorepunkte; am Boden war er von seinem Kontrahenten bezwungen worden. Tja, und dann war da eben Markus Müller: Sechs Geräte, sechs Siege, 19 Punkte - mehr als der junge Belgier.

Es war Müllers erster Zweitliga-Einsatz an allen Geräten. "Ich war selber erstaunt, damit hätte ich vor ein paar Wochen noch nicht gerechnet", gestand er. Es war das zweite Mal, dass er Topscorer seines Teams war, das erste Mal in Liga zwei. Auch 19 Punkte hatte er nie zuvor geholt. "Es ist ein gutes Gefühl, dass ich da bin, wenn das Team mich braucht", befand er.

Wie genau Müller das schafft, weiß auch Paulicks nicht. "Wir sind immer wieder erstaunt", sagt er. Drehungen sähen bei ihm viel langsamer aus, aber da er eine ganz andere Höhe erreiche, klappten sie dennoch. Wie Müller freilich an den Ringen einen Kreuzhang hinbekomme (Körper hängt nach unten, Arme sind rechtwinklig gestreckt), "das ist uns allen ein Rätsel". Paulicks fühlt sich hier an die Hummel erinnert, die nach den Gesetzen der Physik nicht fliegen könne, das aber schlicht nicht wisse. Ein hübscher Vergleich. Wobei Müller im Reich der Insekten wohl eher eine Stabheuschrecke wäre als eine Hummel. Und er weiß sehr genau, was er kann, und wieso er es kann.

© SZ vom 17.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: