Turnen:Sicher gelandet

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Die Teams aus Unterhaching, München und Unterföhring bleiben in ihren Ligen - für zwei von ihnen ein Erfolg.

Von Andreas Liebmann, Unterföhring/Unterhaching

Was hätte das für ein furioser Abschluss in der deutschen Turnliga werden können. Drei Mannschaften aus der Region gibt es, alle drei treten an diesem Samstag, dem letzten Wettkampftag, vor eigenem Publikum an. Und alle drei hätten dort potenziell ganz entscheidende Auftritte vor sich gehabt: die Turngemeinschaft Exquisa Oberbayern in der zweiten Liga um den angestrebten Meistertitel, im Fernduell mit Ries und Schiltach; und in der dritten Liga der USC München und der TSV Unterföhring, beide jeweils gegen den Abstieg. Der USC empfängt am Samstag die TG Wangen-Eisenharz, mit der er sich schon in früheren Jahren gerne um den letzten Tabellenplatz stritt. Und die Föhringer treffen als aktuell Vorletzter des Klassements im direkten Duell auf den Letzten, die TG Pfalz.

Man muss den Wettkampfplanern also ein ordentliches Maß an Weitblick attestieren. Schließlich haben sie es zusätzlich noch geschafft, dass an diesem letzten Wettkampftag auch die bislang ungeschlagenen Drittligisten Kirchheim unter Teck und Straubenhardt II ihr Duell austragen. Und wer mag, kann sogar noch einen Blick in die erste Liga wagen, wo es am Samstag ebenfalls dazu kommt, dass im finalen Wettstreit die KTV Straubenhardt auf die TG Saar trifft, ebenfalls beide ungeschlagen. Anders gesagt: Das Team des (zurzeit verletzten) Unterhachingers Marcel Nguyen und des einst für den FC Bayern turnenden Brian Gladow empfängt die Hachinger Lukas Dauser und Felix Remuta.

Natürlich konnten selbst die weisesten aller Wettkampfplaner vor einigen Monaten nicht jedes Detail vorhersehen, deshalb fällt der furiose Schlussakkord nun doch nicht ganz so kraftvoll aus. Zum Beispiel konnten sie nicht ahnen, dass Daniil Kazachkov, jener russische Spitzenathlet, dessen einzigen Einsatz das Team Exquisa just gegen Tabellenführer Schiltach vorgesehen hatte, kurzfristig nicht aus seiner russischen Heimat ausreisen durfte. Mit etwas Glück und Kazachkovs Hilfe wäre das Führungstrio der zweiten Liga Süd ansonsten nämlich nun punktgleich gewesen, und dieser Samstag hätte ultimativ darüber entschieden, wer am Aufstiegsfinale in die erste Liga teilnehmen darf. So aber sind die Oberbayern um den TSV Unterhaching mit zwei Niederlagen der nichtlachende Dritte, der am Samstag (18 Uhr, Sporthalle am Utzweg) keine Chance mehr auf das Erreichen seines Saisonziels hat - der aber trotzdem seinen holländischen Spitzenturner Casimir Schmidt einsetzen will, um dem Publikum zum Abschluss noch internationale Klasse zu präsentieren, wie Teamkapitän Jakob Paulicks sagt.

Natürlich konnten die Wettkampfplaner auch nicht beeinflussen, wie arg unterlegen die TG Pfalz in der dritten Liga Süd sein würde. Denn die ist aktuell derart krachend Letzter, dass es nun doch völlig egal ist, wie Unterföhring und München zum Abschluss turnen. Beide haben den Ligaverbleib mit je einem Saisonsieg sicher.

Die Alten auf der Bank

Gründungsvater: Benedikt Bleimhofer. (Foto: Claus Schunk)

Man kennt ja die zwei Alten vom Balkon. Nein, nicht Hoeneß und Rummenigge - Waldorf und Statler, die von der Muppetshow. Genau so darf man sich das beim USC München nun bitte nicht vorstellen. Zwar ist es neuerdings tatsächlich so, dass hier die Alten nur noch zuschauen, wie die Jüngeren sich so schlagen, aber erstens steuern sie immer noch mehr zum Gelingen der Wettkämpfe bei als nur schlaue Kommentare, und zweitens sind es inzwischen viel zu viele Alte geworden für einen handelsüblichen Muppetshow-Balkon.

Die Zahl all der Betreuer, die im USC aktuell auf der Bank sitzen, die beim Aufbau helfen, die managen, coachen, die die Turner an die Geräte heben, im Plenum die Taktik besprechen, Handtücher falten, Trinkflaschen öffnen oder sich sonst wie nützlich machen, umfasst locker mehr als ein halbes Dutzend. Ausgerechnet im Derby gegen den TSV Unterföhring vor einigen Wochen war es erstmals der Fall, dass die aktiven Turner des USC (damals sechs) gegenüber den verantwortlichen Betreuern klar in Unterzahl gerieten. Teammanager Thomas Ottnad erzählt schmunzelnd, wie sich etwa Stephan Merkle selbst den Titel eines Zeugwarts verlieh, um wenigstens eine offizielle Funktion zu erfüllen.

Das alles wäre vielleicht gar nicht so erwähnenswert, wenn es sich bei den Alten nicht tatsächlich um all jene handeln würde, die bis vor ein, zwei Jahren noch selbst an die Geräte gingen, die damals oft schon fast doppelt so alt waren wie einige Gegner, und die sozusagen noch für die Gründergeschichte dieser besonderen Mannschaft stehen: Allesamt Turner, die durch den Hochschulsport in München zusammenfanden und irgendwann die Idee hatten, gemeinsam in München in der Liga anzutreten, statt jeder für seinen alten Heimatverein. So sitzen da nun allerhand altgediente Routiniers auf der Bank wie Merkle und Ottnad, Fabian Schmidt, Mauno Schelb, Christoph Schwaiger, Michael Shamiyeh oder die erstligaerprobten Christian Sendner und Florian Bau. Auch Jorin Seidl und Benjamin Kowala sitzen meist da, ab und zu helfen sie den Jüngeren aber auch noch an den Geräten aus. Benedikt Bleimhofer, 33, ist der Letzte aus der Gründergeneration, der noch regelmäßig antritt. "Wir hatten schon überlegt, ob das hinhaut, wenn die Mannschaft sich so stark verändert", erzählt Ottnad, und ob "die Gründungsväter dann noch dabei" blieben. Aber ja: Oft biegt sich die Bank fast durch vor lauter Gründungsvätern.

Diese hatten früher vor allem deshalb um den Verbleib in der dritten Liga (und nach dem Abstieg vor zwei Jahren um die Rückkehr) gekämpft, weil sie hofften, damit einigen jungen Talenten im USC München eine Chance zu bieten. Unter dessen Namen hatten die Studenten damals ihre Lizenz erhalten. Sie wollten durchhalten, bis die USC-Eigengewächse soweit wären, sie abzulösen. Das ist inzwischen der Fall: Die Brüder David und Paul Huber, 21 und 23, sowie Joschua Buchner, mit 16 der Erste im Team, der nie an einer Uni war, halfen schon beim Wiederaufstieg und sind nun regelmäßig im Einsatz. Der meiste Druck ruht auf dem langjährigen Leistungsträger Stephan Trattnig aus Österreich und Moritz Kraus, der vor der Saison vom Zweitligisten Buttenwiesen kam. Beide turnen (auch wenn sich Trattnig zuletzt von seinem Landsmann Paul Seipl entlasten ließ) meist an allen sechs Geräten.

Das Derby gegen Unterföhring ging verloren, das Duell mit der TG Pfalz gewannen die Münchner deutlich, außerdem gab es noch ein paar besondere Achtungserfolge: Der einzige Gerätepunkt, den Tabellenführer Kirchheim bislang abgab, und drei der sechs Gerätepunkte, die Straubenhardt verlor, gingen alle auf das Konto der Münchner. Die feiern nun, dass sie so früh wie nie den Ligaverbleib sicher haben.

Übrigens: Für den USC steht am Samstag (14 Uhr, in Unterhaching) sogar erst der vorletzte Wettkampf an. Ihr allererster war nämlich ausgefallen und dann seltsamerweise über das offizielle Saisonende hinaus terminiert worden. Durchaus riskant, aber die Wettkampfplaner hatten offenbar gewusst, dass zu diesem Zeitpunkt die Abstiegsfrage entschieden sein würde.

Von der Breite bis zur Spitze

Ungeschlagen: Valentin Zapf. (Foto: Claus Schunk)

Auch beim TSV Unterföhring sitzt ein Alter auf der Bank, sogar ein ehemaliger Olympiaturner. Siegfried Fülle hat sich allerdings schon etwas länger mit der Rolle des Trainers arrangiert, er ist vor einigen Wochen 80 geworden. Fülle ist einer von vier Trainern des Teams, was unter anderem daher rührt, dass der TSV vor einigen Jahren mit Jetzendorf fusionierte. Mit dem USC München hatten die Unterföhringer in dieser Saison eine Gemeinsamkeit: Beide haben auf ausländische Verstärkung verzichtet (unbezahlte Österreicher zählen nicht). Der USC traditionell erstens aus Prinzip und zweitens mangels Geld, zumal die Studenten einst noch alle Kosten aus ihren privaten Geldbeuteln hatten bestreiten müssen. Der TSV Unterföhring hingegen, weil sich der Brite Ryan Owen vor Saisonbeginn eine Schulterverletzung zugezogen hatte. Auch deshalb sagt Benedikt Böhm, der verantwortliche (und deutlich jüngere) Trainer, dass er mit der Saison "sehr zufrieden" sei. "Wir haben das gezeigt, was wir können."

Der vorletzte Platz kam vor allem durch zwei äußerst knappe Niederlagen zustande, gegen Wangen-Eisenharz (37:40) und Ludwigsburg (33:34). "Beide hätten anders ausgehen können", sagt Böhm, vor allem an Pferd und Ringen haperte es. Die bislang einzigen Punkte gab es im Derby gegen den USC, "das war sehr cool, da war eine tolle Stimmung". Nun wollen sie gegen Schlusslicht TG Pfalz (18 Uhr) natürlich noch ihren zweiten Sieg holen und, sofern die Konkurrenz da mitspielt, auf den sechsten Tabellenplatz klettern.

Auch die Unterföhringer haben einige junge Turner aus ihrer Jugend hervorgebracht. Der USC München hatte das Pech, dass ausgerechnet im Derby deren herausragendes Talent mitmischte, nämlich der 17-jährige Valentin Zapf. Der deutsche Jugendmeister ist mindestens einer der besten Nichtausländer der Liga, Münchens Ottnad hält ihn sogar für den "definitiv besten deutschen Turner" im Feld. Zapf (in diesem Sommer Preisträger der SZ-Talentiade) nahm überhaupt nur an zwei Wettkämpfen teil, in denen er dann aber jeweils an allen sechs Geräten antrat - und der Einfachheit halber auch an allen gewann. Im Schnitt holte er in seinen Duellen 4,08 von fünf möglichen Punkten, das war mehr als der aktuelle Liga-Topscorer.

15 Aktive hat der TSV gemeldet, in der Regel schickt er zehn pro Wettkampf an den Start, das ist jeweils das erlaubte Maximum. Die Breite ist also da, obwohl der TSV zuletzt einiges Verletzungspech hatte. Die Spitze aber heißt - obwohl zum Beispiel Oliver Bircks zweimal der Topscorer war - eindeutig Valentin Zapf. Und die Frage, die sich beinahe aufdrängt, ist die nach dessen Zukunft. Denn sein Team, sagt Böhm, wolle nächstes Jahr zwar einen besseren Platz anpeilen, aber Zweitliganiveau habe es trotzdem nicht. Wird Zapf also noch lange in der dritten Liga bleiben?

Er wisse da nichts Gegenteiliges, sagt Böhm. Klar werde sich irgendwann auch die finanzielle Frage stellen, aktuell rechnet er aber weiter mit dem Teenager. Der Grund ist, dass Zapf und sein Trainer Zoltan Czuka die Einsätze in der Liga eher zu Test- und Vorbereitungszwecken für wichtige nationale und internationale Einsätze sehen, zuletzt etwa für den Deutschland-Pokal, den das Team Bayern mit Zapf und Unterhachings Felix Kriedemann gewann, oder demnächst für den renommierten Future-Cup in Linz. "Dazu haben sie bei uns gute Bedingungen und alle Freiheiten." Zum Beispiel auch die, am Samstag noch einmal anzutreten.

© SZ vom 16.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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