Turnen:Heimkehr des verlorenen Sohns

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Vor zehn Jahren verließ Jakob Paulicks die Unterhachinger Turner, um die erste Liga zu erobern. Nun kehrt er als deutscher Meister in die zweite Liga zurück.

Von Andreas Liebmann

Er habe da etwas läuten hören. Es war Frühjahr, einer der wohl aufregendsten Tage in seinem Leben war noch einige Monate entfernt, die Saison in der Deutschen Turnliga (DTL) hatte noch gar nicht richtig begonnen. Doch Jakob Paulicks verlor keine Zeit, um seine alten Freunde mit den unerhörten Neuigkeiten zu versorgen: Es gehe das Gerücht um, berichtete er, dass die KTV Obere Lahn, für die er seit 2014 in der ersten Liga turnt, ihre Mannschaft nach der Saison abmelden wolle.

Das Gerücht stellte sich bald als wahr heraus. Eigentlich war damals schon irgendwie klar, was das für Paulicks' Zukunft bedeuten dürfte. Er würde zurückkehren, zu den alten Trainingskollegen in Unterhaching, die mit dem Team Exquisa Oberbayern in der zweiten Liga antreten. Die er vor zehn Jahren verlassen hat. Bis seine Rückkehr dann wirklich feststand, kurz vor Weihnachten, verging aber noch eine lange Zeit. Paulicks bekam mehrere Angebote, auch aus der ersten Liga - schließlich hatte er dann ja Anfang Dezember den deutschen Meistertitel geholt mit der KTV Obere Lahn. Doch eigentlich war die Sache für ihn schon lange klar: Er wollte zurück.

Als er zum FC Bayern ging, war sein Vater nicht begeistert. Dann kam dort das Aus

Paulicks hatte den TSV Unterhaching ja nie wirklich verlassen, er war über all die Jahre für jenen Verein angetreten, bei dem er als Fünfjähriger anfing und dessen Turnabteilung sein Vater Oskar Paulicks leitet. Nur in der Liga turnte er eben nicht mehr für dessen Wettkampfgemeinschaft Exquisa Oberbayern. Anfang dieses Jahres zog er mit seinem Umzug nach Köln dann sogar noch einen weiteren dicken Strich. "Die Jungs in München zurückzulassen, war hart", sagt er. Schon damals, 2008, als er sich zu seinem ersten Wechsel entschlossen hatte, habe sich das angefühlt, "als würde ich jemanden im Stich lassen". Darum, sagt Jakob Paulicks, habe er auch immer im Hinterkopf gehabt, dass er eines Tages wieder zurückkehren wolle. Nun ist es also soweit, zu einem Zeitpunkt, an dem Jakob Paulicks sagen kann: "Ich habe in der DTL fast alles miterlebt, was man erleben kann."

Paulicks' erster Schritt weg aus Unterhaching war damals kein großer, zumindest nicht geografisch. Mit 15 hatte er seinen ersten Wettkampf für Exquisa Oberbayern gemacht, mit 18, nach dem Aufstieg in die zweite Liga, gab er dem Werben des benachbarten FC Bayern nach. Sein Vater, klar, der war nicht begeistert, zumal auch noch sein gerade 15-jähriger Trainingskollege Lukas Dauser mitging. Aber sie hätten eben in die erste Liga gewollt, sagt Jakob Paulicks, er empfinde den Schritt bis heute als logisch. Nach einigen schlaflosen Nächten habe er sich durchgesetzt. "Die waren ja noch so jung", erinnert sich sein Vater heute. "Und wir haben mit Exquisa dann natürlich Probleme bekommen. Uns hat das letztlich die Liga gekostet."

Am Reck dürfte Jakob Paulicks in der zweiten Liga künftig einer der Besten sein. Mit ihm will Exquisa Oberbayern den Aufstieg probieren. (Foto: Bernd König/imago)

Der FC Bayern war damals gerade abgestiegen, mit den beiden Talenten ging es gleich wieder nach oben. Im ersten Zweitligawettkampf für die Bayern allerdings, da trafen Paulicks und Dauser ausgerechnet auf ihren alten Verein. "Besser hätte man sich das nicht ausdenken können", sagt Jakob Paulicks, "es ging gleich zur Sache. Das war natürlich nicht leicht für mich."

2012 ging es erneut runter mit den Bayern, 2013 wieder hinauf. Und dann kam diese Jahresabschlussfeier, die Jakob Paulicks sicher nie vergessen wird, mitten in der größten Euphorie, zwei Tage nachdem sie den Wiederaufstieg klargemacht hatten. Statt der erwarteten Lobeshymne, vielleicht eines Ausblicks auf neues Personal, verkündete der langjährige Abteilungsleiter Ulrich Hager völlig unerwartet, dass der Hauptverein die ganze Abteilung dichtmachen werde. Alle standen unter Schock, schwiegen. Irgendwann begannen sie krampfhaft nach Auswegen zu suchen, nach Ideen, wie man den Verein umstimmen könne. "Es war ein Debakel für alle Beteiligten", erinnert sich Paulicks, der damalige Mannschaftsführer. Kurz darauf fing er dann bei der KTV Obere Lahn an.

Dieser unfreiwillige zweite Wechsel war der geografisch größere Schritt. Knappe 600 Kilometer fuhr er fortan vom Münchner Süden aus, wo er weiterhin trainierte, zu den Heimwettkämpfen in Biedenkopf bei Marburg, nördliches Mittelhessen. Trotzdem, sagt er, habe es für ihn "keine andere Adresse" gegeben. "Es geht auch ums Mannschaftsgefüge", erklärt er, "um Jungs, mit denen man Spaß hat, die nicht alles nur bierernst sehen." Eigentlich sehr ähnliche Gründe wie die, die ihn nun zurück nach Unterhaching führen. Damals habe alles für das Team um Fabian Hambüchen gesprochen, mit dem er gleich im ersten Jahr den dritten Platz erreichte. Ab und zu sind seine Eltern zu den Wettkämpfen gekommen. "Die Stimmung, die wir in Biedenkopf erlebt haben, war phänomenal", erzählt Oskar Paulicks, "jedes Mal ausverkauft mit 1400 Zuschauern."

Künftig werden es Jakob Paulicks' Eltern nicht mehr weit haben zu den Heimwettkämpfen - der Sohn allerdings schon. Sein Studium (Umweltingenieurwesen) ist fertig, er ist nach Köln gezogen, arbeitet dort im Bereich Ladenbau - für eine Firma, die Sushi-Shops baut. Zu "Leberkas und Weißbier", das ihm der Exquisa-Vorsitzende und Teamkapitän Michael Bastier in Aussicht gestellt hat, wird er künftig also von Sushi und Kölsch aus pendeln.

Das neue Saisonziel hat Bastier, den Paulicks schon kennt, seit er fünf ist, bereits ausgegeben: Zweitliga-Meister wollen sie werden nach Rang drei in diesem Jahr; und wenn es möglich ist, dann auch in die erste Liga aufsteigen. Am Kader wird sich ansonsten nichts ändern, sagt Bastier, außer dass sie vielleicht noch ein, zwei weitere junge Talente einbauen. Paulicks werde sicherlich "der beste Deutsche" sein an den Geräten, die er für die Hachinger turnt, an Barren und Reck und vielleicht noch ein oder zwei mehr. "Mal sehen, wie er mit dem Training klarkommt."

Alles rausgehauen: Mit ihrem ersten Meistertitel verlässt die KTV Obere Lahn die Liga

Paulicks trainiert nun in Köln, sein Pensum, sagt er, sei seit dem Eintritt ins Berufsleben gar nicht so stark gesunken. Zumindest sei das nun nicht der Grund gewesen, Angebote aus der ersten Liga auszuschlagen. Sondern das Verlangen danach, wieder zu den alten Freunden zurückzukehren, die er seit Kindertagen kennt. Einige der Jüngeren wie Fabian Dauth oder Jonas Olbrich habe er selbst trainiert. Der verlorene Sohn kehrt zurück - das ist eine andere Weihnachtsgeschichte als damals im Dezember 2013 die beim FC Bayern.

Zwei Weggefährten im Freudentaumel: Auch Lukas Dauser (vorne) tritt außerhalb des Ligabetriebs bis heute für den TSV Unterhaching an. Anfang Dezember wurde er zum zweiten Mal deutscher Mannschaftsmeister. Für die KTV Obere Lahn und Jakob Paulicks (Mitte) war es dagegen der erste Titel. (Foto: Michael Ruffler/imago)

Und Jakob Paulicks hat nun einiges zu erzählen, vor allem von diesem wahnsinnigen Finale mit der KTV Obere Lahn. "Wir wussten ja schon lange, dass es zu Ende geht", erzählt er. Der Verein hatte sich früh dazu bekannt, sich künftig auf die bisherige zweite Mannschaft zu konzentrieren, in der noch heimische Talente turnen und die nun in die zweite Liga aufgestiegen ist. Quasi die KTV Untere Lahn. "Die Frage war nur: Lässt man sich hängen oder versucht man noch mal alles rauszuhauen?"

Sie haben alles rausgehauen, Paulicks, Dauser und die anderen. Hambüchen war nur noch als Betreuer dabei. Im Finale gegen die KTV Straubenhardt mit dem Unterhachinger Marcel Nguyen galten sie eher als Außenseiter und lagen nach zwei Stürzen am Boden gleich mal deutlich mit 1:7 zurück. Vor dem letzten Gerät, dem Reck, stand es dann unentschieden. Paulicks begann gegen Brian Gladow, seinen ehemaligen Kollegen vom FC Bayern - ebenfalls unentschieden. Erst die allerletzte Übung sollte über den Titel entscheiden - den ersten für die KTV Obere Lahn; den ersten für Jakob Paulicks. "Es war ein Wahnsinnsgefühl", schwärmt er. "Das Größte, was man im deutschen Mannschaftsturnen erreichen kann", betont sein Vater, der in der Halle mitjubelte. Zweimal Gold also, dazu gab es Silber für Nguyen und Bronze für Felix Remuta, die anderen Hachinger, die in der ersten Liga turnen. Dauser hat sich nun der TG Saar angeschlossen. Nicht ausgeschlossen, dass auch von diesen dreien irgendwann jemand zu seinem Heimatteam zurückkehren will. "Natürlich redet man immer mal drüber", sagt Paulicks, "aber konkret tut sich da nichts." Vielleicht ja nach einem Aufstieg in die erste Liga.

Den, sagt Jakob Paulicks, würde er seinen neuen Kameraden wünschen, dieser jungen Riege "mit viel Potenzial". Er weiß noch, wie aufgeregt er selbst bei seinem Erstliga-Debüt war: "Die Atmosphäre ist völlig anders, es geht gegen die Topstars. Da musst du schon schauen, dass du deinen Körper fest kriegst, dass du nicht einbrichst im Stütz oder mit schlackernden Knien am Boden turnst." Damals beim FC Bayern, da hätten all die Routiniers ihn und Dauser prima unterstützt. Eine wichtige Aufgabe, die künftig in Unterhaching wohl auf ihn selbst zukommen wird.

© SZ vom 29.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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