Tischtennis:Volles Risiko

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Punktet mit seiner Angriffskunst: der 15-jährige Petros Sampakidis. (Foto: Günther Reger)

Mit dem Umzug seines Bundesstützpunkts nach München geht der Bayerische Tischtennis-Verband ein Wagnis ein. Er zentralisiert hier seine Talente - in der Hoffnung, dass er bis 2020 irgendwie eine eigene Halle bekommt

Von Andreas Liebmann, München

Eigentlich ist die Sache simpel. Wer für sein Nachwuchskonzept zwingend eine eigene Halle braucht, aber weder eine besitzt noch in Aussicht hat, wer über kein Geld verfügt, um eine zu bauen, und kein Grundstück kennt, auf dem sie entstehen könnte, der hat: ein Problem. Exakt so geht es dem Bayerischen Tischtennis-Verband (BTTV). "Es ist eine Wahnsinnsaufgabe", seufzt Geschäftsführer Carsten Matthias, "Herausforderung, Chance und Notwendigkeit zugleich". Falls es nicht gelingt, was er vorhat, fürchtet er, dass der größte deutsche Landesverband in der leistungssportlichen Bedeutungslosigkeit verschwindet. Und ohne Halle geht es nicht.

Bayern war nie das Mekka des Tischtennissports. Es geht eher darum, nicht ganz den Anschluss zu verlieren. Nach der Nationalspielerin Sabine Winter hat der BTTV zuletzt in Florian Schreiner, Kilian Ort und Chantal Mantz einen Jahrgang mit zwei deutschen Jugendmeistern und einer Mädchen-Europameisterin hervorgebracht, teils durch individuelle Förderung, teils durch Stützpunktarbeit. Das Trio zeige einerseits, "dass wir erfolgreich sind", sagt Matthias; andererseits veranschauliche es, welche strukturellen Defizite sein Verband aufweise. Mantz (Berlin) und Schreiner (Bergneustadt) haben Bayern gerade verlassen, beide trainieren in Düsseldorf.

Der BTTV stellt sich im Jugendbereich derweil neu auf, in Form eines Bundesstützpunkts mit Anschluss an die neue Eliteschule des Sports im Münchner Norden. Seine Talente will er dafür in der Landeshauptstadt zentrieren, die ersten hat er schon geholt. Doch ohne Halle wird es ein Experiment auf Zeit. "Wir setzen alles darauf, dass es klappt", sagt Matthias, "das ist unsere einzige Chance. Wenn wir bis 2020 keine eigene Halle haben, werden wir unsere Nachwuchsarbeit extrem herunterfahren müssen." Er hat sich diese Frist nicht ausgedacht, sie ergibt sich aus den Anforderungen an einen Bundesstützpunkt.

Man muss etwas ausholen, um zu verstehen, woran es hakt. Nach den Olympia-Erfolgen von 2012 hat Tischtennis einen fünften Bundesstützpunkt bekommen, er ging nach Bayern, wo der BTTV einige Talente in einer Villa in Kolbermoor beherbergte. Mit diesen zog er für eine Übergangszeit nach Bad Aibling um, an ein Fußball-Internat, wo es allerdings Probleme mit den Hallenzeiten und kaum Interessenten gab. Und es war klar: Sobald die Eliteschule in München eröffnet, muss der BTTV mit seinem Stützpunkt dorthin umziehen.

Das tut er nun. Dabei ist gar nicht mal sicher, ob sein Status als Bundesstützpunkt über das Jahr 2016 hinaus erhalten bleibt. Gerade werde verhandelt zwischen Deutschem Olympischem Sportbund und Bundesinnenministerium, der fünfte Stützpunkt stehe "auf der Kippe". Dennoch führt Matthias eifrig Gespräche mit jungen Spielern und deren Eltern, um Bayerns größte Talente nach München zu locken. "Bis 2020 handeln wir auf jeden Fall so, als wären wir ein Bundesstützpunkt, das ist vertraglich gesichert", erklärt er. Dann aber verhandeln die Geldgeber erneut. Falls der BTTV bis dahin kein echtes Tischtennis-Leistungszentrum vorweisen kann, war es das wohl mit Anerkennung und Förderung als Bundesstützpunkt.

Wie kompliziert schon die Sache mit der Anbindung an die Eliteschule ist, zeigt das Beispiel Daniel Rinderer. Der 14-Jährige ist Deutschlands Nummer drei, er wechselt von Ruhmannsfelden nach München und zum FC Bayern, doch er kommt in die achte Klasse. Das Gymnasium an der Knorrstraße startet im Herbst jedoch mit den Jahrgangsstufen fünf bis sieben. Leistungssportklassen werden dort erst ab der achten Jahrgangsstufe eingerichtet - wenn in einem Jahr die erste entsteht, wird Rinderer bereits Neuntklässler sein. Er ist zu alt, wird das Gymnasium Moosach besuchen. Gleiches gilt für Bayerns Nummer zwei Hannes Hörmann, 13, vom TV Hilpoltstein. Auch er soll nach München ziehen, jedoch erst in einem Jahr. Denn Rinderer ist wenigstens alt genug, um im Haus der Athleten zu wohnen, einer Wohneinrichtung des Olympia-Stützpunkts - Hörmann ist dafür zu jung. "Beide werden also nie die Eliteschule besuchen, aber wir müssen sie nach München holen", sagt Matthias. Dort können sie, immerhin, all die Vorteile der Stadt mit ihrer Vielzahl an Klubs und die Möglichkeiten des Olympia-Stützpunkts nutzen, von Leistungsdiagnostik über Physiotherapie bis hin zur Karriereberatung.

Bleibt die Hallenproblematik. Denn die Dreifachhalle der neuen Eliteschule ist belegt. Bis 2020 hat sich der BTTV daher eine Teilhalle des neuen Hockeyzentrums im Münchner Norden gesichert - dessen Fertigstellung lässt allerdings auf sich warten. Aus 2017 ist 2018 geworden, vielleicht auch 2019. Bis dahin werden Rinderer und Co. Teil einer äußerst flexiblen Trainingsgruppe sein, die vormittags beim TSV Milbertshofen unterschlüpfen wird und nachmittags als eine Art Wanderzirkus bei umliegenden Vereinen. Sie soll offen sein für alle Kaderspieler, bis hin etwa zu Kolbermoors Erstligaprofis wie Sabine Winter oder Kristin Silbereisen. Das Problem: Diese Gruppe wird über die Jahre wachsen. "Wir können keinem Verein zumuten, mit 20 Leuten in sein Training einzufallen", weiß Matthias, "aber für 20 Leute baut uns auch niemand eine Dreifachhalle." So viel Platz aber werde benötigt - und das laut Stützpunkt-Vorgaben nicht weiter als 20 Fahrminuten von der Schule an der Knorrstraße entfernt. Matthias muss also ein passendes Grundstück finden und viele Unterstützer in der Politik. Sein Ansatz: Neben der Leistungsgruppe sollen Schulkooperationen in der Halle Platz finden, Flüchtlingsangebote, paralympische Athleten - "und abends geben wir sie für Vereinssport frei. Da kann alles stattfinden, von Drittligaspielen bis Minimeisterschaften. Wir kleistern das Ding mit Tischtennis voll." Gerade mit den integrativen Ideen habe er offene Türen bei Politikern vorgefunden, sagt Matthias. München brauche ja Hallen, und das "All-inclusive-Konzept mit vielen Kooperationspartnern" habe viele überzeugt.

Schwierig bleibt das Vorhaben dennoch. Der Verband steht mit dem Rücken zur Wand, doch sein Geschäftsführer hat eine weitere Motivation: Der Stützpunkt sei ein großes Anliegen des langjährigen BTTV-Präsidenten Claus Wagner gewesen, das er Anfang April noch an einem Infotag vertrat. Einige Wochen später starb Wagner überraschend, er hinterlasse eine riesige Lücke. Matthias weiß: "Es wäre auch in seinem Sinn, wenn wir das schaffen."

© SZ vom 02.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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