Tischtennis:Prager Bank

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Er versteht es, seine Gegner zu locken: Auf die oft harmlos wirkenden Aufschläge von Michal Obeslo fallen viele Kontrahenten herein. (Foto: Johannes Simon)

Michal Obeslo, selbst erst 26, soll für die junge Tischtennis-Zweitligamannschaft des TuS Fürstenfeldbruck ein Vorbild sein

Von Andreas Liebmann, Fürstenfeldbruck

Hinter Michal Obeslo ist es laut. Dort spielt Florian Schreiner, sein junger Teamkollege beim Tischtennis-Zweitligisten TuS Fürstenfeldbruck, und der 19-Jährige fühlt sich nicht gut. Er feuert sich vor jedem Ballwechsel an, kommentiert seine Fehler, wirft den Schläger. Kein guter Tag für Schreiner, er ist müde und unkonzentriert. Dann ist Filip Cipin am Nebentisch dran, der kleine Kroate, 22, wirkt aufgedreht, er springt nach spektakulären Gewinnschlägen wie ein Flummi, ballt die Faust, jubelt. Obeslo wirkt dagegen tiefenentspannt. Auch er schreit kurz, wenn ihm mit der Vorhand ein Punkt gelingt, doch dann kehrt er sich wieder nach innen. Steht reglos zum Aufschlag bereit und blickt lange auf den Ball, ehe es losgeht. Zu hadern oder zu fluchen käme ihm nicht in den Sinn. Der Tscheche ist 26, und er ist die neue Führungsfigur des TuS.

Als Nummer eins hat er vor der Saison den 19-jährigen Lee Chia-Sheng abgelöst, einen Taiwanesen, der teils überragende, aber schwankende Leistungen bot. Obeslo spielt solide. Auf 8:4 Siege hat er seine Saisonbilanz am Samstag beim 6:4-Erfolg gegen Dortmund erhöht. "Das ist okay", findet er. Sein Team steht mit 7:5 Punkten im Tabellenmittelfeld, damit sei der Klub zufrieden. "Die Leute hier sind nett, die Bosse machen keinen Druck, ich fühle mich wohl", sagt er. "Das ist wichtig für mich."

Schon ein Jahr zuvor hatte sich Obeslo, Nummer 204 der Weltrangliste, beim TuS angeboten, damals setzte der Verein auf ein anderes Konzept: auf ein junges Team, das zusammen wohnen und trainieren sollte. Obeslo passte nicht in dieses Schema. Inzwischen jedoch trainieren Schreiner und der Serbe Bojan Crepulja gemeinsam in Saarbrücken, Cipin in Zagreb; und nun reist eben Obeslo aus Prag zu den Spielen an. Fünf Stunden im Bus, erzählt er, das sei kein Problem, solange er Platz habe. Er spricht Englisch und zeigt auf einem Holzstuhl sitzend, wie er gleich im Bus die Beine ausstrecken wolle, die Arme hinter dem Kopf verschränkt: "Watching, reading, sleeping, relaxing", sagt er grinsend. Und verblüfft, als ein Junge mit einem Tablett Wurstsemmeln vorbeikommt: "Ich nehme eine", sagt er in ziemlich gutem Deutsch.

Zehn Jahre lang hat er in Prag gespielt, erzählt er, gegen die immer gleichen Gegner. Vorige Saison trat er dann gleichzeitig für den schwedischen Erstligisten Helsingborg und einen französischen Zweitligisten an. An zwei Weltmeisterschaften hat Obeslo teilgenommen, dann rutschte er ins tschechische B-Team ab. Er will zurück in den A-Kader, sagt er, dafür arbeite er.

In Fürstenfeldbruck sind sie sehr zufrieden mit dem Neuen. "Wir haben einen gesucht, der gegen die untere Hälfte der Gegner eine Bank ist", sagt Trainer Andras Podpinka. "Michal ist eine Bank!" Viele knappe Spiele hat er gewonnen. Abteilungsleiter Rudi Lutzenberger führt das auf Nervenstärke und taktische Flexibilität zurück. Obeslo selbst bezweifelt, über eine besondere mentale Stärke zu verfügen. "Manchmal verliere ich die engen Spiele auch", sagt er. "Aber ich kämpfe immer und gebe nie auf." Eine Woche zuvor war er gegen den 44-jährigen Richard Vyborny so lange drangeblieben, bis sein Landsmann sich am Rücken verletzte; Obeslo wehrte einen Matchball ab und gewann.

Gegen Dortmund hatte Obeslo solches Glück nicht, obwohl auch sein zweiter Gegner Evgenij Fadejew schon 40 ist. Podpinka hatte die Doppel verändert, statt mit Schreiner spielte Obeslo erstmals mit dem Linkshänder Cipin zusammen. Das Debüt des Duos glückte - während Schreiner/Crepulja dem kuriosen Doppel Fadejew/Fadejew unterlagen. Das sind nicht etwa Brüder, sondern Vater und Sohn. Kirill Fadejews Vater hat Erstliga-Erfahrung, seine Mutter Oksana Fadejewa gewann zwei Europameistertitel - er selbst ist gerade 14.

Obeslo versteht es, seine Gegner zu locken, wie im ersten Einzel Björn Helbing: Mal mit weichen Rückhand-Spins, mal mit seinem ungewöhnlichen Vorhand-Aufschlag, der nach wenig Handgelenk und daher vermeintlich harmlos aussieht, verleitete er ihn zu Fehlern. Und mit der variablen Vorhand übte er Druck aus. Helbing brachte er damit zur Verzweiflung, Routinier Fadejew wusste oft gute Antworten. "Er war heute im Rückschlag besser", sagte Obeslo nach der 7:11 , 11:4, 5:11, 11:2, 5:11-Niederlage. "Ich habe etwas unklug gespielt."

Trotz Schreiners Formschwäche reichte es. Weil gegen den 44-jährigen Penholder-Spieler Qi Wencheng und den 14-jährigen Kirill Fadejew weder Crepulja noch Cipin einen Satz abgaben. Der in der Vorsaison nervöse Cipin hat enorm an Selbstvertrauen gewonnen und holt zurzeit fast regelmäßig den entscheidenden Schlusspunkt für sein Team; und der 24-jährige Serbe Crepulja, der sich zuletzt wieder allzu häufig in die Ballonabwehr hatte fallen lassen, zeigte vor allem gegen Qi, wie stark er sein kann, wenn er mal hartnäckig offensiv bleibt.

Obeslo ist nicht viel älter als die anderen. Dennoch soll er ihnen ein Vorbild sein. "Man merkt ihm seine internationale Erfahrung an", sagt Podpinka, "er weiß, was er isst, wann er schläft und wann er am besten Aufschlag trainiert." Von seiner professionellen Einstellung könnten die Mitspieler sich einiges abschauen, findet der Trainer. Obwohl Obeslo während der Matches scheinbar alles um sich herum ausblendet, bemerkt er übrigens auch jedes Signal seines Coaches - und weiß dessen Tipps umzusetzen.

© SZ vom 05.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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