Tischtennis:Heimat zu Besuch

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Reichlich Input: Hier hört Laura Tiefenbrunner gerade auf die Tipps von Mädchen-Bundestrainerin Dana Weber. (Foto: ttfworld/oh)

Laura Tiefenbrunner, 17, kommt aus Kolbermoor, spielt aber für Schwabhausen. Zum Bundesliga-Auftakt trifft sie auf die eigene Vergangenheit.

Von Andreas Liebmann, Schwabhausen

Das Auto hat es unversehrt bis vor die Haustür geschafft. Laura Tiefenbrunner ist erleichtert, sie grinst zufrieden. Auch der Zaun steht noch. Wieder eine Herausforderung bewältigt. "Es kommt schon viel zusammen im Moment", sagt sie. Gerade hat sie ihre zweite Fahrstunde hinter sich. Das eine Jahr, das die 17-Jährige bereits in Begleitung eines Erwachsenen hätte fahren dürfen, ist fast verstrichen. Sie habe bisher einfach keine Zeit für den Führerschein gehabt, erklärt sie. Es ist eben alles nicht so leicht: Sie spielt in der ersten Tischtennis-Bundesliga, dafür trainiert sie täglich. Gleichzeitig tingelt sie mit der Jugend-Nationalmannschaft quer durch die Welt, obendrein steuert sie auf ihr Abitur zu. Und an diesem Samstag muss sie auch noch gegen ihre eigene Vergangenheit spielen. Aber wie die meisten ihrer Herausforderungen ist auch das eine, auf die sie sich freut.

Es ist ein milder Spätsommertag, nur tief in den Bergen hinter Rosenheim hängen Gewitterwolken. Laura Tiefenbrunner sitzt auf der Terrasse des elterlichen Hauses in Kolbermoor. Ein paar hundert Meter von hier trainiert der Vorjahreszweite der Frauen-Bundesliga, der SV-DJK Kolbermoor. Ihr Heimatverein. Die Heimspiele finden quasi vor ihrer Haustür statt, das könnte einiges erleichtern. Aber sie spielt ja nicht mehr für Kolbermoor.

Mit ihrem alten Trainer sei in Kolbermoor etwas Familiäres verloren gegangen, findet sie

Das hat sich vor etwa eineinhalb Jahren entschieden, wenige Meter von hier, drinnen am Küchentisch. Kolbermoors Trainer und Abteilungsleiter Michael Fuchs teilte ihr dort mit, dass sie in den Planungen für die erste Liga keine Rolle spiele, dass sie höchstens mit ein paar Einsätzen als Aushilfe rechnen dürfe - und dass er "bei mir die Entwicklung nicht sieht". Ein hartes Urteil. Sie könne sich noch an ihren ersten Einsatz in der ersten Liga erinnern, gegen die Leutzscher Füchse. Damals war sie gerade 15 geworden. Für einen besonders langen Ballwechsel gab es Riesenapplaus, auf den Rängen kannten sie ja alle.

Sie ist dann nach Schwabhausen gewechselt, Landkreis Dachau. Weit weg für eine Schülerin ohne Führerschein.

Sportlich, findet sie, war das der richtige Schritt. Sie durfte nach dem Wechsel in der zweiten Bundesliga vorne spielen, das sollte sie voranbringen - weiter als die Drittliga-Einsätze in dem Verein, der sie ausgebildet hat, seit sie ihren älteren Bruder mit sechs Jahren erstmals in die Halle begleitete, und dem sie deshalb viel verdankt. Nach dem Aufstieg mit dem TSV Schwabhausen soll sie dort nun regelmäßig in der ersten Liga eingesetzt werden. Der Saisonauftakt findet am Samstag (14.30 Uhr) ausgerechnet gegen Kolbermoor statt. Es ist ein Heimspiel. Also: in Schwabhausen. Hundert Kilometer von hier. Die Gäste werden mit einem Fanbus anrücken, natürlich kennt Laura Tiefenbrunner all die Leute, die darin sitzen. Einige treten die Fahrt auch ihretwegen an.

Für Laura Tiefenbrunner war ihr Weggang ein Einschnitt. Sie fühlt sich in Schwabhausen menschlich wie sportlich gut aufgehoben. Aber natürlich ist alles komplizierter geworden. Manchmal fährt sie mit dem Zug Richtung Dachau, um mit ihrer Mannschaft zu trainieren, gerade in der Vorbereitung. Häufiger nimmt sie in Kolbermoor am Stützpunkttraining teil. Noch häufiger trainiert sie in Bad Aibling, wo der ehemalige Landestrainer Tom Wetzel ein Tischtennis-Center betreibt. So kommt es, dass Tiefenbrunner viele Ratgeber hat: In Bad Aibling neben Wetzel vor allem den ehemaligen Weltklassespieler Andras Podpinka; im Stützpunkttraining die ehemalige Europameisterin Krisztina Toth, die eigentlich das Leistungszentrum in München leitet; in Schwabhausen Cheftrainer Alexander Yahmed; und eine Nachwuchs-Bundestrainerin gibt es ja auch. "Man muss etwas filtern", sagt sie, "es ist viel Input." Nicht immer sind alle derselben Auffassung. Doch sie profitiere von jedem, sagt sie, "ich vertraue ihnen allen".

Es ist eine etwas andere Welt, für die sie sich entscheiden musste. Kolbermoor hat eine gute Infrastruktur, der Verein hat entsprechende Möglichkeiten, spielt um Titel, ist professioneller aufgestellt und hat auch mehr Zuschauer als der TSV Schwabhausen, bei dem es in jeder Hinsicht familiärer zugeht. Wobei der Klub gerade einiges versucht, um sich ebenfalls professioneller zu präsentieren, Stimmung in die Halle zu bekommen, in den sozialen Medien aktiver zu sein - das Derby zum Auftakt kommt da gerade recht.

Es ist nicht nur für Laura Tiefenbrunner ein besonderes Duell: Sabine Winter, die ihrerseits in Schwabhausen ausgebildet wurde, ist gerade aus Kolbermoor zurückgekehrt, nach sieben Jahren. Auch das soll natürlich Euphorie entfachen in dem kleinen Dorfverein. Sie habe sich nicht im Bösen von Kolbermoor getrennt, betont Tiefenbrunner. Aber besonders motiviert sei sie schon. Sie möchte zeigen, dass es eine Entwicklung gibt.

Ihr Trainer Yahmed ist nun am ehesten derjenige, der sich auch um Tiefenbrunners Karriereperspektive kümmert und damit versucht, eine Lücke zu schließen. Früher hat sich in Kolbermoor ihr Lehrer Zsolt Hollo um alles gekümmert, bis der Verein sich von ihm trennte. Damit sei etwas Familiäres verloren gegangen, so empfindet es Tiefenbrunner, wobei man wissen muss, dass sie mit Mike Hollo, dem Sohn des Trainers, aufgewachsen ist. Er wohnte nebenan. Inzwischen spielt er für Saarbrücken. Felix Wetzel, ebenfalls ein Freund seit vielen Jahren, ist in die erste österreichische Liga gegangen. Sie alle treffen sich noch zum Training in Bad Aibling.

Laura Tiefenbrunner selbst weiß dagegen nicht so genau, wie es nach dem Abitur weitergehen soll. Erst will sie mal einen guten Schnitt erreichen, für ein späteres Studium. Und dann? "Keine Ahnung." Vielleicht wird sie doch den Schritt nach Düsseldorf wagen, ans Bundesleistungszentrum. "Es durchziehen", wie sie sagt. Bisher war ihr das zu weit weg von daheim. Möglicherweise ist auch das ein Grund dafür, dass ihr alter Verein sie nicht zurückgeholt hat, sondern im Frühjahr die noch ein paar Monate jüngere Anastasia Bondareva verpflichtet hat, ihre Nationalmannschaftskollegin und gute Freundin, die das Internat in Düsseldorf besucht.

"Wir reden sehr viel", sagt ihr Klubtrainer Yahmed. "Sie hat einen sehr guten Kopf und ein super Ballgefühl, aber man müsste viel konsequenter und regelmäßiger mit ihr arbeiten, um alte Muster aufzubrechen." Die Voraussetzungen, um in der ersten Liga zu bestehen, habe sie.

Zwei Tage, nachdem Kolbermoors Trainer damals bei ihnen am Küchentisch saß, hat Laura Tiefenbrunner übrigens das Top 12 gewonnen, das wichtigste Ranglistenturnier für den deutschen Nachwuchs. An vier Europameisterschaften nahm sie bis heute teil. Bei der letzten im Juli im tschechischen Ostrava holte sie gemeinsam mit Bondareva den Titel mit der Mannschaft. Gemeinsam wollen sie Ende November auch zur Weltmeisterschaft in Bangkok. Wenn es klappt, wird Laura Tiefenbrunner dort ihren 18. Geburtstag feiern. Auch das kennt sie bereits. Als sie 17 wurde, war sie gerade auf dem Weg zur Jugend-WM in Bendigo, Australien. Sie feierte am Flughafen.

© SZ vom 21.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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