Tischtennis:Geheimwaffe aus Germantown

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"Sie hat Riesenpotenzial": Schwabhausens Trainer traut der 17-jährigen Crystal Wang zu, unter die Top 50 der Welt zu kommen. (Foto: Niels P. Joergensen)

Mit Crystal Wang nähert sich Schwabhausen gegen Busenbach dem Verbleib in der Bundesliga.

Von Andreas Liebmann, Schwabhausen

Die Überraschung hielt sich in Grenzen, zumindest in Reihen der Sportvereinigung Böblingen. Zwei Wochen lang hatten ihre Gäste aus dem oberbayerischen Schwabhausen nicht so recht damit herausrücken wollen, ob sie ihre Geheimwaffe nun einsetzen würden oder nicht, was sich allein schon damit entschuldigen ließ, dass es ansonsten ja keine Geheimwaffe mehr wäre.

Doch natürlich hatte der württembergische Tischtennis-Erstligist mitbekommen, dass seine Gäste die Geheimwaffe bereits tags zuvor gezückt hatten, am Samstag beim 6:4-Sieg im Kellerduell gegen Busenbach; und weil sie bis zum zweiten Duell des Wochenendes, nur knapp 80 Kilometer von Busenbach entfernt, kaum über Nacht heimfahren geschweige denn eine Spielerin unterwegs aussetzen würden, war das Erscheinen der US-Amerikanerin Crystal Wang in der Halle mindestens so vorhersehbar wie das Eintreffen des seit Tagen angekündigten Sturmtiefs Sabine.

Tags zuvor war Sabine bereits heftig über Busenbach hinweggefegt - allerdings Sabine Winter, nicht Sabine, der Wintersturm. Der kam später. Das Doppel mit Laura Tiefenbrunner hatte sie noch sehr knapp gewonnen, mit 11:9 im fünften Satz gegen Tanja Krämer und Jessica Göbel. In ihren Einzeln gegen dieselben Gegnerinnen gab sie dann insgesamt nur einen Satz ab. "Sabine hat im Doppel überragend gespielt, nahezu ohne Fehler", ordnete Göbel das Geschehen auf der Homepage des Verbandes ein. "So dominant, wie sie im Doppel war, so spielte sie auch ihre Einzel."

Die Geheimwaffe dagegen klemmte ein wenig. Crystal Wang unterlag nach der 2:0-Führung aus den Doppeln, zu der sie an der Seite von Mateja Jeger einen Sieg beigesteuert hatte, Krämer deutlich. Gegen Göbel führte sie dann 11:6 und 11:5, hatte in den folgenden Sätzen mehrere Matchbälle, die ihrem Team einen 6:2-Gesamtsieg gebracht hätten, doch die Durchgänge drei bis fünf gingen verloren, 11:13, 10:12, 9:11. Der fehlende Punkt zum Sieg kam schlussendlich von Abwehrspielerin Alina Nikitchanka auf Position vier.

So gesehen mussten die Böblingerinnen tags darauf nicht vor Angst erstarren, als sie Wang erblickten. Die Bilanz der US-Amerikanerin, die in einigen Tagen erst 18 wird, war mit 2:6 Siegen nicht gerade furchteinflößend. Der TSV-Trainer Alexander Yahmed sagt dennoch: "Wenn Crystal mitspielt, sind wir eine Klasse stärker." Und das, so seltsam es klingt, liegt gar nicht unbedingt an Wang selbst. Eher an der Gesamtsituation. Denn wenn sie mitspielt, kann das zum einen bedeuten, dass sie im vorderen Paarkreuz ihre Spiele gewinnt. Oder, zweite Möglichkeit, dass stattdessen die Kroatin Jeger, die dank Wangs Mitwirken nach hinten rutscht, dort gegen einfachere Gegnerinnen punktet. Im Idealfall natürlich beides. Zur Verdeutlichung: Im vorderen Paarkreuz hat Jeger erst zwei ihrer zehn Einzel gewonnen. Im hinteren weist sie nach dem vergangenen Wochenende acht Siege in neun Partien auf.

"Für uns haben sich einige Türen geöffnet, und wir sind durch alle hindurchgeschlüpft."

Das war wohl die Idee, die Trainer Yahmed verfolgte, als er dem Verein im Sommer empfahl, Wang unter Vertrag zu nehmen - ohne zu wissen, ob sie überhaupt zu Einsätzen kommen würde. Wie gut sie wirklich war, wusste er ja nicht. Ein Trainerkollege hatte sie angeboten. Die Videos, die er sah, hätten zwischen "überragend" und mäßig geschwankt. Dass der Teenager nicht mal eben zum Probetraining vorbeifliegen würde, war klar. Wang, geboren in Tucson, Arizona, aufgewachsen in einem Ort mit dem lustigen Namen Germantown, Maryland, lebt und trainiert in Bellevue, Washington.

Inzwischen hat sich Yahmed natürlich längst ein Urteil gebildet. "Crystal hat mich positiv überrascht, sie hat Riesenpotenzial." Er attestiert ihr eine gute taktische Beobachtungsgabe, viel Ballgefühl, Stärken im aktiven wie passiven Spiel. Überdies harmoniere sie im Doppel mit Jeger hervorragend. Weil Laura Tiefenbrunner an der Seite von Winter, der zweimaligen Doppel-Europameisterin, ebenfalls eine mehr als überzeugende Rolle spielt, beheben Wangs Einsätze also auch gleich noch die Doppelprobleme, die das Team ansonsten hat.

Am Sonntag setzte sich Wang gegen Böblingens Mitsuki Yoshida durch. Tiefenbrunner, die den Vorzug vor Nikitchanka erhielt, bezwang Abwehrspielerin Rosalia Behringer, Winter Yoshida und Jeger Annett Kaufmann. Eine geschlossene Mannschaftsleistung addierte sich zu einem 6:3-Auswärtssieg, mit dem der Aufsteiger einen Riesensatz in der Tabelle macht, hinauf bis auf Rang vier. Nach menschlichem Ermessen sollte das bereits den Ligaverbleib bedeuten, viel früher und souveräner als erwartet. "Für uns haben sich einige Türen geöffnet, und wir sind durch alle hindurchgeschlüpft", bilanziert Yahmed.

Wie es nun weitergeht? Jegers Vertrag für kommende Saison ist unterschrieben, alle anderen haben Angebote bekommen, berichtet der Trainer. Auch Crystal Wang. In dieser Saison wird sie wohl nicht mehr eingesetzt werden, der Aufwand ist groß, sie extra einfliegen zu lassen, auch finanziell. Die vergangenen drei Partien waren günstig um die German Open herum drapiert, da bot es sich für die Amerikanerin an, etwas früher an- und später abzureisen. Ergebnis: Drei Siege für Schwabhausen. Die weitere Entwicklung kann Yahmed nur abwarten. Wang überlege, Medizin zu studieren. Falls sie sich auf den Sport konzentriert, traue er ihr zu, unter die Top 50 der Welt zu kommen. Er würde sie gerne wiedersehen nächste Saison, auch wenn sie dann wohl keine Geheimwaffe mehr wäre.

© SZ vom 11.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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