Tischtennis:Der Beinahe-Coup

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Weniger Druck und ein familiäres Umfeld: Was Petrissa Solja (die hier mit dem Chinesen Fang Bo 2017 WM-Bronze holte) für ihren Neuanfang vermutlich gesucht hat, hätte sie um ein Haar in Schwabhausen gefunden. (Foto: Eibner/imago)

Die Tischtennis-Frauen des TSV Schwabhausen verlieren ihren Titel wohl an den TSV Langstadt. Der steigt in die erste Liga auf - mit Spitzenkraft Petrissa Solja.

Von Andreas Liebmann, Schwabhausen

Rechnerisch ist noch nichts verloren, das kriegt jeder Grundschüler ohne Taschenrechner hin: Wenn in zwei Wochen der TSV Langstadt bei der DJK Offenburg verliert, ist Schwabhausen in der zweiten Tischtennis-Bundesliga der Frauen erneut Meister. Selbstverständlich!, mag man hinzufügen, schließlich hat der Titelverteidiger die Tabelle fast durchgehend angeführt. Doch rechnerisch ist seit vergangenem Wochenende auch klar: Falls Langstadt punktet - was einem Tabellenersten beim abgeschlagenen Letzten schon mal zugetraut werden darf -, dann hat der TSV Schwabhausen seine Titelverteidigung verspielt. Zweimal hat der Klub aus dem Landkreis Dachau am Wochenende nur remis gespielt hat, am Samstag 5:5 daheim gegen den TTK Großburgwedel, am Sonntag 5:5 beim TuS Uentrop.

Trainer Alexander Yahmed nimmt es gelassen. Vor Saisonbeginn habe er auf Langstadt als Meister getippt, nun hat er halt Recht gehabt. Auf den Aufstieg hatte sein Verein ja im Frühjahr schon verzichtet, im Gegensatz zu den Frauen aus Langstadt, die so oder so in die erste Liga gegangen wären. Alles gut. Etwas Bedauern hört man dann aber doch: "Wir hatten schon eine super Ausgangsposition", bilanziert Yahmed.

Auch Schwabhausen hätte den Publikumsmagneten Solja vielleicht verpflichten können

Wenn man etwas genauer hinsieht, ist im Saisonverlauf sogar eine gewisse Tragik zu erkennen. Langstadt ist ein Ortsteil von Babenhausen, ein Dorf mit 1500 Einwohnern, in dem Spargel angebaut wird und das im lokalen Dialekt Longschd ausgesprochen wird. Ein Dorf erobert die erste Liga - eine schöne Schlagzeile ist das, die man im Tischtennis immer mal wieder liest. Auch Schwabhausen ist mit 6000 Einwohnern keine Metropole. Langstadt hat seiner Erfolgsgeschichte vor einigen Tagen allerdings eine starke Schlagzeile hinzugefügt: Zur neuen Saison wird Petrissa Solja für den Neuling spielen - ein echter Coup. Die 24-jährige Champions-League-Siegerin von 2013, mehrmalige Doppel- und Team-Europameisterin, Olympia-Zweite mit der Mannschaft, aktuelle Nummer 59 der Welt und ehemalige Nummer 13 ist das wohl bekannteste Gesicht des deutschen Frauen-Tischtennis - nicht erst seit sie es 2016 auch im Playboy zeigte. Solja sagt über ihren Wechsel in den Odenwald: "Mir gefällt das Konzept und die Philosophie des Vereins. Ich bin ein sehr familiärer Mensch." Der TSV Langstadt ließ seinerseits wissen, dass er sich finanziell für den Transfer nicht mal überheben musste.

Das Tragische aus Sicht des ebenfalls sehr familiären TSV Schwabhausen: Auch er hätte den Publikumsmagneten wohl verpflichten können. Trainer Yahmed vermutet, die Idee sogar als Erster gehabt zu haben, die Kontaktaufnahme sei vielversprechend gewesen. Solja hatte bei ihrem bisherigen Klub, Serienmeister Berlin Eastside, wegen körperlicher wie mentaler Erschöpfung, wie es damals hieß, eine Pause eingelegt und war dann auf Tauchstation gegangen. Monatelang gab es keinen Kontakt zum Verein. "Wir bauen keinerlei Druck auf", hatte Berlins Klubchef Alexander Teichmann Ende Februar der Berliner Morgenpost versichert - Druck, den Solja wohl gerade zu viel verspürte. Dennoch waren die Berliner enttäuscht. Solja "blieb ein Phantom", schrieb die Berliner Zeitung, als die gebürtige Pfälzerin bei den Hungarian Open auftauchte, aber gleich wieder verschwand. Yahmed dagegen hatte sich in Ungarn prima mit dem Phantom unterhalten. Dann kam etwas dazwischen in seinen Planungen: TSV-Talent Sarah Mantz signalisierte Zweifel an ihrem Verbleib in Schwabhausen, weshalb der TSV seine Planungen für die erste Liga umgehend einstellte - und damit auch das Werben um Solja.

"Wir hätten da etwas richtig Schönes gehabt", bedauert Yahmed. "Aber ich freue mich auch für Langstadt, das ist ein cooler, gut aufgebauter Verein, der unserem Sport gut tut." Mantz entschied sich später dann doch zum Bleiben, muss mit Schwabhausen aber nun in der zweiten Liga ran. Den Meistertitel als Trostpflaster hätte das Team umso lieber gehabt, doch es lief gegen Großburgwedel unglücklich. Die Nummer zwei Mantz war mit einer Handverletzung ausgefallen, Mateja Jeger nach einem Turnier erst um sechs Uhr morgens aus Kroatien gekommen. "Es war alles ein bisschen viel", glaubt der Trainer. 16 Sätze wurden mit 11:9 oder noch knapper entscheiden, nur vier fielen an den Favoriten. Jeger, Alina Nikitchanka, Christina Feierabend und Eva-Maria Maier gewannen je ein Einzel, unter dem Strich zu wenig.

Tags darauf gelang gegen Uentrop erneut nur ein 5:5, wie schon im Hinspiel. Jeger siegte zweimal, die etwas verunsicherte Feierabend (Yahmed: "Sie hat zurzeit oft Pech, weiß das und zieht es dadurch nur noch mehr an") ging leer aus.

Uentrop bleibt ebenfalls in Liga zwei. Im Dezember hatte der Klub eigentlich seinen Rückzug aus Geldmangel verkündet, doch dann gelang Trainer Alexander Daun eine Rettungsaktion: Er trieb 40 000 Euro auf. "Mich hat das richtig gefreut", sagt Yahmed, der Rivale sei "ein super Verein, da ist immer gute Stimmung". Familiär ist er auch. Fast ein Fall für Solja. Nur eben auch eine Liga zu tief.

© SZ vom 17.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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