Tischtennis:Bereit zum Pferdediebstahl

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Mit mehr Zutrauen in ihre Schläge: Mercedesz Nagyvaradi gewinnt gegen Kolbermoor beide Spiele. (Foto: Joaquim Ferreira/HMB-Media/Imago)

Der TSV Schwabhausen hat sich darauf spezialisiert, Favoriten zu ärgern, zuletzt im Derby den SV-DJK Kolbermoor. Nun hat der Außenseiter sein Saisonziel nach oben korrigiert.

Von Andreas Liebmann, Schwabhausen

Sabine Winter hatte geahnt, was passieren würde. Dass ihr Trainer auf ihr Angebot verzichten würde, sie einzusetzen, auch wenn sie es sich zugetraut hätte, trotz der Schmerzen, die ihr ein noch nicht verheilter Rippenbruch bereitet. Und dass es auch ohne sie gut funktionieren würde: "Die haben ohne mich ja noch kein Spiel verloren - und das gegen die besten Mannschaften!", hatte Winter, die Doppel- und Team-Europameisterin, vor dem bayerischen Derby in der ersten Tischtennis-Bundesliga betont. Und auch wenn sie das mit etwas Augenzwinkern vortrug, die 28-Jährige sollte Recht behalten: Ihr TSV Schwabhausen eroberte am Sonntag erneut ein überraschendes Unentschieden, 4:4 gegen den SV-DJK Kolbermoor, Winters ehemaligen Verein. Der zählt definitiv zu den ligabesten.

Es ist ein Kuriosum: Dreimal in dieser Saison musste der Verein aus dem Kreis Dachau ohne seine eigentlich unverzichtbare Nummer eins antreten, ohne die aktuell erfolgreichste Erstligaspielerin. Und dreimal sicherte er sich einen unerwarteten Punkt: zu Saisonbeginn gegen den Abonnementmeister Berlin, vor Wochenfrist gegen den Tabellendritten Langstadt und nun gegen den Zweiten Kolbermoor, jene drei Teams also, die den Meistertitel kraft ihrer Möglichkeiten ziemlich sicher unter sich ausmachen sollten. "Ich bin total begeistert", sagte Trainer Alexander Yahmed danach, "und ich bin ziemlich stolz auf mein Team."

"Perfekte Stimmung, super Leistung, starkes Ergebnis" - mehr gab es für den Trainer nach dem 4:4 nicht zu sagen

Schwabhausens Saisonziel war mal Rang sechs. Das ist einerseits der letzte verfügbare Playoff-Rang, andererseits besteht die Liga aktuell überhaupt nur aus sieben Klubs. Man hätte also auch formulieren können: Wir wollen nicht Letzter werden. Inzwischen aber geht es um mehr. Das Saisonziel hätten sie nach oben korrigiert, sagt Yahmed, sie wollen mindestens Fünfter werden, eigentlich eher Vierter bleiben, "um eine möglichst gute Ausgangsposition für die Playoffs zu haben". Denn niemand kann mehr ausschließen, dass der Außenseiter Schwabhausen auch dort die Favoriten ärgert, schon gar nicht seit dem vergangenen Sonntag, an dem Yahmeds Team im vorderen Paarkreuz gegen Kolbermoors Nationalspielerinnen Kristin Lang und Yuan Wan drei von vier möglichen Punkten holte.

Es war nicht nur die spielerische Darbietung, die den Coach begeisterte, sondern auch die Art, wie das Quartett als Mannschaft auftrat, wie es sich gegenseitig unterstützt habe. "Perfekte Stimmung, super Leistung, starkes Ergebnis", schwärmte er. So gesehen konnte es keinen besseren Zeitpunkt geben, um offiziell zu verkünden, dass die Mannschaft komplett zusammenbleiben werde, auch über die Saison hinaus. Der Vertrag mit der Kroatin Mateja Jeger war schon vor einiger Zeit verlängert worden, zuletzt sind dann alle weiteren Personalien abgearbeitet worden. Die Belarussin Alina Nikitchanka, Winter, schließlich die Ungarinnen Mercedesz Nagyvaradi und Orsolya Feher. Letztere verbringen ihre erste Saison im TSV, Nagyvaradi war überhaupt nur nachverpflichtet worden wegen der Ungewissheit, nachdem Winter an der Schlagschulter operiert worden war. Es dauerte dann aber gar nicht lange, bis Abteilungsleiter Helmut Pfeil ein außerordentlich gutes Klima bemerkte und jubilierte, man habe da jetzt "fünf Mädels, mit denen man Pferde stehlen kann". Yahmed hebt ebenfalls hervor, dass es ihm jenseits sportlicher Leistung zum Beispiel auch darum gehe, wie sich die Profis im Verein einbrächten, dass gerade die beiden Neuen oft im Vereinstraining seien und dort auch die Jüngeren unterstützten. "Es ist wichtig, dass sie dem Verein etwas zurückgeben."

Von der individuellen Betreuung im Verein haben die Spielerinnen zuletzt merklich profitiert

Dass sie umgekehrt mehr bekommen als nur eine Verdienstmöglichkeit, zeigt die aktuelle Entwicklung der Spielerinnen. "Sie brauchen neben dem Training mit ihren Nationalkadern auch individuelle Betreuung", erklärt Yahmed, und die bekämen sie in seinem Klub. Feher, 21, sei dadurch zuletzt viel besser in der Spieleröffnung geworden, und sie gewinne fast immer, wenn es im finalen Duell der Nummern vier um Sieg oder Niederlage geht. So wie am Sonntag, als sie in fünf Sätzen gegen Anastasia Bondareva die Nerven behielt. Nagyvaradi, 26, habe mehr Zutrauen in ihre Schläge bekommen. Gegen Kolbermoor, wo sie natürlich nichts zu verlieren hatte, bezwang sie Lang in vier und Wan sogar in drei Sätzen, das waren sicher die größten Überraschungen. "Zugetraut habe ich ihr das", versicherte Yahmed, "aber dass sie es gleich zweimal so auf den Punkt bringt..."

An Jegers Lauf, die am Sonntag Wan bezwang, hat Yahmed zurzeit wohl den größten Anteil, weil er im Januar einiges an ihrer Spielweise umgestellt hat, gravierend sogar, und die 26-jährige Kroatin seitdem doch recht plötzlich von Überraschungssieg zu Überraschungssieg eilt. Hätte Nikitchanka nicht sichtlich Schmerzen am Fuß gehabt, es wäre am Sonntag ohne Winter sogar ein Sieg möglich gewesen. Für Kolbermoor sicherte letztlich vor allem die routinierte Abwehrspielerin Svetlana Ganina mit zwei Punkten das Remis.

Die Liga wird vermutlich trotzdem eine Art Zweiklassengesellschaft bleiben, weil gerade Berlin und auch Kolbermoor größere Möglichkeiten haben, um auch in den Playoffs personell nachzulegen. Doch es ist nicht mehr so wie in früheren Jahren, dass alle anderen im Vergleich überfordert wären. Auch dank Schwabhausen hat sich das geändert - und dort soll es nun exakt so weitergehen.

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