Tennis:Im Fahrstuhl mit Kissinger

Lesezeit: 5 min

Achim Kubeng,der deutsche Meister der Senioren 65 steht fast täglich auf dem Platz und kann wunderbare Geschichte erzählen. (Foto: Claus Schunk)

Antike Athletenkost und Anekdoten ohne Ende: Achim Kubeng spielt mit 64 Jahren für den MTTC Iphitos in der Regionalliga - und kann stundenlang von seinen Abenteuern mit Niki Pilic und Roy Emerson erzählen.

Von Thomas Becker, München

Wer mit Achim Kubeng ein paar Bälle schlagen will, hat auf dem Tennisplatz erst mal ein Rugby-Ei in der Hand. Statt "ein paar Kurze" vorn am Netz hin und her zu spielen, wirft man sich also das unförmige Ding zu - da muss die Bewegung aus der Schulter heraus schon stimmen, sonst landet die Murmel sonstwo. Aus zwei Metern Abstand werden drei, fünf zehn; irgendwann schleudert man das Ding von Grundlinie zu Grundlinie. So perfekt aufgewärmt war die Schulter vor dem ersten Schlag noch nie. Und zu lachen gab es bis dahin auch schon eine Menge.

Eine Stunde Tennis mit dem deutschen Hallen-Meister der Senioren 65, standesgemäß auf dem Center Court des MTTC Iphitos. Lange war man nicht mehr so gut im Schlag, was vor allem an dem Mann auf der anderen Seite des Netzes liegt. Der sieht sofort, wo Stärken und Schwächen seines Gegenübers liegen - und bedient netterweise die Stärken. Er kann aber auch anders, was die Senioren-Elite bei den Titelkämpfen in Essen zu spüren bekam. Nach vier glatten Sätzen im Test-Match gegen Wolfgang Metzner, die Nummer sieben der deutschen Rangliste, sagte der mehrmalige bayerische Meister zu seiner Frau: "Du, ich habe gerade gespielt wie von einem anderen Stern. Ich glaub', ich muss mich zur deutschen Meisterschaft anmelden." Im Vorjahr war dort noch im Halbfinale Schluss gewesen. Diesmal schlug Kubeng im Viertelfinale den Seriensieger und ehemaligen rumänischen Davis-Cup-Spieler Dan Nemes in drei Sätzen, musste auch im Halbfinale über die volle Distanz, machte es aber im Finale gegen Paul Schulte eher kurz: 7:5, 6:4 - nach eindreiviertel Stunden (!) Einspielzeit. Rufe nach einer Dopingprobe kontert er so: "Ich erklär' dir gern mal meine altgriechische Athletenkost: wenig Fleisch, gut gekochtes Getreide und Gemüse." Und die Umstellung vom Trainer zum Wettkämpfer? "Du musst spielen, wie du unterrichtest. Ich spiele viel mit Überraschung, Bewegung und Ballgefühl. Mich muss einer mit einem schnellen Spiel überraschen können, sonst kannst du mich nicht knacken."

Derzeit schafft das keiner in Deutschland - gute Nachrichten für den TC Luitpoldpark, für den der 64-Jährige als Nummer eins in der Regionalliga aufschlägt. Alle sieben Einzel hat er gewonnen, der TC steht in der Endrunde um die deutsche Meisterschaft. Dabei wäre er fast Fußballer geworden, wenn ihn nicht Asthma und chronische Bronchitis ausgebremst hätten. So kam er erst mit 17 zum Tennis, in seiner Heimat Amberg, die in den siebziger Jahren nach fünf Meisterschaften in Serie deutsche Tennishauptstadt war. Karl Meiler, Rolf Gehring, Werner Zirngibl, Chris Lewis und Max Wünschig hießen die Helden. Und dann war da noch Petr Strobl, 1968 aus Prag geflohen, der im Davis Cup Karl Meiler geschlagen hatte und über den Rod Laver sagte: "Wenn der Alkohol und Frauen reduziert hätte, wäre er einer von den Großen geworden." Mit einem Sponsor im Rücken baute der Tscheche in Amberg diese Meister-Riege auf - und pushte den jungen Kubeng. Dann kam Niki Pilic ins Spiel.

Nach dem BWL-Studium in Regensburg spülte es den Sohn eines Stadttheaterchefs im Rahmen eines alternativen Sportkonzeptes namens "Traumfabrik" Mitte der Achtziger nach München: "Acht Wochen lang haben wir jede Nacht vor tausend Leuten in einem Zelt am Kolumbusplatz gespielt: Rock 'n' Roll, Seilspringen, schwarzes Theater, Pantomime." Kubeng blieb in München, machte den staatlichen Tennislehrer, und irgendwann gab er mal auf der damaligen Raab-Karcher-Anlage, wo heute das O2-Hochhaus steht, ein Probetraining. Pilic, der unter anderem mit Boris Becker dort trainierte, gefiel Kubengs Art zu unterrichten so gut, dass er ihn ansprach: "Ich hab' da einen jungen Finnen - genau der Richtige für dich. Und wenn ich hier mal eine Tennisschule eröffne, dann machst du die." Der verblüffte Kubeng meinte: "Okay. Und wann?" Darauf Pilic: "Ungefähr in fünf Jahren." Was soll man sagen? Ungefähr fünf Jahre später stand Kubeng im noblen Hotel Palace in Gstaad auf dem Platz, als der Hotelbote aufgeregt antrabte: "Telefon für Sie! Niki Pilic!" Und so eröffnete 1989 die Internationale Tennisschule Niki Pilic - mit dem Cheftrainer Achim Kubeng. Michael Karbacher gab den Touring Coach, kümmerte sich um die Profis, war Sparringspartner von Boris Becker, organisierte Schlagpartner für Sampras, Agassi und andere Cracks.

Stundenlang kann Kubeng von dieser goldenen Zeit erzählen. "Niki hat mich über den Platz gescheucht wie eine Drecksau, wirklich schlimm. Nach drei Minuten war ich fertig und meinte: Niki, kannst du nicht mal langsamer? Und er: ,Nein, ich zieh' dich.' Und tatsächlich: Im Wettkampf konnte ich in einer Art und Weise Tennis spielen, die ich von mir gar nicht kannte." Neun Jahre blieb er auf der Anlage, folgte Pilic später nach Oberschleißheim, wo der Kroate den jungen Novak Djokovic formte und wo er später eine finanzielle Bruchlandung hinlegte. Kubeng besorgte einen Insolvenzverwalter, den er vom Tennis kannte, doch Pilic klagte: "Der verlangt für einmal Telefonieren 300 Euro!" Es sollte noch um einiges teurer werden für ihn.

Niki Pilic ist ein enger Freund: "Der kippt mal auf dem Tennisplatz um.

Bis heute hat Kubeng ein enges Verhältnis zu Pilic, der vor ein paar Jahren zurück nach Opatija ging - natürlich nicht in den Ruhestand, erzählt Kubeng, der ihn unlängst dort besuchte: "Nächstes Jahr wird er 80, hat aber noch eine Tennishalle gebaut. Er trainiert da eine junge Australierin mit serbischem Hintergrund. ,Mit der habe ich 40 000 Bälle gespielt. Die Vorhand ist noch nicht ganz perfekt, aber die wird gut', sagt er. Niki kann nicht aufhören. Der kippt mal auf dem Platz um."

Die andere prägende Figur in Kubengs Tennisleben ist Roy "Emmo" Emerson, eine Legende mit 28 Grand-Slam-Titeln. Der Australier, Jahrgang 1936, steht aber immer noch auf dem Platz, jeden Sommer gibt er in besagtem Palace Hotel Kurse. Über Pilic landete auch Kubeng 1986 erstmals dort - und kam 25 Jahre lang immer wieder. Nicht nur wegen der fürstlichen Bezahlung, sondern wegen Emersons Art, Tennis zu lehren. Sein Grundsatz sei: Nothing beats repetition, Wiederholungen also, "einfache Strukturen. Es geht auch um Details, aber immer ums große Ganze. Die Leute nicht durch bits and pieces kirre machen, keine Kleinigkeiten, sondern erst mal die Grundstrukturen anbieten. Wie eine Ballwand, nur mit Charakter". Auch den nächsten Grundsatz von Emerson hat Kubeng verinnerlicht: "Tennis just for the bloody fun of it!" Auch mal einen Spaß machen, es ist immer noch ein Spiel. "Emmo hat herrliche Anekdoten von der Tour mit Fred Stolle erzählt", sagt Kubeng. Als sie etwa in Texas gegen Mark Cox und Tom Okker das erste Aufschlagspiel verloren hatten, krümmten sie sich vor Lachen. Der Schiedsrichter hatte im breitesten Texanisch gesagt: "First game C oxokker." Was im Englischen so klingt wie eine sexuelle Anzüglichkeit. Oder das Doppel mit Rod Laver in Acapulco gegen die Mexikaner Isis und Christ. Das klang dann so: "First game Jesus Christ". Laver habe daraufhin gesagt: "Ich glaube, wir gewinnen nicht."

Herrliche Zeiten. Einmal war Kubeng für vier Wochen nach New York zum Unterrichten eingeladen. Der Kunde: John Hennessy, Banker, Berater von George Bush senior. Kubeng erinnert sich: "In einem alten Backstein-Hochhaus am East River steht im Lift plötzlich Henry Kissinger neben mir. Der hatte im dritten Stock sein Büro. Im ersten war der Tennisplatz. Hennessy meinte: ,Keine Fragen. Du bist nur hier, um meine Frau glücklich zu machen'. Auf dem Tennisplatz, wohlgemerkt."

Zuletzt lernte er von einem Tai-Chi-Großmeister. Er glaubt, dass auch Federer so was macht

Mit Emerson kann sich Kubeng auch über vermeintlich Fachfremdes austauschen. Vor ein paar Jahren lernte er Toyo Kobayashi kennen, den 2017 verstorbenen Tai-Chi- und Schwertkampf-Großmeister. Kubeng interessierte sich für die Energiearbeit, die Spiralbewegungen, für Visualisierung und Atmung: "Er analysierte Boris Becker und erklärte mir, wie man diesen Sport vermitteln kann, warum Japaner im Baseball so gut sind: Das liegt an der Struktur der Bewegung, an der vertikalen Achse. Das kann man in jeden Sport transportieren. Mir hat das auch geholfen, das Lampenfieber los zu werden. Ich bin mehr in mich selbst reingestiegen, habe mich während des Spiels mehr mit mir beschäftigt. Das, was ich da jahrelang gemacht habe, kommt jetzt zu mir zurück. Emmo glaubt, dass auch Roger Federer etwas in der Art macht." Sollte Federer bald zum Warmmachen ein Rugby-Ei werfen, würde das nicht überraschen.

© SZ vom 28.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: