Tennis:Auf dem Broadway

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Matthias Bachinger und Peter Gojowczyk erreichen bei den US Open in New York überraschend die zweite Runde. Gegen die Nummer sechs und neun der Welt ist danach zwar Schluss, für die beiden Dachauer ist es dennoch ihr bisher größter Auftritt

Von Jürgen Schmieder, New York

Die wirklich großen Theaterstücke mit den bekannten Schauspielern gibt es natürlich nur auf dem Broadway zu sehen. Wer an einer Produktion auf dieser wunderbaren Straße in New York beteiligt ist, der ist durchaus berechtigt, auch seinen Enkeln noch davon zu berichten. Die Bewohner dieser Stadt allerdings empfehlen Besuchern bisweilen, doch lieber ein Theater ein paar Straßen abseits aufzusuchen, dem so genannten Off-Broadway, weil dort die interessanteren, die spannenderen, die dramatischeren Geschichten auf die Bühne gebracht werden.

Ähnlich verhielt es sich auch am Donnerstagabend auf der Tennisanlage in Flushing Meadows: Matthias Bachinger nahm an der Mega-Produktion teil, er war einer der Protagonisten der Night Session, die nur den ganz Prominenten vorbehalten ist. Das freilich ist nicht Bachinger, sondern der Brite Andy Murray. Der ist Olympiasieger und hat dieses Turnier in New York im Jahr 2012 bereits gewonnen. Bachinger, 27 Jahre alt und in der Weltrangliste auf Platz 235 geführt, war nur der Nebendarsteller bei dieser Abendpartie, er gab vor mehr als 22 000 Zuschauern den eifrigen Sparringspartner, mehr war er bei diesem 3:6, 3:6, 4:6 nicht. Nach weniger als zwei Stunden war die Aufführung vorbei.

"Es war eine wunderbare Erfahrung für mich, in dieser Arena zu spielen, ich kann das alles noch gar nicht glauben", sagte Bachinger nach der Partie - und nach zehn skurrilen Tagen in New York. Der Dachauer hatte erst am vergangenen Dienstag während eines Spaziergangs durch die Münchner Innenstadt erfahren, dass ihn der Weltverband ATP überhaupt zur Qualifikation zugelassen hatte. Nach dem Anruf packte er seine Sachen und stieg in das nächste Flugzeug, in dem er einen Platz bekam: "Ich bin am Dienstagnachmittag angekommen und habe am Mittwoch bereits meine erste Partie absolviert." Er gewann alle drei Partien und stand plötzlich im Hauptfeld dieser US Open. Das hatte er in seiner Karriere bei Grand-Slam-Turnieren bereits vier Mal geschafft - und war vier Mal in der ersten Runde ausgeschieden.

Ein Abend zum Genießen: Die beiden Dachauer Kumpels Matthias Bachinger (auf dem Foto) und Peter Gojowczyk hatten bei den US Open einige Sternstunden. (Foto: dpa)

Nun traf er auf den Tschechen Radek Stepanek, der immerhin schon auf Platz acht der Weltrangliste geführt wurde. Bachinger zeigte eine herausragende Partie und gewann souverän in drei Sätzen mit 6:3, 6:2, 6:2. Nach dem Triumph sagte er, dass es "mein bestes Match aller Zeiten" war. Es gab wieder einen Anruf, wieder von der ATP. Die Nachricht diesmal: Night Session! Arthur Ashe Stadium! Dass er gegen Murray kaum eine Chance hatte, störte ihn nicht an diesem Abend, immer wieder lachte er, auch nach verlorenen Punkten. Insgesamt beschreibt er seine Reise nach New York so: "Es gibt schwierige Phasen in einer Karriere, da muss man hartnäckig bleiben. Das habe ich gemacht und dafür werde ich nun belohnt. Ich bin einfach glücklich, dass ich wieder hier bin."

Man muss wissen, dass Bachinger, der in der Bundesliga für Aachen spielt, schon einmal auf Rang 85 der Weltrangliste stand, aber immer wieder Rückschläge hinnehmen musste. Vor vier Jahren hatte er sich auf einem Turnier in Indien einen Virus eingefangen, später wurde Pfeiffersches Drüsenfieber diagnostiziert, das in einem Burn-Out-Syndrom endete. Mehrfach dachte er darüber nach, mit dem Tennis aufzuhören. Nun stand er auf dem Hauptplatz eines Grand-Slam-Turniers und genoss den Applaus der Zuschauer.

Das Drama, das Spektakel, das Zauberhafte war an diesem Abend jedoch nicht im Arthur Ashe Stadium zu bewundern, sondern ein paar Meter weiter - sozusagen im "Off Ashe", dem Louis Armstrong Stadium. Dort spielte ein guter Freund von Matthias Bachinger, der aus Eisenhofen im Dachauer Hinterland stammende Peter Gojowczyk. Beide kennen sich von Kindesbeinen an, trainieren viel zusammen, spielten früher gemeinsam vor den Toren Münchens für den TC Großhesselohe in der zweiten Bundesliga. Gojowczyk tritt mittlerweile für den TV Blau-Weiß Neuss in der ersten Liga an, am Donnerstagabend hatte er einen Gegner, der ihm in dieser Liga eher nicht begegnen wird: Den an Rang fünf gesetzten Kanadier Milos Raonic, Nummer sechs der Tenniswelt. Es war eine spannende, bisweilen auch hochklassige Partie: Beide servierten herausragend, sie scheuchten einander über den Platz. Sie lieferten sich skurrile Duelle am Netz, bei denen sie die Reaktion des anderen testeten und den Ball auch mal nur mit dem Schlägerrahmen übers Netz schubsten. Die knapp 10 000 Zuschauer wussten diese Vorstellung durchaus zu schätzen. Wahrscheinlich haben sich Murray und Bachinger in der großen Arena bisweilen gewundert, was denn da im Stadion nebenan los war. Gojowczyk und Raonic gewannen jeweils 20 Spiele, Raonic jedoch holte die beiden Tie Breaks, die zur Entscheidung im ersten und vierten Durchgang nötig waren: Er gewann mit 7:6, 5:7, 6:4, 7:6.

Peter Gojowczyk in Aktion. (Foto: AFP)

Gojowczyk, 25 Jahre alt, hat in dieser Saison bereits einige sehenswerte Partien gezeigt. Im Halbfinale von Doha etwa lieferte er Rafael Nadal ein spannendes Match, einige Monate später überraschte er während des Davis-Cup-Duells gegen Frankreich mit einem Fünf-Satz-Erfolg gegen Jo Wilfried Tsonga. Auch er spielte sich in der vergangenen Woche durch die Qualifikation und besiegte in der ersten Runde seinen Landsmann Benjamin Becker. So kam er zu diesem Auftritt im zweitgrößten Stadion dieser Anlage in New York - und lieferte Raonic ein packendes Duell. Dem wird ja zugetraut, in nicht allzu ferner Zukunft die Dominanz der "großen Vier" (Federer, Nadal, Djokovic, Murray) zu beenden.

Matthias Bachinger dagegen darf in vielen Jahren seinen Enkeln davon berichten, wie das war. Damals. In New York. In diesem Stadion. Gegen Andy Murray. Und dass er für seinen Zehn-Tage-Aufenthalt in New York auch noch ein Preisgeld von mehr als 60 000 Dollar bekommt, macht das Ende zu einem überaus fröhlichen. Wie es sich für eine anständige Aufführung auf dem Broadway gehört.

© SZ vom 30.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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