Tennis:Attacken am und im Netz

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Aggressiv auf dem Tennisplatz, privat ein „eher zurückhaltender Mensch“: Sarah-Rebecca Sekulic. (Foto: privat / oh)

Sarah-Rebecca Sekulic litt unter Borreliose. Noch mehr zu schaffen machen ihr Hassbotschaften in den Sozialen Medien.

Von Thomas Jensen, München

Eine Wespe hat sich unter die roten Sonnenschirme des Cafés an der Ludwigstraße verirrt. Dort attackiert sie für einige Minuten ausgerechnet den Gast, der unter den Anwesenden vermutlich die schlechtesten Erfahrungen mit Insektenstichen gemacht hat und es auch nicht gewohnt ist, derart bedrängt zu werden. Für gewöhnlich ist es Sarah-Rebecca Sekulic, die angreift.

Die Tennisspielerin ordnet sich als aggressive Spielerin ein, die den Gegner nicht entscheiden lassen möchte, welchen Verlauf das Spiel nimmt. In der Situation, ihre Gegnerinnen "systematisch laufen zu lassen", wie sie es ausdrückt, war sie allerdings schon länger nicht mehr. Denn manchmal machen Gegner, was sie wollen.

Seit Januar musste Sarah-Rebecca Sekulic pausieren, weil sie an Borreliose erkrankt war, die Infektion wird durch Insektenstiche übertragen. Ein Jahr lang hatte die gebürtige Münchnerin damit zu kämpfen, dass sie nicht wusste, was mit ihr los war: "Ich bin auch ein bisschen selbst schuld, dass ich mich nicht früher darum gekümmert habe. Ich habe nur immer gedacht, dass irgendwas nicht stimmt und wie es sein kann, dass ich ständig so müde bin." Die Müdigkeit war noch eines der harmloseren Symptome. Immer wieder hatte sie mit Gliederschmerzen und Fieber zu kämpfen, gerade zum Ende einer Turnierwoche: "Jedes Mal, wenn ich Halbfinale oder Finale gespielt hatte, war ich richtig fertig und hatte Fieber. Und habe trotzdem teilweise noch so gut gespielt."

"Diese Aufmerksamkeit mag ich eigentlich gar nicht. Das kann schon alles zu viel werden."

Im September möchte Sie jetzt endlich wieder Matchpraxis sammeln, erzählt sie, während sie ihre Apfelschorle verteidigt. Der Durst, wieder auf dem Platz zu stehen, ist der 28-Jährigen anzumerken. Aktuell steht sie auf Rang 417 der Weltrangliste; vor drei Jahren war sie schon mal 140 Plätze besser notiert. Wenn sie über ihren Spielstil oder vergangene Matches erzählt, lächelt sie: "Es gibt ein Lieblingsmatch, das kommt mir immer gleich in den Sinn. Das war so ein Tag, an dem man blind alles trifft." Die Leidtragende damals war die Kanadierin Aleksandra Wozniak, immerhin eine ehemalige Nummer 21 der Welt. 6:0 und 6:4 gewann Sekulic damals, im Juli 2017, im kanadischen Granby.

Ihr Lächeln verschwindet allerdings, wenn sie über Angriffe redet, denen sie bald wieder ausgesetzt sein wird und die außerhalb des Tennisplatzes stattfinden. Hassnachrichten über soziale Medien begleiten sie schon ihre gesamte Karriere lang: "Anfangs war ich schockiert. Wenn es dann auf einmal heißt: ,Stirb und deine ganze Familie auch'. Inzwischen versuche ich es auszublenden, es lässt mich kalt."

Ignorieren und löschen ist ihre einzige Reaktion auf derartige Nachrichten, die sich nach jedem verlorenen Match in ihren Postfächern finden. Damit geht sie den Weg, den auch die meisten anderen Profis gehen. Denn Sekulic ist nicht die einzige.

Erst vor wenigen Wochen berichteten einige deutsche Tennisspieler am Rande der German Pro Series von Hassnachrichten, die sie massenhaft erhalten. Zumeist scheinen die Botschaften von enttäuschten Wettspielern zu stammen. Zwar fordert die Internationale Tennis-Föderation die Spielerinnen auf, ihr derartige Vorkommnisse zu melden, doch erweckt der Tennisverband nicht den Anschein, konsequent dagegen vorzugehen. Das bestätigt Sekulic: "Nach einer Woche wurde mir geantwortet, ich solle das der Polizei in meiner Stadt melden. Da habe ich mir dann auch gedacht: Ja, super." Inzwischen habe sie sich damit abgefunden und rechne damit, dass es, sobald sie wieder offizielle Matches spielt, weitergeht mit den Nachrichten.

Am liebsten würde sie ihre Accounts auf Facebook und Instagram löschen. "Ich bin ein eher zurückhaltender Mensch, diese Aufmerksamkeit mag ich eigentlich gar nicht. Das kann schon alles zu viel werden." Als eher unbekannte Sportlerin benötige sie die Plattformen aber, um auf sich aufmerksam zu machen, wie sie zugibt.

Vor allem will sie allerdings durch positive Ergebnisse aufzeigen. 2017 stand sie schon einmal auf Rang 281 der Weltrangliste und möchte gerne noch weiter nach vorne: "Auf lange Sicht würde ich schon gerne unter die Top 200 kommen. Alles weitere wäre natürlich schön, aber wenn es nicht klappt, ist es auch nicht so schlimm."

Ihre Mission beginnt Ende August mit ein oder zwei Ligaspielen für Brixen in der ersten italienischen Liga. Im September möchte sie dann noch ein paar Turniere in Frankreich spielen. Zu viel Druck lädt sie sich noch nicht auf, Priorität hat erst einmal, Matchpraxis zu bekommen. Derzeit schätzt sie ihre Form bei rund 60 Prozent ihres Leistungsvermögens ein. Doch egal ob Fitness, Wespen oder frustrierte Hater: Sekulic kann jetzt wenigstens wieder selbst angreifen.

© SZ vom 20.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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