Talentiade 2019:Sprinterin mit langem Atem

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Triumphgeste bei den Deutschen Kurzbahnmeisterschaften 2018, doch schon im November 2020 ändert sich alles, als Amelie Zachenhuber ihren ersten epileptischen Anfall erleidet. (Foto: Mirko Seifert/OH)

Amelie Zachenhuber verfolgt ein großes Ziel: Olympia. Bei den Europäischen Jugendspielen darf sie bald schon mal üben.

Von Regina Bluhme, Eitting

Amelie Zachenhuber geht morgens um 6.30 Uhr aus dem Haus und kommt abends gegen 21 Uhr wieder heim. Ein langer Tag für eine 15-Jährige, doch für ihren Sport nimmt die Schülerin aus der kleinen Ortschaft Reisen im Landkreis Erding den Weg auf sich, fährt mit der S-Bahn nach München, erst in die Schule, dann zum Training.Seit Jahren steht die Schwimmerin bei Wettbewerben auf dem Siegertreppchen, zuletzt bei den deutschen Jahrgangsmeisterschaften in Berlin. Dort sicherte sie sich das Ticket für das European Youth Olympic Festival (20. bis 28. Juli) in Baku/Aserbaidschan. Dass sie Preisträgerin der SZ-Talentiade ist, "das hat mich mega gefreut", sagt sie. Nur eins tut ihr sehr leid: Sie kann den Preis nicht persönlich entgegen nehmen - am Tag der Verleihung schwimmt sie in Baku.

"Ach, ich habe mich so gefreut. Das ist echt super!" So reagiert die 15-Jährige auf die Gratulation zum Talentiade-Preis. Sicher, die Fahrerei jeden Tag koste Zeit, sagt sie. Aber sie wirkt überhaupt nicht genervt, eher entspannt. Es geht halt nicht anders: Ihr Verein, der SC Prinz Eugen, sitzt nun mal in München. Dort besucht sie im Ganztagesunterricht die 9. Klasse der Isar-Wirtschaftsschule.

"Amelie ist ein Riesentalent", sagt ihr Trainer Elvir Mangafic. Über ihre Paradestrecke 50 Meter Freistil belegt sie in der EU-weiten Bestenliste für Schwimmerinnen zwischen 14 und 17 Jahren Platz drei. Jetzt gehe es darum, die "Technik weiter zu verbessern". Wobei Zachenhubers Vielseitigkeit einzigartig ist: Sie schwimmt sowohl Freistil als auch Brust, Rücken und Schmetterling. Ein Riesentalent mit Ehrgeiz. "Das gehört ja auch dazu", sagt Mangafic. Und dann sei da noch ein ganz wichtiger Aspekt: Der Zusammenhalt bei den Zachenhubers, "eine tolle Familie".

Amelie Zachenhubers Mutter Rosemarie hat lange in der Nachbarortschaft Schwaig Kinderschwimmkurse gegeben. Sie ist auch Trainerin beim TSV Erding 1862, wo die Karriere der Tochter begann. Bereits als Baby war Amelie Zachenhuber bei den Kursen der Mutter im Warmwasserbecken des damaligen Sheraton-Hotels in Schwaig dabei. "Ich war quasi von Geburt an immer im Wasser", erinnert sie sich. Das kleine Hotel-Hallenbad sei ihr "zweites Zuhause" gewesen. Schwimmen, das sei einfach ihr Ding. Auch wenn sie nicht immer hundertprozentig fürs Training motiviert sei, "wenn ich dann im Wasser bin, dann passt alles".

Sie habe schon Turniere absolviert, bei denen sie innerhalb von zwei Tagen 23 Mal starten musste, erzählt die Schwimmerin: "Körperlich geht bei mir sehr viel." Aber natürlich sei ein Wettkampf auch "eine mentale Geschichte", und da könne sie sich voll auf ihre beiden Geschwister verlassen. Alisa, die ältere Schwester, ist bei Wettkämpfen meist dabei, trägt Brille und Handtuch zum Startplatz. "Die anderen schauen schon immer, weil ich quasi einen Bodyguard habe", sagt Amelie und lacht. "Ich finde es cool." Ihre Schwester rede ihr vor dem Start auch gut zu. Ebenso der große Bruder Simon, der auf den Tag genau vor einem Jahr sein Debüt als Profi-Boxer gegeben (und gewonnen) hat. "Er hat immer Tipps, wie man mit dem Druck umgeht", sagt Amelie Zachenhuber.

Neben ihrer Familie kümmert sich ein Managementbüro um die Belange der ambitionierten Schwimmerin. Ein Hersteller von Fertighäusern ermöglicht ihr die Teilnahme an internationalen Trainingslagern, die sonst unerschwinglich wären. Seit Kurzem hat sie auch Kontakt zu Fabian Hambüchen. Der ehemalige Kunstturner und Olympiasieger sei ein "sehr netter Typ" und könne ihr Ratschläge geben. Zum Beispiel, wie man es zu den Olympischen Spielen schafft. "Das ist natürlich das große Ziel jedes Sportlers", sagt Amelie Zachenhuber. Dem deutschen Nachwuchskader gehört sie bereits an. "Aber ich will realistisch sein: ein Schritt nach dem anderen." Jetzt will sie erst einmal beim European Youth Olympic Festival erfolgreich sein. Und sonst: "Einfach gesund bleiben und Spaß haben."

Bis zu den Wettkämpfen in Baku herrscht Alltag. Amelie Zachenhuber wird weiterhin während der Woche um 6.30 Uhr in Reisen losfahren und gegen 21 Uhr nach Hause kommen. Zum neuen Schuljahr ist Schluss damit, dann wechselt sie auf ein Sportinternat nach Nürnberg. "Das ist schon ein großer Schritt für mich, aber ich will das", erklärt die 15-Jährige. Dort, bei der Schwimmgemeinschaft Mittelfranken, der unter anderem der 1. FC Nürnberg und der TB Erlangen angehören, könne sie viel öfter trainieren. Eines steht für sie aber fest: Sie wird jedes Wochenende heimfahren. Amelie Zachenhuber hat also wieder lange Strecken vor sich. Sie wird sie gut schaffen.

Zum zehnten Mal hat die Süddeutsche Zeitung in den vergangenen Wochen herausragende Talente gesucht und Sportvereine, die sich besonders um die Nachwuchsarbeit verdient gemacht haben.

© SZ vom 12.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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