Synchronschwimmen:Kunstvoll in Kasan

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Wenn sich Marlene Bojer bis zu den Oberschenkeln aus dem Wasser schraubt, sieht das sehr elegant aus. Hinter dem Lächeln verbirgt sich knallharte Arbeit. (Foto: Claus Schunk)

Die Münchnerin Marlene Bojer ist die einzige deutsche Synchronschwimmerin bei der WM

Von Sebastian Winter, München

Marlene Bojer ist schon seit ein paar Tagen in Kasan, am Dienstag startete der Flieger via Moskau in die Millionen-Metropole an der Wolga. Sie hatte also Zeit, sich zu akklimatisieren, sich die beiden in die Fußball-Arena eingelassenen 50-Meter-Becken anzuschauen, und die 12 000 Zuschauer fassenden Tribünen drumherum. Bei der DM Ende Juni im Münchner Nordbad wurde die Synchronschwimmerin Bojer vor wenigen hundert Zuschauern Erste im Solo. Kasan bietet nun völlig andere Dimensionen. Dort finden in den nächsten zwei Wochen die Schwimm-Weltmeisterschaften statt. Und Bojer, Athletin der SG Stadtwerke München, hat ein Alleinstellungsmerkmal: Sie ist dort die einzige deutsche Synchronschwimmerin. Und während die Beckenschwimmer erst in der zweiten Woche um Medaillen kämpfen, ist Bojer sofort an der Reihe. Am Samstag kämpft sie in der Technischen Kür um den Finaleinzug, am Montag in der Freien Kür.

Bojers Chancen sind eher bescheiden, sie muss sich gegen mehr als die Hälfte ihrer Konkurrentinnen durchsetzen, um das Finale der besten Zwölf zu erreichen. Bojer ist unerfahren, es ist ihre erste WM, der weitaus größte Erfolg ihrer bisherigen Laufbahn - vor dem kürzlich errungenen DM-Sieg. Man kennt sie in internationalen Gewässern noch nicht, auch nicht die Wertungsrichter. Das kann von Vorteil sein, wenn die Juroren ein neues Talent vor Augen haben. Aber oft ist es eben auch so, dass man sich erst einmal einen Namen gemacht haben muss, um auch höchste Noten zu bekommen. Wie zum Beispiel die Topfavoritinnen Natalja Ischtschenko und Swetlana Romaschina, die beide exakt gleich viele Titel gesammelt haben: drei Olympiasiege, 16 Weltmeistertitel und neun Europameistertitel, was bei dieser WM sicher nicht schaden kann.

Sie dürften von den Wertungsrichtern weit mehr als 90 Punkte bekommen, Bojer möchte immerhin die 80-Punkte-Marke knacken, was sie bislang noch nicht geschafft hat. Doch die Schwierigkeiten sind enorm. In der Technischen Kür am Samstag müssen beispielsweise innerhalb der drei Minuten langen Darbietung sieben vorgeschriebene Elemente gezeigt werden: Zum Beispiel ein Spagat oberhalb des Wassers, der vor dem Eintauchen auch wieder geschlossen werden muss. Oder drei Schrauben ins Wasser hinein und direkt im Anschluss drei Schrauben nach oben, aus dem Wasser heraus. Um sich für ein solches Element aus dem Becken zu katapultieren (wer den Boden berührt, wird disqualifiziert), brauchen die Synchronschwimmerinnen eine mächtige Bein- und Rumpfmuskulatur. Viel Lungenvolumen sowieso, denn sie müssen unter Wasser bei hohem Puls manchmal mehr als 20 Sekunden die Luft anhalten. Bojer schafft im Streckentauchen rund 80 Meter.

Bojer schwimmt in Kasan die gleiche Kür wie bei der DM, sie hat sie ein wenig verfeinert, in ihre Armbewegungen mehr Ausdruck gebracht. Sie wird im Technischen Solo zu Wrecking Ball schwimmen, aber nicht der Version von Miley Cyrus, die sich im passenden Musikvideo recht freizügig auf einer Abrissbirne rekelt. Sondern auf ein Cover von James Arthur. Das Freie Solo präsentiert sie dann auf den Song Breath of Life von Florence + the Machine. Synchronschwimmerinnen müssen nicht nur gut turnen, tanzen, schwimmen und tauchen, sondern auch Musikliebhaberinnen sein. "Wenn mir das Lied nicht gefällt, kann ich auch keinen Ausdruck reinbringen", sagt Bojer. Bundestrainerin Doris Ramadan oder SG-Coach Barbara Liegl schneiden zuvor in stundenlanger Fitzelarbeit die Musik am Computer, dann kommt der Küraufbau, "der passiert ganz instinktiv und improvisationsmäßig", sagt Bojer.

Improvisationstalent brauchen die Münchner Synchronschwimmer, die ihre Trainingsorte in der Stadt manchmal täglich wechseln müssen. Trotzdem haben sie in den vergangenen Jahren einen Sprung nach vorne gemacht, die Trainingsumfänge sind größer geworden, und es ist auch ein Glücksfall, dass Ramadan am dortigen Stützpunkt arbeitet. Dass München in Bojer nun nach vielen Jahren wieder eine deutsche Meisterin stellt, passt zu dieser Entwicklung.

In Kasan friert sie zurzeit noch ein wenig, an die Temperaturen von etwa 20 Grad musste sie sich erst gewöhnen, als sie aus der Münchner Hitze nach Russland flog. "Zum Glück hab' ich für Doris einen Wärmemantel dabei", schrieb Bojer auf ihrer Facebook-Seite. Ihre Startnummer für Samstag ist die 23, sie kommt direkt hinter Russland an die Reihe. Bojer ist zufrieden mit dieser Auslosung, und natürlich ist sie auch ein wenig nervös: "Ich kann ich mir noch nicht vorstellen, in einem Fußballstadion zu schwimmen", sagte die Münchnerin noch kurz vor der Abreise. Andererseits kann sie völlig befreit sein, der Druck, den sie noch bei der Heim-DM spürte, lastet nicht mehr auf ihr. Platz 15, das würde sie schon freuen. Den Rückflug hat sie für kommenden Dienstag geplant - mit Option auf Umbuchung. Finaleinzug bei der WM: Es wäre der nächste Traum, der für Bojer in Erfüllung geht.

© SZ vom 25.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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