Ski alpin:Abfahrt statt Abifahrt

Lesezeit: 3 min

Gleich in ihrer ersten Europacup-Saison hat sich Kira Weidle unter den besten Speed-Fahrerinnen etabliert. Von Mittwoch an startet die 19-jährige Starnbergerin beim Saisonfinale in Andorra. Bremsen kann sie nur ihre Risikobereitschaft

Von Korbinian Eisenberger, Starnberg/München

Kira Weidle musste nicht lange überlegen. Natürlich war das Trainingslager in Hintertux wichtiger als die Abifahrt nach Spanien. Und während ihre Schulkameraden sich zum Cocktailschlürfen nach Lloret de Mar aufmachten, packte die damals 18-Jährige ihre Skier ein. Es war der Sommer 2014, und für die Starnbergerin begann die Vorbereitung auf ihre erste Europacup-Saison. "Das war meine eigene freiwillige Entscheidung", sagt Weidle. Nach einem Monat und 21 Skitagen in Neuseeland war nur noch die Frage, ob sich der ganze Aufwand lohnen würde. Jetzt, wenige Tage vor dem Saisonfinale in Andorra, könnte die Antwort eindeutiger nicht sein. Wäre da nur nicht ihr jüngster Sturz gewesen.

Wer Kira Weidle in diesen Wintermonaten die Skier anschnallen sah, der blickte meist in ein fröhliches Gesicht. Bereits bei ihrer Europacup-Premiere im österreichischen Hinterstoder raste Weidle auf Platz elf in der Abfahrt und wurde 14. im Super-G. "Wir wussten, dass Kira großes Potenzial hat", sagt ihr Trainer Simon Sengele. Dass sie sich aber in ihrer ersten Saison gleich unter den 15 besten Abfahrtsläuferinnen des Gesamtklassements etablieren sollte, sei kaum zu erwarten gewesen. Im jüngsten Fis-Super-G carvte Weidle sogar auf Rang drei. Und das, nachdem ihr kurz zuvor ein ärgerliches Missgeschick passiert war, wenige Tage vor dem Europacup-Saisonfinale an den Hängen von Soldeu und Grandvalira (18. bis 22. März).

Anfang März war es, als Kira Weidle erstmals auf die Weltelite des alpinen Nachwuchssports traf. Im Jahrgang 1996 zählt sie mittlerweile zur Weltspitze, wird als Vierte der internationalen Rangliste geführt. Und dennoch: Bei der Junioren-Weltmeisterschaft im norwegischen Hafjell, ihrer ersten WM überhaupt, zählte Weidle nicht zu den Favoritinnen. In der Abfahrt fuhr sie gleich auf den 15. Platz, ein mehr als achtbares Ergebnis. "Sie schafft es einfach immer wieder, auf den Punkt Topleistungen zu bringen", sagt ihr Trainer Sengele. Er meint damit die Speed-Disziplinen. Im Slalom tritt Weidle, wenn überhaupt, nur bei Kombinationswettbewerben an. Im Riesenslalom schied sie bei der WM aus. Und dann kam der Super-G: Weidle hatte gerade das letzte Tor passiert und raste in einem Affenzahn auf die Ziellinie zu. Dann war da diese Welle - und Weidle sah nur noch das Zielbanner.

Die Welle hob Weidle aus und katapultierte sie mehr fallend als fahrend über die Ziellinie. Auf der Anzeigetafel stand "21", und dabei blieb es auch. Doch Weidle konnte nicht lachen, sie hatte sich am Daumen verletzt. Jetzt, einen Tag vor der Superkombination von Andorra, hat sie einen weißen Verband um ihren Skidaumen gewickelt. "Das ist natürlich nicht ideal", sagt Sengele, "aber ihre Saisonziele", sagt er "die hat sie ja schon längst erreicht".

Stürze und Verletzungen hat die 18-jährige Kira Weidle einige hinter sich: "Die Geschwindigkeit hat mich einfach zu sehr fasziniert." (Foto: Gepa/Imago)

Wer Weidle vor diesem Winter in der Weltrangliste suchte, der musste weit nach hinten blättern, um sie etwa um Position 300 herum zu finden. Mittlerweile hat Weidle den Sprung auf Platz 75 in der Abfahrt und 101 im Super-G geschafft und startet als Sportsoldatin des Stützpunktes Sonthofen. "Das Ziel ist, dass sie nächstes Jahr im Weltcup dabei ist", sagt Sengele. "Wenn die Saison jetzt nicht zu Ende wäre, dann hätte sie wahrscheinlich jetzt schon ein zwei Weltcupeinsätze bekommen."

In Wintern wie diesen fahren Skisportler wie Weidle auf der Sonnenseite ihres Sports. Den Menschen, die einem im Zielhang auf die Schulter klopfen, ist dann meistens gar nicht bewusst, was dazugehört, um ins Ziel zu fahren und die Faust ballen zu dürfen. Weidle hat die Ereignisse nicht vergessen, die ihren Weg markierten, der sie zu einer der größten deutschen Nachwuchshoffnungen im alpinen Rennsport machte. "Es war nicht immer alles einfach und rosig", sagt sie. "Manchmal muss man sich ganz schön durchbeißen." Wenn sie dann erzählt, weiß man, wovon sie spricht.

Im Winter 2012, Weidle war damals 15, startete sie bei ihrem ersten Abfahrtsrennen gleich auf der berühmt-berüchtigten Kandahar-Strecke von Garmisch und kugelte sich die Schulter aus. "Das war schwierig für die Psyche", sagt sie heute, "aber die Geschwindigkeit hat mich einfach zu sehr fasziniert". Mittlerweile hat sie sich die Schulter zwei weitere Mal ausgerenkt, zuletzt im Mai 2014 - abermals auf der Kandahar. Es folgten monatelange Zwangspausen und Aufbautrainings im Kraftraum. "Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich nach Verletzungen noch stärker zurückkomme als vorher", sagt sie. Schaden kann das im Skisport kaum.

Und die verpasste Abifahrt? "Schade ist das schon", sagt sie, die Geschichten von Lloret de Mar kenne sie nur aus Erzählungen. Vielen, die dabei waren, gehe es da aber ähnlich.

© SZ vom 17.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: