Segeln:Großes Gefühlskino

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In Meister Tutzing und dem Münchner Yacht-Club, der sich in St. Petersburg qualifiziert hat, nehmen gleich zwei Teams aus der Region am Finale der Champions League teil

Von Ralf Tögel, München

Das Double? Eine feine Sache, sicher, aber "wir sind nicht der FC Bayern München". Michael Tarabochia sagt das, er rechnet sich keine großen Siegchancen in der Champions League aus, was in diesem Fall rein gar nichts mit der Münchner Fußballübermacht zu tun hat. Tarabochia ist Teammanager des Deutschen Touring Yacht-Clubs Tutzing (DTYC), seine Mannschaft ist nicht darin geschult, einen Ball mit künstlerischer Leichtigkeit ins gegnerische Tor zu befördern. Seine Auswahl ist geübt im Umgang mit den Elementen, sie beherrscht das Spiel mit Wind und Wasser. Und zwar so gut wie derzeit kein anderes deutsches Team in einem J/70-Kielboot. Und hier wäre dann doch eine Gemeinsamkeit mit den Kickern von der Säbener Straße. Denn wie der FCB ist auch der DTYC aktueller Meister, und sogar ein ganzes Stück näher an der Titelverteidigung dran.

Denn auch die Tutzinger führen das Klassement in der Bundesliga an, der Vorsprung beträgt elf Punkte, was angesichts eines verbleibenden Spieltags (27. Oktober, Hamburg) als komfortabel gelten darf. Doch der Titel muss warten, an diesem Wochenende ist erst einmal Champions League. Wie in anderen Sportarten haben auch die Segler ein europäisches Format erdacht, ungeniert abgekupfert und 2014 die Champions League ins Leben gerufen. Folglich versammeln sich die 32 besten europäischen Vereine an diesem Freitag im malerischen Städtchen Porto Cervo an der Smaragdküste Sardiniens, um bis Sonntag ihren Besten zu ermitteln. Gastgeber ist der Yacht Club Costa Smeralda, Crews aus Finnland, Italien, England, Russland, Dänemark, Schweden oder Deutschland werden versuchen, dem Königlich Norwegischen Yacht-Club den Titel abzunehmen.

Die vier deutschen Teams - neben dem Meister aus Tutzing konnten sich vor knapp vier Wochen in einer Vorrunde in St. Petersburg auch der Münchner Yacht-Club (MYC) aus Starnberg sowie der Berliner Yacht-Club und der Norddeutsche Regatta Verein für das große Finale qualifizieren - haben höchstens Außenseiterchancen. Die Starnberger, die im Vorjahr als Aufsteiger den starken fünften Platz in der Bundesliga belegten und wegen einer Absage als Nachrücker in die Qualifikation rutschten, buchten als Achte das Ticket nach Sardinien. Neben den automatisch qualifizierten Landesmeistern mit eigener Nationalliga dürfen die besten 14 Teams der Qualifikation im Finale starten.

Am vergangenen Mittwoch stiegen also Steuermann Kay Niederfahrenhorst, Basti Henning, Max Adami und Florian Grosser ins Auto, um sich Richtung Brenner aufzumachen. "Für uns ist das ein tolles Goodie obendrauf", erklärt MYC-Sportwart Dieter Henning, entsprechend entspannt geht die Starnberger Crew das Unterfangen an. International hat die Mannschaft keine Erfahrung, so Henning, "für uns ist das großes Kino". Die Besetzung jedenfalls ist bis auf Fabian Wunderle, für den Grosser nominiert wurde, identisch mit der des jüngsten Bundesliga-Spieltages. Die Erwartungen sind angesichts der Konkurrenz dennoch niedrig: "Für uns ist der olympische Gedanke gefragt", sagt Henning.

Ähnlich sieht man das im Lager des deutschen Meisters. "Zunächst ist es eine große Ehre, die Bundesliga zu vertreten", stellt Teammanager Tarabochia klar, doch allein der Blick auf die Aufstellung verrät, dass die nationale Meisterschaft im Fokus ist. Wie in der Bundesliga kann man zwar per Livestream auch in Porto Cervo ganz nah dabei sein, doch "die Bundesliga hat eine ganz andere Resonanz, das ist das Brot in der Suppe", sagt Tarabochia. Im Gegensatz zu den Konkurrenten aus Starnberg wird in Luis Tarabochia nur ein Mitglied der ersten Besetzung im Boot sitzen, so erhalten Steuermann Max Weiß, Jonas Vogt und Laura Fischer die Gelegenheit, internationale Erfahrung zu sammeln, allesamt Könner ihres Fachs, wie der Teammanager betont. Angesichts des engen Terminplans sei es auch mal angebracht, den Bundesliga-Stammkräften eine Pause zu gönnen. "Die müssen alle Studium, Beruf und privates Umfeld koordinieren", sagt Tarabochia, denn: "Wir sind alles blutige Amateure." Was für den Großteil der Gegner nicht gilt.

Der Titelverteidiger aus Norwegen etwa hat eine Profi-Crew am Start, dänische und russische Boote gehen ebenfalls mit Seglern ins Rennen, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen. "Das sind Profis mit 200 Wassertagen pro Jahr", erklärt Tarabochia, sein Personal komme dagegen "auf 30 bis 60 Segeltage". Der Tutzinger Teammanager schätzt auch die Italiener stark ein, schon weil "die ganz anders vorbereitet an den Start gehen werden". Denn sowohl der DTYC als auch der MYC reisen erst zum Rennen und ohne Trainer oder Begleitpersonal an, "eine finanzielle Frage", erklären die Manager unisono.

Da ist er wieder, der Unterschied zum Fußball: Man stelle sich vor, die Bayern-Kicker führen aus Kostengründen ohne Entourage zum Champions-League-Finale.

© SZ vom 23.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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