Schießen:Die zwei Waffen einer Frau

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"Ich hadere seit einem Jahr mit dem Luftgewehr“, sagt Prittlbachs Isabella Straub. (Foto: Claus Schunk)

Isabella Straub hat mit dem Luftgewehr eine durchwachsene Bundesliga-Saison erlebt. Nun geht es um ihr Olympia-Ticket nach Tokio. Ihre Kleinkaliber-Leistungen lassen sie hoffen.

Von Andreas Liebmann, Hebertshausen

Fast alle sahen ihr zu. Wie sie konzentriert ihren Rhythmus hielt, ohne hektisch zu werden. Dabei wusste sie, dass ihr Gegner längst fertig war; dass er im Eiltempo so viele Punkte vorgelegt hatte, dass sie nun selbst mit jedem ihrer verbleibenden 14 Schüsse unbedingt die Zehn treffen musste; und dass es allein ihr Duell sein würde, das am Ende über Sieg oder Niederlage entscheiden würde in diesem vorletzten Bundesliga-Wettkampf der Saison - und damit auch darüber, ob die Luftgewehrschützen von Germania Prittlbach den Klassenerhalt feiern könnten oder tags darauf noch einen allerletzten Krimi um den Ligaverbleib vor sich hätten. "Das wollten wir natürlich unbedingt vermeiden", sagte Manager Sven Körper.

Isabella Straub kennt solche gewaltigen Drucksituationen. Seit Jahren ist die WM-Zweite von 2018 eine der großen Konstanten im Bundesliga-Team der Prittlbacher - doch diesmal war es gar nicht sie, auf die alle Augen gerichtet waren. Die Zuschauer, aber auch die meisten der anderen Schützen, ob sie mit ihren Duellen nun schon fertig waren oder nicht, blickten hinüber zur Paarung fünf, zu Anna-Lena Geuther. Ein Fehlschuss, und sie könnte höchstens noch gleichziehen. Zwei, und es wäre aus.

Fast zwei Wochen ist das nun her. Geuther, die 23-jährige Perspektivkaderathletin aus Unterschleißheim, reihte Zehn an Zehn. Oft waren es hauchdünne Treffer, mal eine Winzigkeit zu hoch, mal etwas tief, mal links, mal rechts. "Es war ein bisschen dramatisch", sagte Körper, "aber sie war unbeirrt, sie hat sich nie umgeblickt und alles richtig gemacht". Bis sie ihre 394 Ringe erreicht hatte. Lorenz Gluth, ihr Gegner von der SG Coburg, hatte 393 vorgelegt. Damit konnte Prittlbach am Abend den Klassenerhalt feiern, es stand 3:2. Der ehemalige deutsche Meister Coburg musste am Tag darauf ein weiteres Mal zittern, ehe auch für ihn der Ligaverbleib feststand. Es erwischte letztlich Petersaurach als zweiten Absteiger, mit dem Körper entsprechend mitlitt. "Petersaurach hat auch keine Katastrophensaison geschossen, da kann ich mich gut reinversetzen. Wir hätten selbst in diese Lage geraten können."

Straub selbst hat den ersten deutschen Quotenplatz erobert, 2018 bei der WM in Südkorea

Anna-Lena Geuther habe "die Saison gerettet", resümiert Körper nun, für ihr Team, aber auch für sich selbst. Die Runde sei auch für sie nicht wunschgemäß verlaufen, sie war nur in den letzten fünf Wettkämpfen zum Einsatz gekommen. Wie die beiden Österreicher Martin Strempfl und Rebecca Köck war sie in der Liga zunächst wegen der Militär-WM ausgefallen - und dann weiter, weil dort ihre Ausrüstung verloren gegangen war. "Ich wusste natürlich, um was es geht", sagte sie später, "aber irgendwie konnte ich die Schüsse alle in die Zehn zwingen." Trainerin Bettina Pfeffermann lobte: "Das war eine mentale Willensleistung erster Güte. Man kann im Schießen eigentlich nichts erzwingen, aber in dieser Situation hat man in der Halle gespürt, dass das klappen muss, weil Anna-Lena schon mit ihrer Körpersprache keinen Zweifel zugelassen hat." Strempfl und Julia Bauer holten die anderen Punkte zum Sieg.

Und Isabella Straub? Verlor ihr Duell mit 388 Ringen deutlich. Es war ihre schlechteste Saisonleistung, mit Abstand. Für eine wie sie, die auch mal die 400 schafft, ist das eine Punktzahl, die eher danach klingt, als hätte sie es mit einer Schrotflinte probiert, mit einem Gewehr von der Schießbude vielleicht, mit verbogenem Lauf und schiefem Visier. "Isabella hatte einfach mal einen gebrauchten Tag", hakte Trainerin Marion Wolinski den Auftritt ab.

Doch gar so einfach ist das nicht. Auch für Straub ist die Sache zurzeit ein ganz kleines bisschen dramatisch. Tokio steht an, die Olympischen Spiele. Es wären ihre ersten. Sie selbst hat im Dreistellungskampf 3×40 mit dem Kleinkalibergewehr den deutschen Quotenplatz herausgeholt, 2018 bei der Weltmeisterschaft in Changwon, Südkorea, als sie mit zwei Silbermedaillen im Einzel sowie zweimal Gold und einmal Bronze in den Teamdisziplinen die beste Deutsche war. Doch das heißt keineswegs, dass die 28-Jährige aus Kirchseeon (Landkreis Ebersberg) diesen Platz nun auch einnehmen darf. Es wird Ausscheidungswettkämpfe geben.

Prittlbach sucht einen dritten Ausländer für seinen Kader. In München gibt es ein Schaulaufen

Straubs Teamkollegen Strempfl geht es ähnlich, er hat für Österreich einen Quotenplatz erobert und muss sich nun ebenfalls nationaler Konkurrenz erwehren. Straub jedenfalls muss ihre Ligaleistungen nun schnell vergessen. "Es ist schade, dass das im Moment so ist", findet Manager Körper, in all den Jahren zuvor sei sie überaus konstant gewesen. "Ich glaube, man sieht, dass sie extrem viel geschossen hat, dass etwas geistige Frische fehlt." Diese 388 Ringe seien schlimm gewesen, "man will da eingreifen, helfen, aber kann nichts machen. Alle mussten mitleiden".

Isabella Straub klingt dennoch zuversichtlich. Für die Europameisterschaft in Breslau Ende Februar ist sie nicht nominiert worden, das sei schon eine Enttäuschung, sagt sie, aber auch verständlich. Andere seien besser in Form. Doch sie nimmt da ein paar Differenzierungen vor. "Ich hadere seit einem Jahr mit dem Luftgewehr", erklärt sie, "es gab ein paar Höhen, aber viele Rückschläge." Doch erstens sei die Liga kein ganz so interessanter Maßstab, weil dort auf ganze Ringe geschossen werde und nicht auf Zehntel wie international, und zweitens laufe es mit dem Kleinkalibergewehr ungleich besser. Natürlich fände sie es "extrem schade", wenn das von ihr eroberte Olympia-Ticket am Ende nicht auf ihren Namen lauten würde, "aber man muss schon auch sehen: Das ist jetzt zwei Jahre her". Und bald werde sich herausstellen, wer aktuell am besten in Form ist.

Für die olympischen Wettkämpfe mit dem Luftgewehr sind noch bis zu fünf Quotenplätze zu ergattern, die ersten beiden während der EM. "Sehr sehr viele Wenns" sieht der komplizierte Modus vor. Falls es hier am Ende gar keinen deutschen Quotenplatz geben sollte, dann werde sie ihr Luftgewehr wohl mal eine Zeit lang in die Ecke stellen und sich auf die Weltcupsaison mit dem Kleinkaliber konzentrieren.

Zuvor wird sie von diesem Freitag an beim renommierten H&N-Cup in München antreten. Für Straub ist es der Auftakt in die internationale Saison. Für die Prittlbacher und viele andere Vereine ist es auch ein prima Schaulaufen internationaler Schützen, die man womöglich verpflichten könnte. Manager Körper schwebt ein dritter Ausländer im Kader vor, möglichst nicht aus Österreich. Damit nicht alle zugleich wegen gemeinsamer Verpflichtungen ausfallen, wie es in dieser Saison der Fall war. Und damit es nicht erneut gegen den Abstieg geht.

© SZ vom 24.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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