Radsport:Schockgefrorene Gesichter

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Der Vierer des RSV Steinhöring bietet vor großem Publikum in Stuttgart eine ansprechende Leistung. Doch die Konkurrenz aus der Schweiz ist stärker. (Foto: Wilfried Schwarz)

Steinhörings Kunstrad-Vierer fährt fast fehlerlos, dennoch verpasst er bei der Heim-WM in Stuttgart die Titelverteidigung

Von Philipp Jakob, Steinhöring

Mal wieder hatten es Katharina Gülich, Ramona Strassner, Ramona Ressel und Christine Posch geschafft. Nach einer fünfminütigen, fast fehlerlosen Kür verließ der Kunstrad-Vierer des RSV Steinhöring das Parkett der Hallenradsport-Weltmeisterschaft in Stuttgart. Die vier jungen Frauen steuerten geradewegs auf die Sieger-Couch zu, um von dort aus das letzte Quartett des Abends zu beobachten. Der Weltmeistertitel - es sollte der sechste in den vergangenen sieben Jahren werden - war zum Greifen nah. Weitere fünf Minuten später, die Schweizerinnen stiegen gerade von ihren Rädern, hatten die vier Frauen aus dem Landkreis Ebersberg die Sieger-Couch wieder verlassen. Mit schockgefrorenen Gesichtern standen sie nun da - und konnten sich über ihren zweiten Rang zunächst gar nicht freuen.

"Die Enttäuschung war natürlich groß, wir wollten auf jeden Fall die Titelverteidigung", sagte Gülich, nachdem alles vorbei war und sich die Schweizerinnen mit der Goldmedaille um den Hals von den zahlreichen Fans feiern ließen. Im vergangenen Jahr, bei der Weltmeisterschaft in Malaysia, sah das Bild noch anders aus. Damals gewannen Gülich und ihre Kolleginnen vor der Schweiz und untermauerten mit dem insgesamt siebten WM-Triumph die Dominanz des RSV Steinhöring im Vierer-Kunstradfahren. Kein Wunder, dass das Quartett bei der Heim-WM in Stuttgart als Favorit galt - allerdings in einer neuen Formation.

Gülich, Strassner, Ressel und Posch sind zwar allesamt ehemalige Weltmeisterinnen, in dieser Kombination fahren sie aber erst seit April. Die Abstimmung passte nicht immer perfekt, gerade in der Qualifikation am Freitagmorgen leistete sich der RSV einige Unsicherheiten. Am späten Abend war das aber kein Problem mehr. "Mit dem Finale waren wir dann zufrieden", bilanzierte Gülich, "wir wussten, dass die Jury bei der WM strenger ist, von daher waren wir glücklich mit dem Ergebnis." Am Ende notierten die Juroren 216,35 Punkte für Steinhöring, das genügte vorerst für den ersten Platz, mit deutlichem Vorsprung vor der Slowakei (180,78), die ebenfalls von Steinhörings Trainerin Irmtraut Wirth betreut wird, und vor Österreich (164,46). Dann kamen allerdings die Schweizerinnen, seit Jahren die größten Konkurrentinnen des RSV und Inhaberinnen des aktuellen Weltrekords. "Man sitzt da und hofft, dass noch irgendwas passiert", beschreibt Gülich ihre Gefühle auf der Couch.

Doch es passierte nichts. Céline Burlet, Flavia Zuber sowie Melanie und Jennifer Schmid leisteten sich keine Patzer und gewannen mit 222,24 Punkten. Der Traum von der Titelverteidigung war geplatzt, die Enttäuschung im Lager des RSV riesig. Gut hundert Fans waren in Bussen und Pkw aus dem Osten Münchens angereist, insgesamt kamen laut Veranstalter an den drei Tagen rund 18 000 Zuschauer in die Stuttgarter Arena. "Die Stimmung war bombastisch", fand Gülich, "die Halle war voll, die Leute sind mitgegangen." Und auch die Unterstützung aus der Heimat blieb nicht unbemerkt. "Wir haben uns riesig gefreut, dass alle da waren", versicherte Gülich.

Ganz unglücklich sind die vier Frauen mit der Silbermedaille offensichtlich auch nicht. Spätestens auf der Ehrenrunde kehrte das Lächeln in die Gesichter der Steinhöringerinnen zurück. Außerdem: Nächstes Jahr steht schon die nächste Weltmeisterschaft an, in Dornbirn, Österreich. Folgt dann die Revanche? "Wir müssen jetzt erst einmal die Saison Revue passieren lassen", sagt Gülich. Wie es mit der Formation weitergeht, könne sie noch nicht sagen. "Mir macht es immer noch Spaß, ich würde gerne weitermachen." Die Sieger-Couch ist einfach zu verlockend.

© SZ vom 06.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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