Radsport:Ein Traum in Gold und Pink

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Gudrun Stock hält den deutschen Rekord in der Einerverfolgung. International fahren die Bahnrad-Frauen aber hinterher. Für die 22-Jährige Münchnerin eine Folge fehlender Chancengleichheit.

Von Sebastian Leisgang, München

Die Geschichte mit dem rosaroten Lamborghini hat Gudrun Stock schon einmal erzählt. Etwa ein Jahr ist seitdem vergangen; der grellfarbigen Karosse ihrer Träume ist sie inzwischen aber nicht bedeutend nähergekommen. "Vielleicht liegt es am fehlenden Geld", mutmaßt Stock, lacht - und fügt dann an: "Vielleicht aber auch an der Farbe. Ich habe in meinem Leben noch keinen pinken Lamborghini gesehen."

Vielleicht meint es Stock gar nicht ernst mit dem Sportwagen, den sie in Jugendtagen bewundert hat, als sie mit ihren drei Brüdern im Fernsehen The Fast and the Furious sah und kurzerhand beschloss, sich genau so einen Luxus-Boliden zuzulegen, sollte sie sich je einen leisten können. Zumindest in ihrem Kern legt diese Anekdote aber auch ein veritables Problem offen, mit dem sich Stock, 22, zu Beginn ihrer noch jungen Karriere herumschlagen musste.

Bis vor rund vier Jahren fuhr die gebürtige Deggendorferin in ihrer Freizeit gerne Bahnrad. "Es war mein Hobby", sagt Stock. Jetzt ist es ihr Beruf. Allerdings einer, der ihr nicht gerade ein Schwimmbecken voll Geld beschert. Stock ist Radrennfahrerin. Kein Beruf, mit dem sie, fernab von Lamborghinis welcher Farbe auch immer, ihren Lebensunterhalt bestreiten könnte - wäre da nicht das Militär.

Stock ist Sportsoldatin. Einmal im Jahr muss sie einen Lehrgang meistern und die Bundeswehr laufend mit ihren Trainingsplänen versorgen. "Sonst", erklärt Stock, "bin ich aber nicht gebunden." Im Gegenzug wird sie finanziell unterstützt, um ihrer Leidenschaft, dem Bahnradsport, professionell nachgehen zu können. "Ohne die Bundeswehr würde ich heute nicht mehr Radfahren", gesteht sie.

Schnell, aber nicht furios: Gudrun Stock im April bei der WM in Hong Kong in der Mannschaftsverfolgung mit Tatjana Paller, Charlotte Becker und Franziska Brausse. (Foto: Richard Wareham/imago)

Nun aber zählt Stock zu den erfolgreichsten Athletinnen des Landes. Anfang Juni errang die Fahrerin des RC Die Schwalben München bei den deutschen Bahnmeisterschaften in Frankfurt/Oder mit ihrer Teamkollegin Paulina Klimsa eine Bronzemedaille im Olympischen Sprint, dazu Silber im Scratch sowie zwei Goldmedaillen - in der 3000-Meter-Einer- sowie in der Mannschaftsverfolgung. Bei der jüngsten Weltmeisterschaft im April in Hongkong verbesserte sie in der Einerverfolgung gar den 19 Jahre alten deutschen Rekord von Judith Arndt auf 3:34,325 Minuten (und steigerte diesen bei den deutschen Meisterschaften sogar noch einmal auf 3:33,687 Minuten), belegte aber nur Rang neun. Das belegte einmal mehr: In den Ausdauerdisziplinen fahren die deutschen Bahnrad-Frauen der Weltspitze hinterher. Eine neue Erkenntnis ist das nicht. Stock seufzt: "Wir sind in ganz Deutschland zerstreut und können nicht zusammen trainieren." So lege die eine Athletin den Fokus auf Einheiten auf der Straße, die andere auf die Bahn. "Da kommen wir auf keinen Nenner."

Ein Profiteam - wie bei den Männern - könnte die Lösung sein. Stock würde das begrüßen. "Das wäre optimal", sagt sie, "wir hätten dieselbe Vorbereitung, würden dieselben Rennen fahren und wären viel eingespielter." Allerdings ist das Thema schon seit Jahren auf dem Tisch - und eine Lösung nicht in Sicht.

"Natürlich würde ich mir mehr Aufmerksamkeit für meinen Sport wünschen", sagt Gudrun Stock. Ihr nächstes Ziel: die Europameisterschaften im Oktober in Berlin. (Foto: imago/VIADATA)

Teil des Problems ist: Bahnradsport ist in Deutschland nicht gerade populär. "Die Leute kennen vielleicht noch die Sprinter mit den dicken Oberschenkeln, aber Bahnrad? Damit können viele nichts anfangen", sagt Stock und ergänzt: "Natürlich würde ich mir mehr Aufmerksamkeit für meinen Sport wünschen." Vom 19. bis 22. Oktober, so viel ist gewiss, wird ihr diese zuteil werden. Dann findet in Berlin die Bahn-Europameisterschaft statt. Schon jetzt ist die Vorfreude in Stocks Stimme zu hören, wenn sie sagt: "Es wird etwas Besonders, vor heimischem Publikum zu fahren." Zu was sie auf der Bahn imstande sein wird, ist derzeit aber noch nicht absehbar, denn die Bundeswehr erschwert ihr die Vorbereitung: Sie muss einen Feldwebellehrgang durchlaufen. "Da habe ich viel Unterricht und bin zu Übungen im Wald. Das wird mich schon einschränken. Ich weiß nicht, wie viel Zeit und Kraft da für Training bleibt."

Besser einzuschätzen sind da schon Stocks Aussichten, sich ihren Kindheitstraum zu erfüllen: eine Goldmedaille bei Olympia in der Mannschaftsverfolgung, ihrer Paradedisziplin. "Jeder Sportler träumt davon", sagt Stock, bleibt aber realistisch. Sie weiß: "Die Konkurrenz fährt in anderen Sphären." Das haben die Sommerspiele vor einem Jahr in Rio de Janeiro belegt. Allein die Teilnahme sei der größte Erfolg ihrer noch jungen Karriere gewesen, meint Stock. Am Ende aber stand Rang neun auf der Tafel - in einem Feld mit neun Teilnehmern.

2020 in Tokio will Stock erneut mitmischen, doch sie ahnt bereits: Eine Goldmedaille dürfte ein Traum bleiben. Ebenso wie der pinkfarbene Lamborghini.

© SZ vom 07.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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