Olympische Spiele:Besser als Österreich

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Dass die Bilanz der Deutschen in Rio de Janeiro letztlich recht ordentlich ausfällt, liegt auch an den Athleten aus München und Umgebung. Den Regioniken bleiben darüber hinaus einmalige Eindrücke und Erlebnisse

Dabeisein ist alles? Oder doch eher: schneller, höher, stärker? Was bleibt denn nun von den Olympischen Spielen in Rio aus Sicht der Teilnehmer aus der Region? Natürlich in erster Linie das Erlebnis, ein einmaliges nämlich, Eindrücke, die ein Leben lang bleiben. Und auch große Erfolge, denn würde die Region München im Medaillenspiegel vertreten sein, läge sie auf Platz 39, bei 206 teilnehmenden Nationen. Nicht schlecht, München war also besser als beispielsweise Tschechien, die Türkei, Weißrussland, Mexiko, Äthiopien - ach ja, und Österreich.

Himmlisches Ende

Die große Innensichel. Tobias Englmaiers olympischer Traum endete mit einer Technik, die wie ein Sternenbild klingt. Einen kurzen Moment hatte der Großhadener Judoka gegen den Brasilianer Felipe Kitadai nicht aufgepasst und das Achtelfinale bis 60 Kilogramm war verloren. Eigentlich hatte er nichts zu verlieren, beteuerte Englmaier noch vor den Spielen. Denn er war lange in diesem Jahr verletzt, sein Start fraglich. Am Ende reichte es für den 28-Jährigen zur Teilnahme. Obwohl er sich im Vorfeld selbst keinen Druck machen wollte, war Englmaier dann doch enttäuscht, dass er bereits nach seinem zweiten Kampf die olympische Bühne verlassen musste: "Es wäre mehr drin gewesen."

Schützin Barbara Engleder. (Foto: imago/Chai v.d. Laage)

Gold, zefix!

Es ist nicht anzunehmen, dass ein sportinteressierter Mensch, sagen wir mal von der Insel Sylt, so ganz genau verstanden hat, was Barbara Engleder so von sich gegeben hat. Denn die gab sich nicht viel Mühe, dass sie auch von einem sportinteressierter Menschen, sagen wir mal von der Insel Sylt, auch verstanden wird. Die 34-Jährige pflegt nämlich einen krachenden niederbayerischen Dialekt. Egal, dass sie eine außergewöhnliche Leistung gezeigt hat, das hat jeder verstanden, als die Goldmedaille nach ihrem Sieg im Kleinkaliber-Dreistellungskampf an ihrem Hals baumelte - bei ihrer vierten Olympia-Teilnahme. Teamkollegin Selina Gschwandtner, 22, wurde mit dem Luftgewehr 13., ein gutes Ergebnis, es waren ihre ersten Spiele.

Einfach leer

Ein Gespür für Geschwindigkeiten ist für eine Radrennfahrerin unabdingbar. "Vor drei Tagen", sagte Claudia Lichtenberg vom BCF Wolfratshausen nach dem olympischen Straßenrennen der Frauen enttäuscht, "bin ich den Berg noch doppelt so schnell hochgefahren. Die 30-jährige Münchnerin war als deutsche Medaillenhoffnung nach Brasilien gereist und mit sechseinhalb Minuten Rückstand auf Siegerin Anna van der Breggen (Niederlande) ins Ziel gekommen. "Mein Körper war leer", erklärte sie die Folgen des Durchfalls zwei Nächte zuvor. "Das ganze Rennen war für mich eine einzige Quälerei." Immerhin erging es Lichtenberg nicht wie Teamkollegin Romy Kasper, die bei der Inventur nach dem anstrengenden Rennen feststellte: "Meine Beine sind nicht mehr da".

Alles gegeben: Turner Marcel Ngyen. (Foto: Getty)

Schatten-Turnen

Noch vor vier Jahren in London hatte Marcel Nguyen, 28, allen Teamkollegen die Show gestohlen mit seinen beiden Silbermedaillen. Eine im Turn-Mehrkampf, wo Deutsche gefühlt seit Turnvater Jahns Zeiten nichts mehr gerissen hatten. Diesmal jedoch stand er im Schatten. Vom "Hero de Janeiro", wie Teamkollege Andreas Toba von der Boulevardpresse getauft wurde, weil er trotz Kreuzbandrisses in der Qualifikation noch aufs Pauschenpferd kletterte, um seinen Kameraden die Teilnahme am Mannschaftsfinale zu sichern. Und bei der Vergabe der Plaketten musste Nguyen nach einer langen Verletzungsserie in den vergangenen Jahren Fabian Hambüchen den Vortritt lassen, der seine Karriere mit Gold am Reck krönte. Nguyens Hachinger Vereinskollege Lukas Dauser, 23, nutzte seine ersten Spiele zum Reinschnuppern. Am Barren, dem Spezialgerät der beiden, verpassten beide das Finale.

Bedröppelt im Wasser

Alexandra Wenk und Florian Vogel hatten sich so viel vorgenommen in Rio. Die beiden Top-Schwimmer der SG Stadtwerke München wollten auf ihren Strecken jeweils das Finale erreichen, Wenk sprach vor den Spielen gar von einer Medaille. Und dann? Lief Wenk nach ihrem Vorlauf-Aus über 100 Meter Schmetterling weinend durch die Mixed-Zone, als 22. hatte sie schlechter abgeschnitten als 2012 in London. Die Schelte vom Bundestrainer folgte prompt, Wenk hatte zwei Stunden Mittagsschlaf gehalten statt der von Henning Lambertz gewünschten 30 Minuten. Ihrem Klubkollegen Florian Vogel ging es nicht viel besser, ihm fehlten sechs Hundertstel Sekunden zum Finale. "Wir waren alle bedröppelt", sagte Wenk. Bis auf Philipp Wolf. Der dritte Münchner SG-Starter schwamm die schnellste Zeit in der deutschen 4×100-Meter-Freistil-Staffel. Doch auch Wolf durfte sich am Ende nicht wirklich freuen, auch die Männer um Steffen Deibler scheiterten im Vorlauf.

Fünfkämpfer Patrick Dogue. (Foto: Getty Images)

Tote Hunde und eine Protestflut

Sie hatten einige Hindernisse zu umschiffen, die Segler Ferdinand Gerz aus München und sein Vorschoter Oliver Szymanski (Kiel). Erst galt es im Training Unrat bis hin zu Möbelstücken oder gar toten Hunden im verseuchten Wasser aus dem Weg zu segeln, dann brach zweimal das Ruder an ihrer 470er-Jolle, und schließlich wurde ihr zehnter Platz nach einer wahren Flut an Protesten der Konkurrenten in den elften umgewandelt. Damit hatten Gerz/Szymanski das Medal Race verpasst und waren vorzeitig aus dem Wettbewerb. Immerhin: Beide Segler traten die Heimreise ohne jeden körperlichen Schaden an.

Wo ist die Medaille?

Am vergangenen Freitag hat der Münchner SC auf seiner Facebook-Seite ein neues Bild eingestellt. Es zeigt Hannah Krüger, Hockey-Nationalspielerin. Sie reckt eine große Deutschland-Fahne nach oben, um den Hals kringeln sich schwarze, rote, gelbe Luftschlagen. Das entscheidende Detail, die Bronzemedaille, ist nicht zu sehen, aber Krügers Strahlen spricht ohnehin für sich. Vor Beginn der Spiele hatte sie gehofft, "dass es eines meiner besten Turniere wird". Die Hoffnung hat sich erfüllt, trotz der bitteren Halbfinalniederlage gegen die Niederlande: 3:4 nach Penaltyschießen. Denn das Spiel um Platz drei gewann die deutsche Auswahl 2:1 gegen Neuseeland. Und Krüger hatte das erste Tor mit einem klugen Zuspiel eingeleitet.

800-Meter-Läuferin Christina Hering. (Foto: Getty Images)

Golden Girls

Als Goldmädchen sind Melanie Behringer, Sara Däbritz, Leonie Maier und Melanie Leupolz nach München zurückgekehrt, mit im Gepäck die Goldmedaille für die im Turnier verletzte und deshalb vorzeitig abgereiste Simone Laudehr. Die fünf Fußballerinnen vom deutschen Meister FC Bayern gehörten zu den prägenden Spielerinnen im deutschen Team, deren technisch wie taktisch exzellentes Spiel das deutsche Mannschaftsgefüge zusammenhielt. Künftig müssen ihre Kolleginnen aber ohne Behringer zum DFB reisen: Die 30-Jährige, die mit dem Olympiasieg ihren Titelsatz komplettierte und mit fünf Treffern auch Torjägerin des Turniers wurde, will sich künftig auf den Verein konzentrieren.

Sichtprobleme

"Ausgerechnet das Schießen", ärgerte sich Patrick Dogue. Vielleicht hat er die Phrase "eine Medaille vor Augen" zu wörtlich genommen. Denn beim abschließenden Combined, einer Mischung aus Schießen und Laufen, fehlte ihm der Durchblick. 12 Fehlschüsse, Medaille perdu. Dogue kam bei einem Fünfkampf-Weltcup erst einmal auf das Podest, bei der WM im Mai nur auf Rang 32. In Rio aber schien der 24-Jährige über sich hinaus zu wachsen: Nach für seine Verhältnisse überdurchschnittlichen Leistungen beim Fechten, Schwimmen und Springreiten ging er als Vierter in die abschließende Disziplinen-Kombination, die eigentlich zu Dogues Stärken zählt. Doch die unerwartete Aussicht auf Edelmetall hemmte den olympischen Debütanten, der als Sechster des Abschluss-Klassements aber kein Trübsal blasen wollte: "Ich kann nicht meckern, habe einen richtig guten Wettkampf gemacht."

Guter Blick

Ja, es gibt Bilder von Sabine Winter in Rio. Wie sie an der Tischtennisplatte steht. Wie sie den Ball abwehrt, schmettert. Aber es sind eben Bilder vom Training - im Wettkampf der deutschen Frauen, die Mannschafts-Silber gewannen, fehlte die Ersatzspielerin. Wie schon in London 2012. Winter, die Europameisterin, die vor ihrem Wechsel nach Kolbermoor für Schwabhausen spielte, sah sich den Wettkampf von der Tribüne aus an - weil ihre Teamkolleginnen einfach stärker waren. Winter ist 23, aller guten Dinge sind drei. In Tokio wäre sie dann aber auch wirklich gerne dabei. Nicht nur als Sparringspartnerin.

Appetithappen

Eingehüllt in einen durchsichtigen Regenmantel und strahlend bis über beide Ohren verabschiedete sich 800-Meter-Läuferin Christina Hering (LG Stadtwerke München) auf einem während der Abschlussfeier aufgenommenen Foto bei Facebook von den Spielen. "Zwei unvergessliche Wochen" seien das gewesen, schreibt die 21-jährige Münchnerin dort über ihre Olympia-Premiere. Und das, obwohl sie ihr sportliches Ziel, den Einzug ins Halbfinale, verpasste. Macht scheinbar nichts: Rio hätte "definitiv Lust auf mehr" gemacht: auf Wiedersehen in Tokio.

© SZ vom 24.08.2016 / stein, alau, toe, swi, stga, sewi - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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