Nachwuchsfußball:Karriere-Sprünge

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Um möglichst hochklassig zu spielen, wechseln junge Fußballer immer häufiger den Verein

Von Christoph Leischwitz, Ismaning

Harry Lutz hat dann von anderen erfahren, dass Marcel Nirschl den Verein verlassen hat. "Das verlief kommentarlos", sagt der A-Junioren-Fußballtrainer des FC Ismaning. Es hatte damals großes Aufsehen erregt, als Nirschl vom SC Fürstenfeldbruck zum FC Ismaning kam. Wegen eines Schreibfehlers im Passantrag - im Nachnamen hatte das "r" gefehlt - wurden seinem neuen Team 23 Punkte abgezogen, Nirschl selbst wurde mehrere Monate lang gesperrt. Vor anderthalb Jahren war das.

Im vergangenen Herbst zog Nirschl, der übrigens in München wohnt, weiter zum FC Deisenhofen. Dass er deshalb auch erst einmal wieder gesperrt war, nahm er billigend in Kauf. Deisenhofens U19 spielt in der Bayernliga, Ismaning nur in der Bezirksoberliga. "Es geht darum, höherklassiger zu spielen", sagt Nirschl. Das sei auch für viele seiner Freunde das wichtigste Ziel. Nirschl ist gerade 19 geworden, es gehe nun auch darum, "sich für die ersten Mannschaften vorzubereiten und zu empfehlen". Nicht unbedingt nur für jene in Deisenhofen, er sei da offen, sagt Nirschl.

Das ist nur ein Beispiel von insgesamt 30 815 Fällen. So viele Vereinswechsel gab es nämlich im vergangenen Jahr in Bayern, allein im männlichen Juniorenbereich. Die Zahl ist in den vergangenen zehn Jahren um durchschnittlich 3,5 Prozent gestiegen. Die Statistiken belegen, dass einerseits immer mehr Jugendliche Fußball spielen - im WM-Jahr 2014 stieg die Zahl der Neuanmeldungen im Vergleich zum Vorjahr sogar um 12,6 Prozent -, andererseits die Vereinsbindung immer geringer wird. Ganz besonders bekommen das die Trainer der U19-Teams zu spüren. Denn in der Praxis finden Neuanmeldungen und Wechsel ja in völlig unterschiedlichen Altersklassen statt. "Bei den Kleinsten können wir gar nicht alle aufnehmen, die neu zu uns kommen wollen", sagt zum Beispiel Konrad Kirschberger, Jugend-Abteilungsleiter beim TSV 1865 Dachau. Doch Kirschberger ist zugleich Trainer der U19. Und dort sind zur aktuellen Saison zwölf neue Spieler hinzugekommen - zwei aus dem Ausland, und zehn von anderen Vereinen. Die Begründung, die er am häufigsten hört: "Die wollen kommende Saison mit unserer ersten Mannschaft in der Bayernliga spielen." Zudem sei deren Trainer Marcel Richter dafür bekannt, Talenten eine Chance zu geben, sie einzusetzen.

Das reiche oft schon, um Spieler anzulocken. So hat Kirschberger in Dachau Spieler aus Parsdorf oder Poing im Kader, während Harry Lutz von zwei Fußballern aus Ismaning erzählt, die seit Neuestem für Starnberg spielen und dafür vier Mal die Woche mit der S-Bahn zum Training pendeln. Fast wirkt es, als wollten die Jugendlichen ein wenig den Profifußball nachspielen: Ein Probetraining hier, ein Transfer dort, dem einen oder anderen winkt vielleicht sogar ein 250-Euro-Vertrag. Dafür nehmen sie vieles in Kauf. Marcel Nirschl zum Beispiel sagt, dass ihm neben dem Fußball nicht mehr viel Freizeit übrig bleibe, außer, er ist gerade mal verletzt.

Die jeweilige Aufschrift auf dem Trikot ist vielen Junioren zweitrangig geworden. Sie sind gut vernetzt, kaum gebunden und wollen nach oben. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Als einen der Gründe für die hohe Wechselbereitschaft nennen viele Trainer die Eltern. Viele wollten es einfach nicht wahrhaben, wenn der Sohn nicht gut genug sei für die jeweilige Mannschaft, also forcierten sie den Wechsel. Und bei jenen, die schon höherklassig spielen, bestünden die Eltern gerne darauf, dass ihr Sohn so bald wie möglich in der ersten Mannschaft zu kicken habe. "Ich hatte erst kürzlich wieder so einen Fall", erzählt Lutz. Da habe der Vater einst höherklassig gespielt, dann aber seine Karriere wegen einer Verletzung beenden müssen. "Ich habe seinen Sohn gefragt, ob er da nicht etwas nachleben muss, was eigentlich der Vater machen wollte", erzählt Lutz. Der Junge habe geantwortet: "Kann sein, dass Sie recht haben."

Mittlerweile gehen diese Entwicklungen so weit, dass den Vereinen Planungssicherheit verloren geht. "Das Training zu leiten, wird immer schwieriger", sagt Dominik Irmer, A-Jugend-Trainer des TuS Geretsried. Es melde sich kaum noch jemand ab, oft erfahre man erst viel später, dass einer den Verein gewechselt hat. Was all die Wechselei den Talenten am Ende bringt? "Nichts", sagt Irmer, "aber versuchen Sie mal, denen das zu erklären." Andererseits habe er vergangenen Sommer so viele Anfragen gehabt, dass sich der Verein überlegt hatte, eine zweite A-Junioren-Mannschaft aufzumachen. "Wenn man denen mitteilt, dass nicht jeder in der ersten Mannschaft spielen kann, sagen erst mal alle: Schon okay." Doch vielen gehe der Ehrgeiz dann schnell verloren, und plötzlich gebe es keine zweite Mannschaft mehr.

Die Identifikation mit dem Verein mag nicht mehr so wichtig sein, dafür kennen sich die jungen Spieler untereinander sehr gut. Nirschl sagt, es gefalle ihm sehr gut in Deisenhofen. "Ich habe da ja schon ziemlich viele gekannt." Von früher, aus anderen Klubs.

© SZ vom 19.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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